Auf keinen Fall "Tralala-Musik"

Live aus dem Wiener Musikverein:: "Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker", Auf dem Programm steht neben der Musik der Strauß Familie und Werken von Joseph Lanner und Joseph Hellmesberger auch eine Überraschung zum beginnenden "Franz Liszt-Jahr". Die Wiener Staatsoper ist nicht nur die Wirkungsstätte des Neujahrskonzert-Dirigenten Franz Welser-Möst, sondern auch Schauplatz für den Auftritt des Wiener Staatsballettes in der Choreographie von Jean Guillaume Bart. Erstmals in der Geschichte der Neujahrsballette ist das Wiener Schloss Laudon Schauplatz für eine Tanzdarbietung. Während des Donauwalzers von Johann Strauß wird auch das Publikum im Musikverein in den Genuss von getanzten Walzerklängen kommen. Bildregie: Brian Large. Im Bild: Franz Welser-Möst SENDUNG: ORF2 - SA - 01.01.2011 - 11:15 UHR. - Veroeffentlichung fuer Pressezwecke honorarfrei ausschliesslich im Zusammenhang mit oben genannter Sendung oder Veranstaltung des ORF bei Urhebernennung. Foto: ORF/ALI SCHAFLER. Anderweitige Verwendung honorarpflichtig und nur nach schriftlicher Genehmigung der ORF-Fotoredaktion. Copyright: ORF, Wuerzburggasse 30, A-1136 Wien, Tel. +43-(0)1-87878-13606
Dirigent Franz Welser-Möst über Strauß, Salzburg, Wagner und widersinnige Attacken.

KURIER: Herr Welser-Möst, Sie dirigieren zum zweiten Mal das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker. Sind Sie da nervöser oder entspannter?

Franz Welser-Möst: Entspannter. Man hat die Erfahrung bereits gemacht und kann damit umgehen. Aber das betrifft eigentlich nur das, was hinter der Bühne los ist. Das macht einen wahnsinnig.

Inwiefern?

Naja, da herrscht teilweise Hektik und Aufgeregtheit. Aber ich bin davon überzeugt, dass ich das zweite Neujahrskonzert noch wesentlich mehr genießen werde als das erste.

Zynisch gefragt: Ist das also das Event, das Sie eigentlich ablehnen? Sie haben sich ja zuletzt im Musikverein gegen Eventisierung ausgesprochen.

Nein. Man muss ja immer wissen, welchen Anspruch man an was zu stellen hat. Es gibt ja einen Unterschied zwischen einem Repertoirehaus und einem Festival. Und auch zwischen einem Schönbrunnkonzert und dem Neujahrskonzert. Die Ansprüche, die man an das Neujahrskonzert stellt, werden mustergültig erfüllt.

Inwiefern braucht ein solches Konzert einen wienerischen Zuckerguss?

Da muss man vorsichtig sein. Es gibt natürlich von dieser Musik auch Verkitschung, die später stattgefunden hat. Aus praktischen Gründen gab es all diese Arrangements für Kurorchester, damit die Musik auch verbreitet wurde. Aber diese Musik hat so viel Feinsinniges. Natürlich ist da mit dem Rummel, der um das Neujahrskonzert gemacht wird, ein gewisser Widerspruch vorhanden. Aber das ist auch eine Chance, die Echtheit sichtbar zu machen: Das ist nicht Tschinbumm und Tralala-Musik.

Ist das eines der am schwierigsten zu dirigierenden Konzerte?

Absolut. Das Klischee, dass das Orchester eh von alleine spielt, ist nicht richtig. Aber man kann es auch an Zahlen festmachen: Dieses Programm hat 200 verschiedene Melodien. Ich habe es nachgezählt. Das ist wesentlich mehr als in irgendeinem Symphoniekonzert.

Wie passen im Programm Wagner und Verdi zu den Sträußen?

Die Strauß-Familie hat ja nicht nur genial komponiert, das waren auch geniale Unternehmer. Johann Strauß hat nicht nur Tschaikowsky für Europa entdeckt, er hat auch die erste Wagner-Note in Wien gespielt. Das war ein Arrangement des Pilgerchores aus „Tannhäuser“. Mit seiner Kapelle. Strauß hat auch Verdi hoch geschätzt, es gibt einige Quadrillen von Johann und Josef Strauß, die Musik von Verdi verwenden. Zudem war Josef Strauß ein unglaublicher Wagnerianer. Ich wüsste keinen Komponisten des 19. Jahrhunderts, der auf die Sträuße verächtlich herabgeblickt hätte. Im Gegenteil: Die waren alle ein bisschen neidisch, wie viele gute Melodien die Sträuße hervorgebracht haben.

2013 ist ja das große Wagner- und Verdi-Jahr… das für alle Opernhäuser eine große Anstrengung ist. Man rauft um die gleichen Sänger und versucht sich bei Wagner gegenseitig auszustechen. Das ist ein eigenartiger Wettbewerb. Ich selber habe keinen sportlichen Ehrgeiz, alle Wagner-Opern, die wir im Repertoire haben, innerhalb von zwei Wochen zu dirigieren. Das widerspricht meinem Naturell.

Eine der interessantesten Wochen des Jahres wird jene vor Ostern sein, in der Christian Thielemann in Salzburg mit der Sächsischen Staatskapelle „Parsifal“ aufführen wird und dann Sie wenig später das gleiche Werk an der Staatsoper. Das könnte man aber doch fast als Match bezeichnen.

Überhaupt nicht. Es gibt ja keine letztgültige Interpretation. Die Salzburger haben Johan Botha als Parsifal, wir Jonas Kaufmann. Es ist fantastisch, wenn es in einem Land zwei Institutionen gibt, die so etwas auf so einem Niveau anbieten können. Zudem gefällt dem einen Wagner mit Herrn Thielemann besser, dem anderen Wagner mit mir. Ich finde das super. Wir sind sicher nicht in einem Match, wo man sagen kann: 1:0 für Wien oder 1:0 für Salzburg.

Sie haben zuletzt mit Ihrem Rückzug vom Salzburger Da-Ponte-Zyklus für eine kulturpolitische Debatte gesorgt. Ist dieses Thema für Sie erledigt?

Ich habe nur eine konsequente Haltung eingenommen. Ich bekomme viele Mails und Briefe, auch von Ärzten, in denen sinngemäß steht: Gott sei Dank hat endlich jemand diesen Wahnsinn angesprochen, denn wir kriegen dann immer nur die Sänger-Leichen geliefert. Das war nur vornehmer formuliert. Künstlerisch war diese Entscheidung für mich sehr schmerzvoll.

Ist damit auch der Rückzug von anderen Salzburger Projekten verbunden?

Es gibt noch drei weitere, bei denen ich nicht weiß, ob die Salzburger das noch machen wollen. Ich würde es machen. Wenn die Festspiele das anders sehen, nehme ich das auch zur Kenntnis.

Zuletzt gab es auch Diskussionen über die Wiener Philharmoniker und die Aufarbeitung ihrer Rolle in der NS-Zeit. Wir sehen Sie das?

Ich finde es interessant, dass das immer knapp vor dem Neujahrskonzert losgeht. Das ist ja nicht das erste Mal. Das ist politischer Populismus der Grünen, den man in Österreich eigentlich nur von der FPÖ gewöhnt ist. Ich finde es auch deshalb eigenartig, weil all diese Dinge schon seit Jahren einsehbar sind. Die Wiener Philharmoniker haben ihre Vergangenheitsbewältigung gemacht. Viel wichtiger ist aber, was das Orchester heute etwa für Krebskranke tut, dass man in Spitälern den Menschen vorspielt. Die richtige Vergangenheitsbewältigung ist die: Was tue ich heute, was für die Zukunft? Deshalb ist eine solche Attacke geradezu widersinnig und lächerlich.

Es sind zwei Familiengeschichten, die beim Neujahrskonzert 2013, dem 73. insgesamt, eine besondere Rolle spielen.

Die Herkunft des Dirigenten Franz Welser-Möst: Eine seiner Urgroßmütter, Aloisia Wild, war eine gebürtige Dommayer, Enkelin des berühmten Ferdinand Dommayer, der 1832 in Alt-Hietzing ein Casino mit Tanzsaal errichtete. Dort gab der damals 19-jährige Johann Strauß Sohn 1844 sein legendäres Debüt.

Die Geschichte der Hedwig Aigner-Strauß: Sie ist die Urenkelin von Josef Strauß, von dem bei diesem Neujahrskonzert sieben Stücke aufgeführt werden. Sie feierte im Juli ihren 90. Geburtstag und ist beim Neujahrskonzert Gast der Wiener Philharmoniker.

Augenhöhe

„Es ist ganz wichtig, dass es im Programm neben den musikdramaturgischen Gesichtspunkten auch eine Art Handlung gibt“, sagt Orchester-Vorstand Clemens Hellsberg. „Daher versuchen wir immer auch wichtige historische Daten oder runde Geburtstage einzubauen. Die Sträuße hatten ja zu sehr vielem etwas zu sagen. Und waren auch musikalisch auf Augenhöhe mit den Großen ihrer Zeit.“

So ist etwa die Einleitung zu den „Sphärenklängen“ von Josef Strauß, die den zweiten Teil des Konzertes eröffnen, mit der Begeisterung des Komponisten für Richard Wagner zu erklären. Zum ersten Mal erklingen beim Neujahrskonzert ja auch Werke von Richard Wagner und Giuseppe Verdi, den beiden Jahresregenten (beide wurden 1813 geboren). Von Wagner ist das Vorspiel zum dritten „Lohengrin“-Aufzug zu hören. Diese Oper brachte 1861 auch die erste Begegnung des Bayreuther Meisters mit den Wiener Philharmonikern und war „augenblicklich von größter Herzlichkeit geprägt“ (Hellsberg).

81 TV-Stationen werden das Ereignis aus dem Musikverein übertragen. Das ist Rekord. Vor 15 Jahren waren es noch 40. Wie jedes Jahr spenden die Philharmoniker auch diesmal 100.000 Euro aus den Einnahmen der Voraufführung: Sie gehen an die Katastrophenhilfe österreichischer Frauen, das Wiener Hilfswerk, die mission:possible und das St. Anna Kinderspital.

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