Der Großmeister des Zufalls

Der Großmeister des Zufalls
An der Max-Ernst-Retrospektive der Albertina wird kein Kunstinteressierter vorbeikommen.

Er ist neben Picasso und Matisse der Gigant des 20. Jahrhunderts, sagte Werner Spies, als er am Mittwoch zwischen Journalisten durch die von ihm kuratierte Max-Ernst-Ausstellung in der Wiener Albertina wanderte. Der 75-jährige Kunsthistoriker wirkte dabei, als wäre er glücklich, seine Lieblinge noch einmal an einem Ort versammelt zu sehen.

Spies nennt Ernst, den er in den 1960er-Jahren in Paris kennenlernte, die „Begegnung meines Lebens“, er verdankt dem 1976 verstorbenen Künstler einen Teil seiner Karriere – und auch einen späten Karriereknick. Doch dazu später.

Die 180 Werke, die der Kurator und sein Team in der Albertina versammelt haben, stellen Max Ernsts Gigantenstatus jedenfalls eindrucksvoll unter Beweis: Von 1912 an legte der gebürtige Deutsche in Collagen, Gemälden und Skulpturen einen Ideenreichtum an den Tag, der in der modernen Kunst seinesgleichen sucht; seine Bildsprachen – es gibt mehr als eine davon – sind so rätselhaft wie hintergründig, so innovativ wie geschichtsbewusst.

Bilder zur Ausstellung

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Kein Ernst in Wien

Dass Wien bereits zahllose Picasso-Ausstellungen, aber noch nie einen vergleichbaren Überblick über das Werk Max Ernsts gesehen hat, überrascht – sollte der mit den Schriften Freuds vertraute Künstler laut Albertina-Chef Klaus Albrecht Schröder doch in der Geburtsstadt der Psychoanalyse „besonders verstanden werden“. Doch leider – auch das wird in der Schau bewusst – fuhren viele Züge der Moderne nach 1918 an Wien vorbei.

Max Ernst zog es 1922 nach Paris, wo er Anschluss an den Kreis der Surrealisten fand. Schon vorher hatte er mit seinen Collagen das Trauma des ersten Weltkriegs verarbeitet und sich von seiner katholisch-bürgerlichen Erziehung freigestrampelt.

Die Albertina-Schau folgt zum einen Ernsts Biografie; parallel fokussiert sie auf seine Methoden, den Zufall bei der Erfindung von Bildern einzubinden: Das Prinzip der „Frottage“ und „Grattage“ kennt jeder, der schon einmal versucht hat, die Struktur einer Münze oder eines Bretts durch ein Blatt Papier zu rubbeln. Auch „Dekalkomanie“ – die Herstellung zufälliger Muster durch Abklatschen von Farbe – wird im Zeichenunterricht gelehrt.

Für Ernst war all das freilich nur ein Anfang: Er machte aus den Zufallsmustern düstere Wälder und Städte, ließ Gesichter, Vogelschwärme und Wilde Horden aus den Bildern wachsen.

Alles ist unsicher

Die Zusammenschau der Bildmotive in der Albertina macht auch deutlich, warum Max Ernsts Werk trotz all seines Einflusses bis heute kein echter Stoff für Blockbuster-Ausstellungen ist: Nirgends lässt sich in seinen Bildern die mediterrane Leichtigkeit eines Picasso ausmachen, nirgends die Markenzeichen-Qualität eines René Magritte.

Selbst der „Loplop“ genannte Vogel, der noch am ehesten als Max Ernsts „Logo“ gelten könnte, scheint ständig Gefahr zu laufen, seine Form zu verändern oder seinen Kopf zu verlieren: Es ist eine existenzielle Unsicherheit, die aus den Bildern spricht, und gerade sie macht sie so modern.

Ernsts rastloses Leben ist untrennbar mit diesem Werk verknüpft: In Deutschland als „entartet“ gebrandmarkt, in Frankreich zwischenzeitlich interniert, floh er 1941 in die USA, wo er die Sammlerin Peggy Guggenheim heiratete. Zwei Jahre später ließ er sich mit einer anderen Frau, Dorothea Tanning, in Arizona nieder, 1953 ging er mit ihr zurück nach Paris: Es war ein Leben der ständigen Neuanfänge und Versuche, sich aus den Ruinen des Gewesenen etwas Neues zu basteln.

Heute, wo sich die Nebel der Geschichte des 20. Jahrhunderts etwas gelegt haben, erscheint dieses Finden und Kombinieren wie ein Vorbote jener Remix-Ideologie, die im heutigen Digitalzeitalter omnipräsent ist.

So gesehen taugt die Albertina-Schau bestens dazu, Max Ernst für eine neue Generation aufzubereiten. Und natürlich ist sie auch eine Art „Revival“ für Werner Spies: Weil der Experte dem Meisterfälscher Wolfgang Beltracchi aufsaß und sieben Imitate aus dessen Hand irrtümlich Max Ernst zuschrieb, hatte sein Ruf zuletzt stark gelitten.

Nun geht die Albertina auf Nummer sicher und zeigt nur Werke, die schon im ersten Max-Ernst-Werkkatalog von 1987 enthalten waren. Und Spies, der die Schätze zu großen Teilen aus privaten Sammlungen auslieh, kann wieder als der größte lebende Kenner dieses faszinierenden Werks strahlen.

Die Ausstellung

"Max Ernst - Retrospektive" ist bi 5.5.2013 in der Albertina zu sehen (Albertinaplatz 1, 1010 Wien; täglich 10-18 Uhr, Mittwoch 10-21 Uhr). Öffentliche Führungen (Preis 4 €) jeweils Mittwoch, 18:30 und Samstag/Sonntag/Feiertag um 15.30 Uhr. Info: www.albertina.at Im Anschluss an die Albertina geht die Schau in die Fondation Beyeler in Riehen bei Basel / CH.

Der Katalog

Herausgegeben von Werner Spies und Julia Drost; mit Beiträgen von Gunhild Bauer, Raphael Bouvier, Gisela Fischer, Joana Jimborean, Ralph Ubl u.a.; Mit einem Vorwort von Klaus Albrecht Schröder und Samuel Keller. Hatje Cantz Verlag, 29 Euro.

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