Eine blaßblaue Frauenschrift - von Franz Werfel

Mit dieser Dreiecksgeschichte zur Zeit des Nationalsozialismus hat sich Werfel in den Kanon der Weltliteratur geschrieben.

Eine wunderbare Erzählung, eine großartige Novelle. Franz Werfels im Exil entstandene und 1941 in den USA erschienene "Blaßblaue Frauenschrift" zieht alle Register. Geschildert wird ein Tag im Leben Leonidas Tachezy, seines Zeichens mächtiger Sektionschef im Wiener "Ministerium für Kultus und Unterricht". Die Erzählung lässt Werfel im Oktober des Jahres 1936 beginnen, nur Monate vor dem "Anschluss", dem Einmarsch deutscher Truppen in Österreich. Leonidas - aus armen Verhältnissen stammend, sich empor buckelnd und durch seine Heirat mit der Millionärin Amelie vom Glück begünstigt - sonnt sich im perfekten Leben. Seinen fünfzigsten Geburtstag hat er gerade gefeiert, noch trudeln "glückwünschende Nachzügler" ein. Und bei diesen Briefen ist sie dabei, die "blaßblaue Frauenschrift." Leonidas erkennt sie gleich, es ist die Handschrift seiner Jugendliebe Vera, die er vor 18 Jahren wieder traf. Da war er schon mit Amelie verheiratet, verschwieg aber seine Ehe und verführte Vera, eine "israelitische Intelligenz", wie er vorsichtig in seinem Kopf formuliert. Er verließ und verdrängte Vera, aber jetzt ist sie "unverschämterweise" wieder da - in Form eines Briefes. Sie bittet den "sehr geehrten Herrn Sektionschef" um Protektion für einen jungen Mann, 17 Jahre alt, der in Deutschland "aus den allgemein bekannten Gründen" sein Gymnasialstudium nicht fortsetzen kann. 17 Jahre? Leonidas kann zwischen den Zeilen lesen, es muss sich um seinen Sohn handeln. Ein Kind hat er, noch dazu von einer Jüdin. Sein herrlich buntes, harmonisches und ruhiges Leben beginnt zu schwanken. Er taumelt, aber wird er auch stürzen?

Franz Werfel schafft es, den Terror des Nationalsozialismus gleichsam nur als drohenden Schatten darzustellen. Diese Zeit, sie ist nur eine Facette im Leben der Charaktere. Denn um die geht es dem Autor: Mit Vera zaubert Werfel eine kantige, aber großartig lebendige Frauenfigur. Amelie als Großbürgerin Wiens ist reich, aber ganz und gar nicht dumm. Sie spürt mehr, als Leonides lieb ist. Und dieser schließlich selbst. Ein Emporkömmling, ein Glückskind, ein schwacher Mensch. Ebenso nuanciert wie mit den Figuren des Romans verfährt der Autor auch mit seiner Sprache. Da gibt es Passagen mit kurzen Sätzen, klar und gemeißelte Schläge. Da gibt es den genialen Trick einer Rückblende, die in Leonidas Kopf als Verteidigungsrede vor einem imaginierten Gericht stattfindet. Oder aber die "Beichte" Amelies, als sie ihre Eifersucht ob der "blaßblauen Frauenschrift" gesteht, ein strömender Redefluss " . . . ohne Absatz und Punkt, und immer in die Erde hinein."

Franz Werfel ist ein virtuoser Sprachkünstler, der die expressive Kraft seiner Lyrik auch in die erzählenden Formen hineinbrachte. Der in Prag geborene Schriftsteller wirkte in den 1920er- und 30er-Jahren massiv auf die deutschsprachige Literatur ein. In Wien lernt er 1917 Alma Mahler kennen und lieben, die Ehefrau des Bauhaus-Architekten Gropius und Witwe von Gustav Mahler. Sie heiraten 1929, fliehen vor den Nazis nach Frankreich und finden Zuflucht in Lourdes. Dort in Lebensgefahr schwebend, schwört sich Werfel, ein Buch über diesen Wallfahrtsort zu schreiben, sollte er überleben. "Das Lied von Bernadette" wird 1941 veröffentlicht werden und großen Erfolg haben. Das Ehepaar Werfel schafft es bis in die USA. Dort starb Franz Werfel an einem Herzinfarkt, gerade 54 Jahre alt. Seine Texte sind längst Klassiker geworden, haben sich eingeschrieben in den Kanon der Weltliteratur. "Eine blaßblaue Frauenschrift" ist vielleicht sein bester.

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