"Jede Form von Hysterie ist gefährlich"

„Die Wiedervereinigung der beiden Koreas“, ab Freitag im Akademietheater: Moderner „Reigen“ in der Regie von Peter Wittenberg
Burgtheater-Star Dörte Lyssewski über Liebe, Badehosen, Flughäfen und Betroffenheits-Rituale.

Die Schauspielerin, 49, kommt gut gelaunt von einer Probe zu "Die Wiedervereinigung der beiden Koreas" (Premiere: Freitag im Akademietheater).

KURIER: Wie laufen die Proben?

Dörte Lyssewski: Gut! Das ist ein großartiger Text, Joel Pommerat kann wirklich Theaterstücke schreiben! Das macht die Sache nicht unbedingt leichter.

Nicht?

Gezeigt werden Varianten des Ur-Themas – Beziehungen, Liebe, Einsamkeit, Verlassenheit, Betrug, Ängste. Die Konstellationen werden Szene für Szene neu gewürfelt. Da das alles aber so genau komponiert ist, besteht die Gefahr, dass die Darstellung den Text kleiner macht.

Der Titel "Die Wiedervereinigung der beiden Koreas" spielt auf die Unmöglichkeit gelingender Liebesbeziehungen an?

Oder auf die Sehnsucht nach der Wiedervereinigung mit dem zweiten Teil! Ausgehend von dem Motiv Platons, dass der Mensch ein Ganzes war und jetzt immer seinen zweiten Teil sucht.

Wenn man in die Medien schaut, hat man das Gefühl, nichts wird heute so herbeigesehnt wie die ideale Beziehung – und weniges misslingt so oft.

Dass es die Sehnsucht nach Liebe gibt, ist die eine Sache, aber die Hysterisierung durch die Medien ist die andere Seite. Da kann man sich entscheiden, ob man daran teilnehmen will.

Offenbar wird die Liebe heute wieder viel stärker idealisiert.

Das hat etwas mit der Zeit zu tun, und mit Angst. Man sucht krampfhaft Halt und diese vermeintliche Sicherheit. Da waren die Siebzigerjahre freier, als man gesagt hat, Liebe hat nichts mit Besitzanspruch zu tun. Heute sehen wir mehr eine Rückkehr ins ... Spießige will ich nicht direkt sagen. Aber schauen Sie sich nur die Badehosen der jungen Leute im Schwimmbad an! In den Siebzigern trugen die Herren Super-Badehosen. Und heute, die Jugendlichen? Bis zu den Knien verhüllen sie sich, nach dem Motto: Ja nichts sehen! Und gleichzeitig schauen sie sich Pornos an!

Sie haben 1989 bei Peter Stein an der Berliner Schaubühne angefangen. Was hat sich am meisten verändert?

"Jede Form von Hysterie ist gefährlich"
epa03459202 Dörte Lyssewski with the Nestroy-trophy for best actress at the 13th Nestroy - Vienna Theatre Award ceremony in Vienna, Austria, late 05 November 2012. For the 13th time, best performances of the past theatre season will be honored. EPA/GEORG HOCHMUTH
Vielleicht: Zeit. Sich Zeit zu nehmen. Die Probenbedingungen waren anders. Die Leute waren noch ruhiger. Als ich an der Schaubühne anfing – gut, die war natürlich eher elitär – da war das Fernsehen verpönt. Die Konzentration war eine andere, es war noch nicht diese Jetset-Generation. Gehen Sie morgens auf den Flughafen, Sie werden lauter Schauspieler sehen. Die Airlines leben von uns! Das heißt nicht, dass sich die Menschen nicht hundertprozentig der Sache widmen würden, aber es nimmt Ruhe. Es traut sich ja auch niemand mehr, das Publikum zu fordern.

Weil Theater heute unter Kostendruck stehen?

Das kennt man in Deutschland doch schon länger, nur am Burgtheater ist das neu. Man darf das ja gar nicht laut sagen, aber ich denke, gutes Theater ist keine Frage von Geld, sondern von Konstellationen. Aber wir sollten trotzdem nicht gekürzt werden!

Dieser Tage haben Rechtsextreme eine Theateraufführung mit Flüchtlingen gestört. Wie sehen Sie das?

An der Uni? Das ist eine Schweinerei, primitiv!

Befürchten Sie, dass das Theater öfter...

... Angriffsfläche sein wird? Das könnte sein. Ich denke, das Theater muss auch aufpassen, dass es nicht mehr will, als es kann. Aber gerade an der Uni, die ein Forum der kommenden Gesellschaft darstellt, eine Vorstellung mit Flüchtlingen zu stören, das ist ein No-go.

Wie soll sich das Theater verhalten in einer Zeit großer gesellschaftlicher Konflikte?

Ich würde sagen, vorsichtig. Behutsam. Denn jede Form von Hysterie, die um sich greift, ist gefährlich. Und präpotent. Der Anspruch des Theaters als moralische Anstalt sitzt uns natürlich im Nacken. Aber ich finde, wie man sich in dieser Flüchtlingsdebatte verhält, das muss jeder Einzelne für sich entscheiden. Und ich finde, es kann auch keinen Zwang geben, nur weil man bei einem Theater arbeitet. Es stellt sich auch immer die Frage: Welche Aktionen sind sinnvoll und hilfreich – und wann zelebriert man nur seine eigene Betroffenheit? Wenn Schauspieler anfangen, Politiker sein zu wollen, da muss man vorsichtig sein – wenn das schon die Politiker nicht schaffen ...

Sie haben im Vorjahr Ihr erstes Buch herausgebracht, den Erzählband "Der Vulkan oder die Heilige Irene" – und nur gute Kritiken dafür bekommen.

Dafür, dass es nicht geplant war, ist es gut angekommen, das kann ich sagen.

Sie schreiben ein Buch, ohne es geplant zu haben?

Ja. Das waren Texte, die über Jahre entstanden sind und schon länger in der Schublade gelegen haben. Es ging auf einmal alles sehr schnell... es ist sehr schön, aber gleichzeitig auch noch sehr fremd, weil es eben nicht mein Metier ist.

Werden Sie oft mit den Romanen Ihres Burg-Kollegen Joachim Meyerhoff verglichen?

Gar nicht. Es ist auch etwas ganz anderes.

Würden Sie ein Stück schreiben?

Nein. Ich kann Theatertexte analysieren, aber schreiben, das könnte ich nicht. Es ist so schwierig! Man sieht ja, wie wenige gute zeitgenössische Dramatiker es gibt.

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