Mr. Robinson

Sehr viel Platz. Sehr weit weg von daheim. Sehr allein: Matt Damon als Astronaut Mark Watney in der Verfilmung des Bestsellers „Der Marsianer“
"Der Marsianer" – der Sensations-Bestseller über einen einsamen Mann im Weltraum wird auch als Film ein Hit. Sein Geheimnis: Er huldigt der Robinsonade – einem der ältesten Themen der Literatur – mit zeitgemäßen Mitteln.

Ein Mann, allein auf sich gestellt. Von allen verlassen. Wie wird er sich entwickeln? Wird er an den Aufgaben, die auf ihn zukommen, wachsen – oder wird er zerbrechen? Ein großes Thema der Menschheit, das schon die alten Ägypter und antiken Griechen fasziniert hat: Wie stark machen uns Zivilisation und Kultur im Angesicht einer überwältigenden Einsamkeit – und lebensbedrohlicher Umstände?

"Ich bin so was von im Arsch", sagt Astronaut Mark Watney, als er sich eben dieser Situation bewusst wird. Er war Mitglied der dritten bemannten Mars-Mission, ein schwerer Sandsturm zwang seine Chefin Melissa Lewis und seine Kollegen zum überstürzten Abflug vom Mars. Watney ließen sie zurück, er war vermisst, wurde für tot gehalten. 228 Millionen Kilometer von der Erde entfernt sitzt er mutterseelenalleine auf dem Mars. DAS ist eine einsame Insel, von der sich auch Robinson Crusoe noch eine Scheibe abschneiden könnte.

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Und natürlich ist es ein Eröffnungssatz, der schon darauf hinweist, weshalb der Roman des Software-Entwicklers und Hobby-Autors Andy Weir ein derartiger Überraschungserfolg werden konnte: Wir haben es mit einem Menschen zu tun. Jemand, mit dem wir uns identifizieren können und mit dem wir umso mehr mitfiebern. Beinahe jemand wie "du und ich".

Gut, er ist Astronaut und Botaniker – aber doch nur das geringste Mitglied einer Crew, die ohne ihn zurück in die sichere Heimat fliegt. Ein ähnlicher literarischer Trick sorgte dafür, dass Odysseus bis heute überlebt hat: nicht der strahlendste, stärkste, edelste und heldenhafteste unter den trojanischen Helden begeisterte die frühen Hörer und späteren Leser, sondern der nicht ganz so strahlende, nicht ganz so unbesiegbare. Der, mit dem man sich noch am ehesten identifizieren kann. Der improvisieren muss, weil er eben keine übernatürlichen Kräfte hat. Der seinen ganzen Witz braucht, um zu bestehen – und ein wenig Glück obendrein.

Dazu kommt, dass Autor Andy Weir, der schon seit 15 Jahren Science-Fiction-Kurzgeschichten auf seiner Homepage veröffentlicht, sehr plausibel beschreibt, wie der Astronaut es schafft zu überleben. Schritt für Schritt erkämpft sich Mark Watney eine kleine, bewohnbare Welt im All, jede Kleinigkeit eine immense Herausforderung, wobei Weir Wert darauf legt, dass alles tatsächlich im Bereich des Möglichen und damit nachvollziehbar bleibt. "Ja, das hab ich schon mal gegoogelt, das könnte funktionieren", denkt sich jeder, der sich ein wenig für Technik interessiert.

War es bei Robinson Crusoe noch die Kraft der Bibel, die ihn nicht zusammenbrechen und eine heute etwas arrogant wirkende Überlegenheit zivilisatorischer Prägung über die tumbe Wildnis, die ihn schließlich erfolgreich sein ließ, ist es bei Mark Watney das – im besten Fall – umfassende Halbwissen der Digital Natives, das sein Überleben sichert. Watneys Bibel ist das Internet, seine kulturelle Prägung sind die sozialen Netzwerke. So bleibt er bis zur unvermeidlichen Rettung durch Raumschiffkommandantin Lewis unser Kumpel, dem – fast – nie der Witz ausgeht.

Die Planeten sind uns heute nicht viel ferner als die pazifischen Inseln den Fregatten des 16. Jahrhunderts. Sie sind da und wir werden sie besuchen, den Mars zuerst, "weil wir es können", wie Wolfgang Baumjohann, Direktor des Instituts für Weltraumforschung, in einem "freizeit"-Interview erklärt hat.

So wird das All zum Ozean des 21. Jahrhunderts – und der "Marsianer" der perfekte Robinson dieses neuen Zeitalters.

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2009 begann der amerikanische Computertechniker Andy Weir an seinem Roman „Der Marsianer“ zu schreiben. Nachdem er von mehreren Verlagen abgelehnt worden war, stellte er die Story seinen Lesern gratis kapitelweise auf seiner Homepage zur Verfügung. Auf Anfrage einer schnell wachsenden Zahl von Fans produzierte er auch eine „Kindle“-Version, die er zum Mindestpreis von 99 US Cent verkaufte. 2013 erhielt er für die Print-Rechte einen sechsstelligen Dollar-Betrag. Wenig später meldete sich Hollywood wegen der Filmrechte bei ihm ...

Der Autor legte bei der Handlung sehr viel Wert auf Authentizität. Alles ist gründlich recherchiert und tatsächlich möglich. Bis auf den Sandsturm zu Beginn, der die Robinsonade auslöst. Den könne es in der dünnen Mars-Atmosphäre nicht geben, wie Weir selbst zugibt. Aber er war eben notwendig ... Derzeit arbeitet Weir an einem „traditionelleren“ Science Fiction Roman. Mit Außerirdischen, Telepathie und Über-Lichtgeschwindigkeit.

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TORONTO, ON - SEPTEMBER 11: Author Andy Weir attends the premiere for "The Martian" at Roy Thomson Hall during the 2015 Toronto International Film Festival on September 11, 2015 in Toronto, Canada. (Photo by Taylor Hill/FilmMagic)

Wenn’s um ganz große Bilder aus dem Weltraum geht, gibt’s einen Namen, der seit fast 40 Jahren unerreicht ist: Ridley Scott. Er übernahm auch die Regie bei der Verfilmung des „Marsianers“. In der Hauptrolle glänzt Matt Damon, die toughe Raumschiffkommandantin spielt die wunderbare Jessica Chastain. Premiere war Anfang September beim Filmfestival in Toronto, ab 9. Oktober ist er in den heimischen Kinos zu sehen.

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DARF NUR FÜR DIE WOCHE 40/2015 in der FREIZEIT verwendet werden!!!!

Robinson Crusoe“, das Original von Daniel Defoe aus dem Jahr 1719 wurde unzählige Male bearbeitet (u.a. von Jules Verne) und verfilmt. Eine der werkgetreusten Verfilmungen gibt’s übrigens mit einem Österreicher in der Hauptrolle: Robert Hoffmann spielte 1964 den Robinson...

Aber schon die alten Ägypter hatten vor 3.000 Jahren ihre Version der „Geschichte des Schiffbrüchigen“. Homers Odyssee beinhaltet Elemente des Genres und die arabische Welt kennt die 1.000 Jahre alte Geschichte „Der Lebende“ von Ibn Tufail.

Außerdem unbedingt lesens- und sehenswert:
Lord Of The Flies“, Roman von William Golding. Die totale Umkehr des „Zivilisation besiegt Wildnis“-Schemas.
Die Wand“, Roman von Marlen Haushofer, eine der wenigen Robinsonaden mit weiblicher Hauptrolle. Verfilmt mit Martina Gedeck.
All Is Lost“, Seefahrer-Drama mit Robert Redford als einzigem Schauspieler.

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