ATV-Chef fordert die Medienpolitik

Martin Gastinger, ATV-Geschäftsführer
Martin Gastinger versucht Allianz gegen Werbefenster deutscher Sender

Die Situation lässt auch einen ORF-Generaldirektor im Wahlkampfmodus nicht kalt. "Wir sind die Nummer eins bei den Zuschauern, aber die deutsche ProSiebenSat1-Puls4-Gruppe hat uns in der Werbung überholt, da fließen Hunderte Werbemillionen ab nach Deutschland", klagte Alexander Wrabetz jüngst dem Fachblatt Horizont. Auch Berater Markus Andorfer verwies eben im KURIER auf die Dominanz deutscher TV-Werbefenster.

Und erst recht muss einem heimischen Privatsender-Chef die Hutschnur hochgehen. "Die Größe dieser deutschen Senderfamilien ist inzwischen wettbewerbsrechtlich bedenklich", meint ATV-Chef Martin Gastinger im KURIER-Interview.

Klare Sache

Die Verteilung bei den TV-Werbeausgaben in Österreich, die sich 2015 laut Focus Media Research auf brutto etwa eine Milliarde Euro beliefen, zeigt deutlich: Fast 40 Prozent gehen an SevenOne, den Vermarkter der ProSiebenSat1-Puls4-Gruppe, insgesamt lukrieren deutsche Werbefenster nahezu 60 Prozent. Gastinger: "Die heimischen Privatsender werden aktuell nicht von Google, YouTube und Co. bedroht, sondern von Milliardenunternehmen wie der ProSiebenSat1-Gruppe und deren Vermarktern."

Den Einwand, dass diese, im Gegensatz zur RTL-Group, immerhin Puls4 betreibt, lässt der ATV-Chef nicht gelten. Und er warnt: "Findet man keine Regelung, die österreichische Werbemillionen an österreichische Wertschöpfung koppelt, wird es die Produzentenlandschaft in Österreich nicht überleben."

Was ihn noch zusätzlich ärgert, ist "Etikettenschwindel": "Nur weil sich ihre Programme ,Austria‘ nennen, sind sie noch lange keine österreichischen Sender. Und unterwerfen sich auch nicht österreichischen Gesetzen." Dass, im Fall der ProSieben-Gruppe, diese "noch indirekt gefördert werden, indem subventionierte Programmteile wie ,Café Puls‘ auch auf den deutschen Sendern durchgeschaltet werden", ist für Gastinger fast unfassbar.

Allianz

Der ATV-Chef will deshalb eine Allianz schmieden – mit anderen in Österreich lizensierten Sendern und darüber hinaus: Bei Medienminister Thomas Drozda (SPÖ) war er bereits, auch ORF-Stiftungsräte, General Wrabetz und Finanzchef Richard Grasl wüssten um die Problematik. Denn "auch der ORF ist in der Pflicht, die Medienpolitik wachzurütteln, was die Marktmacht dieses Mitbewerbs anbelangt, denn die Schräglage wird sich durch Gruppendeals weiter verstärken, Geld wird selbst am ORF vorbeigehen."

Die Freundlichkeit Richtung ORF hat aber auch Grenzen: Auf Gastingers Wunschzettel an die Politik steht die "Entflechtung" des Infrastrukturbereitstellers ORS - vormals ORF-Sendetechnik - vom ORF, der 60 Prozent hält. "Das ist ein schlampiges Verhältnis – wir zahlen an die ORS und unterstützen so den ORF." Für Gastinger nicht akzeptabel.

Eine dringende, schon öfter vorgebrachte Forderung an die Politik betrifft die Einspeisung in Kabelnetze. Die müssen den ORF transportieren, aber heimische Private nur berücksichtigen. ATV bezahlt dafür beispielsweise jährlich 600.000, der ORF und deutsche Öffentlich-Rechtliche aber nichts. "Die gesetzlichen Regelungen reichen nicht aus", betont Gastinger, der eine "fixierte Vorreihung und Bevorzugung heimischer Privatsender" erreichen will, die auch für TV-Geräte-Hersteller, Plattformen, Module und Aggregatoren gelten soll. Und Gastinger warnt: "Wenn sich die Medienpolitik nicht bald bewegt, wird es in absehbarer Zeit kein Privatfernsehen mehr geben, das sich zu Recht österreichisch nennen darf."

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