Ex-Programmchef Lorenz: ORF ein "Gleitmedium"

Lorenz plädiert für Grasl. "Wird ein Medium nicht strikt geführt, verschlampt es".

Ex-ORF-Programmdirektor Wolfgang Lorenz hat noch nie mit seiner Meinung hinter dem Berg gehalten und war schon immer für pointierte Formulierungen gut. Entsprechend fällt auch sein Befund zum aktuellen ORF und seiner Führung aus.

Der ORF war laut Lorenz einmal ein Leitmedium. "Heute ist er ein Gleitmedium, weich geworden unter dem Druck der Politik", erklärt er im Interview mit der Kleinen Zeitung. Konfliktvermeidung sei bei den Verantwortlichen zur obersten Maxime geworden. "Vor dem ORF muss sich heute keiner mehr fürchten", so der ehemalige ORF-Programmmacher. "Die Sparte Information - die einmal ein Kilimandscharo des ORF war - im Vergleich zu dem, was ZDF, ARD, Arte bieten, macht heute Puppentheater: Vorhang auf für Kasperl und Hexe."

Schlamperei Information

Zugleich werde der Diskurs vernachlässigt. Lorenz: "Es gibt im ORF zwei Diskussionssendungen: 'Im Zentrum' und 'Stöckl'. Schauen Sie sich an, was ARD und ZDF im Vergleich dazu anbieten. Ich denke: Der Gesellschaft dienen zu wollen, indem man alles zulässt und bei allem mitspielt, ist scheindemokratisch. Meinungsvielfalt heißt auch Meinung produzieren - nicht nur, sie affirmativ zu reportieren und die Politik so abzubilden, wie sie jetzt ist."

Ex-Programmchef Lorenz: ORF ein "Gleitmedium"
APA3669917-2 - 26022011 - WIEN - ÖSTERREICH: ZU APA-TEXT II - ORF-Programmdirektor Wolfgang Lorenz (l.) und ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz vor Beginn des ORF-Stiftungsrats am 02. April 2009 im ORF-Zentrum in Wien (Archivbild). APA-FOTO: HELMUT FOHRINGER
Die Ursachen dafür sieht der langjährige ORF-Manager in der Führungsetage. "Wenn sich der Chefredakteur die Belange der Information mit dem Generaldirektor ausmacht, weil die Fernsehdirektorin dafür nicht aufgestellt ist, dann muss das in Zukunft geändert werden." Die von den ORF-Journalisten postulierte hohe Unabhängigkeit der Information hält Lorenz für eine Folge von Nachlässigkeit: "Die scheinbare Unabhängigkeit der Journalisten ist eigentlich nur aus purer Schlamperei entstanden, weil sich niemand um die Information kümmert. Das ist kein Qualitätsmerkmal. Es ist keine Freiheit, sich aus Unlust nicht anzukleckern. Freiheit entsteht im Kampf, nicht im Liegestuhl. Wird ein Medium nicht strikt geführt, verschlampt es. Das ist am ORF genau ablesbar."

Technik ein "Klotz"

Probleme ortet Lorenz auch im Hauptabendprogramm. Dort "ist man offensichtlich nicht willens oder nicht in der Lage, öffentlich-rechtliches Programm zu machen". Das Programm werde generell "einfach ausgehungert", die Verwaltungsbereiche seien "zu groß", die Technik "ein Klotz am Bein". Geld werde dafür in ein Frühstücksfernsehen gesteckt. "Das ist scheißteuer, und dafür schrumst jetzt ein Marketenderfernsehen durch die Gegend." Die Politik sieht Lorenz via ORF-Stiftungsrat "so tief im ORF drin wie seit Jahrzehnten nicht". Der Einfluss der Landeshauptleute und Betriebsräte sei dort viel zu groß, das Programm interessiere die Stiftungsräte nicht. "Öffentlich-rechtlicher Rundfunk ist denen völlig wurscht. Sie bilden ihre Parteimeinung und ihre Parteiaufträge ab."

Neuaufstellung notwendig

Wegen all dieser Dinge sei er für einen Führungswechsel im ORF. Lorenz: "Nach zehn Jahren Alexander Wrabetz bedarf es einer Neuaufstellung. Die traue ich dem Richard Grasl zu. Und zwar dann, wenn er umsetzt, was er angekündigt hat: vier Direktoren als Programmdirektoren für TV-Information, TV-Programm, Radio und Digital zu installieren. Das hat es überhaupt noch nie gegeben, das wäre unglaublich mutig. Weiterzumachen wie bisher, hielte ich für fatal. Der ORF ist knapp daran, seine Glaubwürdigkeit zu verspielen."

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