Die Uhren ticken in Salzburg nicht mehr anders

Das Wasserkraftwerk Kaprun wurde in der NS-Zeit mithilfe von Zwangsarbeitern gebaut
Salzburg im Spannungsfeld zwischen Verschlafenheit, Tradition und Aufbruch.

"Meine Heimatstadt ist in Wirklichkeit eine Todeskrankheit." Mit diesen Worten drückte Thomas Bernhard im Jahr 1975 seine Hassliebe zu Salzburg aus. Während Bernhard die Mozartstadt mit einer Krankheit verglich, schwärmte etwa der Schriftsteller Stefan Zweig in den höchsten Tönen von ihrer Schönheit. Auch Jahre danach scheiden sich die Geister. Während einige der barocken Eleganz und der noch immer verschlafenen Atmosphäre hoffnungslos verfallen sind, sehen andere Salzburg als lebendige Kulisse, in der Fortschritt keinen Platz hat. Schön, aber langweilig. So könnte der Konsens lauten.

Aber ist Salzburg tatsächlich rückwärtsgewandt? Mit dieser Frage beschäftigt sich die Ausstellung "Anti:modern – Salzburg inmitten von Europa zwischen Tradition und Erneuerung" im Museum Moderner Kunst. Im von den Salzburgern ironisch als "Schuhschachtel" beschriebenen Bau am Mönchsberg versucht man anlässlich des 200-Jahr-Jubiläums der Zugehörigkeit Salzburgs zu Österreich Antworten darauf zu geben. Sabine Breitwieser, Direktorin des Museum der Moderne, richtet mit ihrem Kuratorenteam den Blick aber nicht nur auf Kunst, denn der Begriff der Moderne steht für Fortschritt in vielen gesellschaftlichen Bereichen. Daher werden neben zeitgenössischer Kunst von Oskar Kokoschka und Werken von Gerhard Richter auch wissenschaftlichen Dokumenten viel Raum gewidmet.

Die Uhren ticken in Salzburg nicht mehr anders
© Museum der Moderne Salzburg © Fondation Oskar Kokoschka © Bildrecht, WienOskar Kokoschka Selbstbildnis von zwei Seiten, 1923 Kreidelithografie auf Bütten

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Die Suche nach Spuren einer antikonservativen Gegendynamik beginnt mit dem Versuch einer Begriffsdefinition: Zitate von Henri Lefebvre und Walter Benjamin über Modernisierung dienen dabei als Bezugspunkte. Dazu werden Stadtpläne gereicht und die Welt der letzten 200 Jahre kartografisch analysiert. Nach diesem weit gefassten Prolog wird der Wissenstrichter enger. Entlang von sechs thematischen Schwerpunkten erfolgt eine Auseinandersetzung mit der geistigen wie künstlerischen Entwicklung der (Salzburger) Gesellschaft, die zwischen Aufschwung und Rückwärtsgewandtheit oszilliert. Am Beispiel von Wissenschaft, Musik, Tanz und Exponaten aus bildender Kunst wird untersucht, inwieweit in Salzburg ein weltoffenes Denken vorhanden war und ist.

Dass in Salzburg die Uhren bis 1893 anders tickten und man von Wien mit dem Zug kommend die Uhr 13 Minuten zurückstellen musste, ist zwar eine schöne Anekdote. Auf einen verlangsamten Zeitgeist ist das aber nicht zurückzuführen, sondern hat mit dem Umstand zu tun, dass es bis dahin noch keine mitteleuropäische Einheitszeit gab. Von avantgardistischen Strömungen, die auch in Salzburg einen nahrhaften Boden fanden, durchschreitet man im zweiten Teil der Ausstellung die finstere Epoche, in der Weltoffenheit vom Nationalsozialismus abgelöst wurde: Die kurz aufflackernde Aufbruchsstimmung in der Zwischenkriegszeit, die mit der Gründung der Salzburger Festspiele ihren Höhepunkt erreichte, wurde von einer Blut-und-Boden-Ideologie abgelöst. In diesem Klima gab es keinen Platz für moderne Kunst und ihre Erzeuger.

Aufforderung

Zu Ende führen lässt sich die Debatte über die Moderne in der Ausstellung nicht. Stattdessen lernt man einiges über Salzburg, über Aufbrüche und ihre Gegenbewegungen. Zwischen den Zeilen der Begleittexte lässt sich eine Aufforderung ausmachen: Trau dich mehr, Salzburg! Innovation und Bewahrung sind kein Widerspruch. Nur schön sein reicht nicht.

Info:"Anti:modern" im Museum der Moderne Salzburg. Noch bis 6. November.

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