Burgtheater: "Ich mache ja Heiltheater"

Doktor der gesamten Hypochondrie: Argan, Moliers „Eingebildeter Kranker“ (Joachim Meyerhoff, mit Marie-Luise Stockinger)
Herbert Fritsch über Moliere, Paris, Angst, die Kraft des Humors und Bandwürmer.

Herbert Fritsch, 54, feiert sein Burgtheater-Debüt. Mit Joachim Meyerhoff in der Hauptrolle inszeniert er Molieres "Der eingebildete Kranke" (Premiere: 5. Dezember). Fritsch, Regisseur, Schauspieler, Bühnenbildner und Videokünstler, ist bekannt für sein wildes Körpertheater und für sein hemmungsloses Bekenntnis zum Humor.

KURIER: Dieses Stück passt offensichtlich gut zu Ihnen.

Herbert Fritsch: Das ist der vierte Moliere, den ich mache, er ist mein Liebling. Er zündet mich an, er verführt mich, er ist ein Schlingel. Er ist kein Autor, der in der Studierstube geschrieben hat, sondern er war Schauspieler und Regisseur, kommt direkt aus dem Theater.

Burgtheater: "Ich mache ja Heiltheater"
Herbert Fritsch
Er ist ja sogar bei oder nach einer Vorstellung gestorben.

Ja, bei der vierten Vorstellung des "Eingebildeten Kranken". Soviel ich weiß, sogar auf der Bühne – und die Leute haben angeblich gelacht, weil es so witzig gewirkt hat.

Weil es so gut gespielt war.

Ja.

Das Stück wirkt extrem aktuell. Es handelt von Hypochondrie, also einem Mode-Leiden.

Die Hypochondrie ist immer en vogue. Das hat damit zu tun, dass wir eine sehr körperbetonte Gesellschaft sind. Aber diese Moliere-Stoffe sind so allgemeingültig, würde ich sie aktualisieren, würden sie dünner. Was er schreibt, ist herrlich dreist – diese permanenten Einläufe! Das Klistier spielt eine Riesenrolle in dem Stück, es wirkt fast analfixiert. Die ganze Drastik der commedia dell’ arte ist da drin.

Sie mögen Drastik.

Ich finde, wenn man etwas plump macht, dann muss man es so richtig plump machen. Für mich ist das fast so eine Art Mozart. Mozart wird ja auch immer verniedlicht und verzerrt. Wenn diese Leute heilig gesprochen werden, dann ist das ja ihr zweiter Tod. Bei Moliere ist das oft passiert, mit Spielbein-Standbein auf der Bühne, wo dann nur so dahin gequatscht und das Körperliche ausgespart wird. Gerade in diesem Stück ist das Körperliche extrem wichtig.

Ideal für Sie, denn Sie inszenieren ja über die Körperlichkeit.

Absolut. Die Figur des Hypochonders ist mir sehr nahe, insofern, als ich auch hypochondrische Neigungen habe. Hypochondrie bedeutet, dass sich der Hypochonder seiner Körpers überbewusst ist. Das macht ihn zu seiner interessanten Figur. Könnte man diese Kraft, die der Geist des Hypochonders über den Körper hat, ins Positive umdrehen, dann wäre man immer gesund.

Sie haben selbst Talent zur Hypochondrie?

Mir hat man als Kind vom Hundebandwurm erzählt: Wenn man sich die Finger ableckt, dann geht der in den Kopf und bildet eine riesige Kugel, die irgendwann zerplatzt und einen sprengt. Das hat mich nicht losgelassen. Ich mochte Hunde so gerne, aber ich habe mich nicht getraut, einen Hund anzufassen, vor lauter Angst.

Das ist ja auch im Kern ein Stück über Angst, oder?

Ich habe keine Idee, die ich auf das Stück draufsetzen will. Für mich ist entscheidend: Welche Lust kommt von den Schauspielern? Welche Kraft, welcher Wahnsinn entfaltet sich da, womit man ins Publikum hineinwirkt? Das Theater ist ja keine Schule und keine Kirche, sondern eine Kultstätte. Man befragt ein Orakel, und plötzlich antwortet es. Das Schöne ist, wenn man sich mit seiner Arbeit selbst überraschen kann.

Angst ist derzeit das bestimmende Thema in der Gesellschaft: Angst vor Flüchtlingen, vor Terrorismus ... Wirkt sich das nicht auf Ihre Arbeit aus?

Diese Ereignisse betreffen mich sehr. Aber würde ich darauf reagieren, was aktuell passiert ist, wäre das die Zerstörung des Theaters. Das Theater, die Kunst ist ein Freiraum. Dieser Raum ist ein Teil unserer Kultur, und diese Kultur will ich bewahren. Ich kann nicht am Theater die Zeitung inszenieren – Journalismus hat andere Aufgaben. Würden wir jetzt sagen, nach Paris kann man keinen doch Moliere machen, man kann doch nicht im Theater sitzen und lachen – dann hätten die ihr Ziel erreicht.

Sie setzen ja immer auf die Kraft des Lachens. Lachen ist subversiv, es nimmt die Angst.

Ich kann mich erinnern, wie ich als junger Mann wegen eines Films in der Tschechoslowakei war. Wir saßen in einem Restaurant, waren guter Laune und haben gelacht – und mussten sofort das Lokal verlassen.

Wer lacht ist verdächtig.

Genau. Das Interessante ist: Mit einem lachenden Gesicht kann man besser denken, denn man ist entspannter.

Im Infotext auf der Homepage des Burgtheaters steht: Lachen heilt, was auch immer.

Ich mache ja Heiltheater! Theater soll einen nicht mit Schuldgefühlen belastet entlassen, indem man das Gefühl hat, man hat es nicht so genau verstanden, weil die auf der Bühne alle so schlau waren. Für solche Klugscheißerei habe ich kein Verständnis. Im Theater geht es nicht darum, stundenlang zu überlegen, warum der Dichter einen Punkt oder ein Komma gemacht hat.

Sie mögen ja auch Theater nicht, das so tut, als wäre es gar kein Theater.

Dieses Echtheitsgetue ist grauenhaft: "Ich nehme kein Theaterblut, sondern hau mir eine echte Kante in die Hand, die echt blutet, und wenn’s sein muss, dann schneide ich mir auch ein Ohr ab." Da ist ja schon eine Grenze erreicht, denn man hat ja nur zwei Ohren. Das Tolle ist doch: Sich zum Spiel, zum lustvollen Betrug zu bekennen! Wir sind Verführer, wir sind Kleinkriminelle, die von der Straße ferngehalten werden und versuchen, auf der Bühne unsere Schlingelhaftigkeit auszuleben.

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