Das kunstseidene Mädchen - Von Irmgard Keun

Das kunstseidene Mädchen - Von Irmgard Keun
Doris ist jung, spritzig und voller Sehnsucht: Sie möchte ein Star werden oder zumindest ein Sternchen, möchte eintauchen in die Welt der Mächtigen und Reichen.

Schlägt man diese Seiten unbefangen auf, meint man ein aktuelles Buch zu lesen: Voll Ironie schreibt da eine Frau von sich selbst, sie liegt im Bett, wollte sich eigentlich „noch die Füße waschen“, aber sie ist halt müde. Auch Ausdrücke wie „der Alte hat’s auch nicht mehr dick“ wirken so modern, dass erst die Erwähnung eines „Grammophons“ Verdacht aufkommen lässt. Ein Blick ins Impressum sorgt schließlich für Verblüffung: „Das kunstseidene Mädchen“ wurde 1932 erstveröffentlicht. Und liest sich doch flotter und intelligenter als so mancher Frauenroman heute. Die Autorin dieses Buches ist die 1982 mit 77 Jahren verstorbene Irmgard Keun. Ihr Leben glich einer atemberaubenden Achterbahn: 1905 in Berlin geboren, wurde sie mit ihrem ersten Roman „Gigi – eine von uns“ von 1931 über Nacht zur Bestseller-Autorin. „Das kunstseidene Mädchen“, bereits ein Jahr später veröffentlicht, verkauft sich ebenfalls sensationell. Ein neuer Star leuchtet am Literaturhimmel, der nur ein weiteres Jahr später von den Nazis verfemt, niedergebrüllt und auf die Liste der verbotenen Autoren gesetzt wird. 1936 geht Keun ins Exil, lebt in Belgien, den Niederlanden und Paris. Ihre Begleiter: Angst, Zorn, Heimatlosigkeit, aber auch Leidensgenossen: Heinrich Mann oder Stefan Zweig zählen zu ihren Freunden. Und Joseph Roth, mit dem sie eine Liebesbeziehung eingeht. 1940 reist Irmgard Keun – nach einer fingierten Selbstmord-Nachricht – dorthin, wo die Häscher sie nicht erwarten: zurück nach Deutschland. Fünf Jahre versteckt sie sich unter Lebensgefahr, aber nach dem Krieg interessiert sich niemand mehr für ihre Romane. Die Autorin flüchtet in Sarkasmus und Alkohol, verbringt Jahre in der Psychiatrie. Erst Ende der Siebziger Jahre neigt sich die Waagschale ihres Schicksals erneut: Fernsehen und Zeitungen werden auf die fast vergessene Schriftstellerin aufmerksam, ihre Bücher werden neu aufgelegt und haben – noch einmal – großen Erfolg.

 

Das kunstseidene Mädchen - Von Irmgard Keun
Ein Königreich für ein Bild!

„Das kunstseidene Mädchen“ von 1932 bleibt bis heute ihr bekanntester Roman. In ihm erzählt die 18-jährige Doris, Sekretärin bei einem zudringlichen Rechtsanwalt, von ihrem Leben. Doris ist jung, spritzig und voller Sehnsucht: Sie möchte „ein Glanz“ werden, ein Star oder zumindest ein Sternchen, möchte eintauchen in die Welt der Mächtigen und Reichen. Dafür nutzt sie die Männer und lässt sich gleichzeitig benutzen – voll Witz und Intelligenz schildert Irmgard Keun die wilden Zwanziger Jahre, schickt Doris nach Berlin, hinein in Tanzcafés und Bars. Dort sucht sie in einem geklauten Pelz ihren Platz in der Welt des Glitters und findet doch nur Leere. Reine Seide wird für Doris zum Symbol für „wahres“ Leben, doch schon der Titel des Romans demaskiert sie. Auf großartige Weise – die vermeintlich naive Perspektive des „kunstseidenen Mädchens“ kennt kein Erbarmen – wird die Welt der Großbürger und Künstler demaskiert, wird die Exklusivität der gebildeten Schicht aufgezeigt. Grotesk gezeichnete Figuren begleiten ihren Weg: Ein immer ernster Freund wird prompt nur „Ernstel“ genannt, der „schachige Gast“ ist ein schachspielender Kaffeehaus-Besucher, Herr Brenner ein blinder Kriegsversehrter, der mit einem tief berührenden „Was noch, was noch?“ nach weiteren Beschreibungen durch Doris lechzt. Nach mehr Leben.

Irmgard Keun zeichnet auf humorvolle, aber mitunter bittere Weise ein faszinierendes Frauen-Porträt. Als eine der ersten Schriftstellerinnen überhaupt schuf sie einen modernen feministischen Roman, dessen beißende Kritik in brillanter, satirischer Sprache geformt ist.

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