Emmerich und die Shakespeare-Verschwörung

Emmerich und die Shakespeare-Verschwörung
Roland Emmerich spekuliert im neuen Film "Anonymus" über Shakespeare und seinen vermeintlichen Ghostwriter, den Earlvon Oxford. Der Action-Regisseur im Interview.

Roland Emmerich gilt als der Mann fürs Grobe. Genussreich hat der Deutsche in Hollywood großes Weltzerstörungskino betrieben und in Action-Spektakeln wie "Independence Day" nicht nur das Weiße Haus in die Luft gesprengt. Dass er nach seinem letzten Desastermovie "2012" ausgerechnet mit einem Shakespeare-Film daherkommen würde, war aber nicht vorauszusehen.

In "Anonymus" vertritt er nun ungehemmt die These, dass sich hinter William Shakespeare der Aristokrat Edward De Vere, Earl of Oxford, verbirgt (siehe Kasten) . Mit der üblichen Freude am Bombast inszenierte er eine verwickelte Story rund um Autorenschaft, Intrige, Sex, Inzest und Macht am elisabethanischen Königshof.

Emmerich und die Shakespeare-Verschwörung

KURIER: Herr Emmerich, dass Sie sich jetzt mit Shakespeare befassen, kommt ziemlich überraschend. Wollten Sie damit etwas beweisen?
Roland Emmerich: Keineswegs. Ich habe mich schon vor fast zehn Jahren in dieses Drehbuch vernarrt. Die Leute in meiner Umgebung haben mich dann gefragt: "Willst du das wirklich drehen?" Denn es war klar: Wenn ich "Anonymus" mache, wird die nächsten ein, zwei Jahre nicht das große Geld fließen.

Sie haben sich mit Ihren Shakespeare-Thesen in die Nesseln gesetzt, oder?
Ja, da sind jetzt ein paar Leute in Stratford-upon-Avon sauer auf mich und ein paar andere auch. Aber man darf nicht vergessen: in der englischsprachigen Welt haben die meisten Filmkritiker Literatur studiert - die meinen, sie wissen alles besser.

Was ist denn Ihre persönliche Meinung dazu?
Also, ich bin mir hundert Prozent sicher, dass Shakespeare
nicht der Mann aus Stratford-upon-Avon war. Am wahrscheinlichsten stand der Earl of Oxford dahinter. Aber wer weiß schon, was damals wirklich passiert ist. Ich habe mir unter allen Theorien jene ausgesucht, die am meisten Shakespearianisch waren. Man darf aber auch nicht vergessen: Mein Film ist keine Doku.

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Königin Elizabeth hat in Ihrer Lesart viele Liebhaber, sogar ein Inzest-Verhältnis ...
Naja, das ist natürlich schon eine extreme Außenseiter-These. Zur Zeit Elizabeths lautete die offizielle Version: "Elizabeth ist mit ihrem Volk verheiratet." Aber man darf nicht vergessen: sie war die Tochter von Heinrich dem VIII. und ihre Mutter wurde geköpft, weil sie des Inzests mit ihrem Bruder angeklagt wurde. Dass dann gerade dieses Mädel daherkommt und sagt: "Ich habe keinen Sex" - das glaube ich einfach nicht. Ich finde immer, dass Kinder ihren Eltern sehr ähnlich sind.

Sind Sie selbst mit Shakespeare aufgewachsen?
Ganz ehrlich, nein. Ich bin mit Schiller und Goethe aufgewachsen, und als junger Mann las ich Hesse und Thomas Mann. Shakespeare habe ich mich hauptsächlich über Filme angenähert. Aber als Deutscher ist die Hälfte der Texte völlig unverständlich, und ich glaube, dass es auch Amerikanern und Engländern so geht. Die sind nur nicht so ehrlich.

In Ihrem Film hat die Theaterbühne große politische Bedeutung. Wünschen Sie sich das auch fürs Kino?
Wir sind die total angepasste Gesellschaft und schauen uns nur
noch Franchise-Filme an. Man weiß, was man bekommt, und kein Mensch muss mehr nachdenken. Das ist Hollywood.

Und was ist da Ihre Position in Hollywood?

Ich versuche immer, in meine Filme freche Dinge hineinzutun. In meinem letzten Hollywood-Film habe ich gesagt: "Trau ja nicht deiner Regierung. Sie lügt dich an." Oder in "The Day After Tomorrow" - da geht es um Umweltverschmutzung, und Amerikaner flüchten illegal über die mexikanische Grenze. Das ist relativ frech.

Sie haben sich kürzlich in einem Interview geoutet. Gibt es in Hollywood Veränderungen zum Thema Homosexualität?
Hollywood war Homosexualität gegenüber immer sehr offen - abgesehen von den 50er-Jahren. Man denke nur an jemanden wie David Geffen, der drei oder vier Milliarden Dollar schwer ist, das Filmstudio DreamWorks gegründet hat und offen schwul ist. Da ist Hollywood schon sehr freundlich. Nur für Schauspieler ist es ein bisschen problematisch, weil sie im Business der Illusionen arbeiten. Da muss man sich überlegen, ob man sich outen will oder nicht.

Sie arbeiten als Deutscher in Hollywood und Sie drehen als Deutscher einen Film über Shakespeare. Machen Sie es sich schwer?

Natürlich kann man es einfacher und bequemer haben, und natürlich braucht man auch ein dickes Fell. Man kann sich nicht jedes mal weinend in die Ecke drücken, wenn man kritisiert wird. Aber so bin ich, und so habe ich es mir selbst ausgesucht - und da will ich kein großes Ding draus machen.

Kein Sakrileg: Die Shakespeare-Identität

Emmerich und die Shakespeare-Verschwörung

Kaum zu glauben: Ausgerechnet die Promotionsmaschinerie von Katastrophen-Filmer Roland Emmerich verhilft einem Thema zu breiter Öffentlichkeit, das sich bisher hauptsächlich als Party-Small-Talk für Anglistikprofessoren eignete: Hat William Shakespeare (1564-1616) wirklich jene Werke verfasst, die ihm zugeschrieben werden?
Das ist jetzt nicht ganz so Verschwörungstheorie-tauglich wie vermeintliche Da-Vinci-Codes. Aber eine Frage, die, phasenweise mit großem Eifer, auch die seriöse Literaturwissenschaft beschäftigt. Und derzeit noch dazu zahlreiche US-Medien und bald wohl auch einige Anschluss-Buchpublikationen für das Filmpublikum.

Alte Frage

Die Zweifel an Shakespeares Autorenschaft reichen zurück bis ins 18. Jahrhundert: Ein Adeliger nutzte demnach den Namen des Sohnes eines Analphabeten, um eigene Werke zu vertreiben. Emmerichs Lieblingstheorie rund um Edward De Vere, Graf von Oxford, ist da nur eine von mehreren Möglichkeiten: Texte der Autoren Christopher Marlowe, Ben Jonson, Francis Bacon, von Graf William Stanley, ja selbst von Königin Elisabeth I. wurden im Computer auf Übereinstimmungen mit Shakespeares Werken hin überprüft. Worthäufigkeiten wurden verglichen, mathematische Formeln zu den durchschnittlichen Wortlängen aufgestellt, das soziale Umfeld sollte als Indiz herhalten. Auch die Theorie, dass die Werke von zwei Autoren stammen, hat ihre Anhänger.

Aber was spricht eigentlich gegen Shakespeare selbst? Für viele vor allem seine Abstammung und Bildung. Die These, dass nur ein Adeliger derartig kenntnisreiche Werke über ferne Länder, Adelssportarten und höfische Abläufe verfassen hätte können, erscheint zwar im 21. Jahrhundert etwas ungut. Im elisabethanischen England, vor 400 Jahren, war Bildung aber durchaus noch eine ernster zu nehmende Hürde.

Klar ist: Es gibt viele Fragen. Und das ist wirklich kein Wunder: denn eigentlich weiß man nicht einmal, wie sich Shakespeares Namen schreibt - "Shagspere" über "Shaxper" bis hin zu "Shexpere" sind überliefert. Aber ist es wichtig, wer die Werke geschrieben hat? Ja, zumindest für die Bürger von Shakespeares Geburtsstadt Stratford-upon-Avon: Die fürchten um den Tourismus.

Die New York Times sieht das hingegen entspannter und titelte kürzlich: "Wen kümmert's?"

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