Metropole zwischen Moldau und Moderne

Die legendäre Karlsbrücke. Thomas Mann schrieb 1935 über Prag: „Ich bin froh, wieder einmal hier zu sein, in dieser Stadt, deren architektonischer Zauber fast einzigartig unter allen Städten der Welt ist.“
Sie ist eine üppige Schönheit, die sich neu erfindet: Prag, die tschechische Hauptstadt, lockt mit Party, Patina & Protest.

Am 16. Jänner 1969 gegen 16 Uhr geht ein junger Mann zielsicher zum Platz vor dem Nationalmuseum. Mit Aktentasche und Benzinkanister. Er legt die Tasche auf den Boden, übergießt sich mit Benzin, zündet sich mit einem Streichholz an – und läuft als lebende Fackel den Wenzelsplatz hinunter: Jan Palachs Protest gegen die Niederschlagung des Prager Frühlings. Ein Straßenbahner wirft seinen Mantel über den Studenten. Zu spät. 85 Prozent seiner Haut sind verbrannt, drei Tage später stirbt Palach im Spital. Unser Land steht davor, der Hoffnungslosigkeit zu erliegen, weitere Fackeln werden in Flammen aufgehen, liest man im Abschiedsbrief, der sich in der Aktentasche befindet. Die Wahrheit und die Liebe müssen die Lüge und den Hass besiegen, verkündet der Dramatiker und Menschenrechtler Václav Havel zwanzig Jahre später. Zuvor gilt er als Staatsfeind, die Schlüsselfigur im gewaltlosen Kampf gegen das Regime sitzt fünf Jahre im Gefängnis – nach der Samtenen Revolution, ist er plötzlich der neue tschechische Staatspräsident.
Die Prager Schicksalstage, die dunklen Stunden der Diktatur, sind längst vorbei. 40 Jahre Kommunismus waren eine prägende Ära, aber nur ein beklemmendes Intermezzo im Vergleich zu vielen Jahrhunderten als magische Mitte am Schnittpunkt Europas. Heute ist bei den meisten Jungen Jan Palach vergessen. Václav Havel, der Freiheit ermöglichte, kennt man gerade noch. Politik ist voll uncool, Mode und Musik, Stars und Lifestyle, grenzenloser Kommerz und Konsum sind die Magneten des Lebens. Wie die Palladium Mall, der in einen Bau aus dem 19. Jahrhundert hineingezwängten Shoppingtempel ohne irgendeinen Sinn für Proportionen. Mehr als 200 Geschäfte als Garant für Einkaufsrausch. Danach der Drink im angesagten SaSaZu-Club, wo man am family sunday auch isst – wenn die Eltern bezahlen. Zwischen den einzelnen Gängen wie Crazy Octopus, Phnom-Penh-Fish und N.Y.-Cheese-Cake entspannen sich die Burschen während einer Thai-Massage, die Mädchen träumen bei Yoga von einer Karriere als tschechisches Topmodel: Vom sagenhaften Aufstieg der Karolina Kurkova, deren Marktwert von fast 50 Millionen Euro vier Mal so hoch ist, wie der des FC Arsenal-Tormanns Petr Čech, dem teuersten Fußballer Tschechiens. Abschreckend ist allerdings das Schicksal der Prada- und L’Oréal-Ikone Kateřina Netolická, die unter Depressionen litt und deren mysteriöser Tod in ihrer Badewanne weiterhin wilden Spekulationen freien Lauf lässt. Neben der Wanne lagen, auch tot, ihre beiden Hunde.
Prag gilt als Europas Hauptstadt der Hunde. Schon seit dem braven Soldaten Schwejk und seinem Terrier, dem treuen Begleiter von einer Kneipe in die nächste. In mehr als 40 Prozent der tschechischen Haushalte leben ein oder mehrere Hunde. Die meisten davon in Prag. Ein großer und schmerzlicher Verlust eines Familienmitglieds war der Tod der vierzehneinhalbjährigen Sugar im Jahre 2006. Die Boxerhündin von Vaclav Havel und seiner Frau Dagmar entschlief im Kreise ihrer Angehörigen. Nach Prag wurde sogar eine eigene Hunderasse benannt, der Pražský Krysařík (Prager Rattler), ein Pinscher, der früher an den Adelshöfen Mäuse und Ratten jagte. Als der Politiker Jiří Paroubek wegen einer Jüngeren seine Frau Zuzana verließ, verkündete diese in einem Interview, sie leide überhaupt nicht unter der Trennung. Auch Andy nicht. Andy, der Dackel.

Metropole zwischen Moldau und Moderne
Prag - WO48

Reisende mit einem Hang zur Klaustrophobie sollten die üppige Schönheit an der Moldau im Winter besuchen. Ab Ostern drängen sich jährlich rund neun Millionen Menschen durch die historische Altstadt, über den Altstädter Ring, die Karlsbrücke hinauf zum Hradschin. In der Goldenen Stadt wird man im Pulk der Touristenhorden durch die frisch renovierten Jahrhunderte getrieben. Auf den Spuren der Vergangenheit findet man auf engstem Raum Paläste voller Patina, Prachtbauten der Gotik, beklemmend schöne Renaissance-Portale, Juwelen des Jugendstils, richtungsweisende Architektur des Art déco und strengen Funktionalismus. Bis zu Frank O. Gehrys Tanzendem Haus. Dazwischen überall die unsäglichen Souvenir-Geschäfte mit in Asien produziertem Kitsch aller Art – wie in den anderen Touristenfallen Europas.
Allerdings, so frech, so fantasiereich wie hier neppt man nirgends sonst: Am Eingang in die Zlatá ulička, ins Goldmachergässchen, wo im 16. Jahrhundert angeblich Alchemisten lebten, die für Kaiser Rudolf II. Gold erzeugten, hat man heute – wie bei einem Skilift – ein Drehkreuz errichtet. Für die Besichtigung von elf buntbemalten Häusern, in denen natürlich Souvenirs angeboten werden, verlangt man schamlos Eintrittsgebühr. An manchen Tagen zählt man hier mehr Besucher als auf der Karlsbrücke, über die man (noch) gratis gehen kann.
Prag hat sich während der letzten Jahre zu einer wachen, weltstädtischen Metropole zwischen Moldau und Moderne entwickelt, die längst mit Wien, Berlin oder Budapest mithalten kann. Nicht nur Kulturerlebnisse und die Postkartenidylle einer Stadt, die von keinem Krieg zerstört wurde, locken in die tschechische Hauptstadt. Es gibt kaum Sperrstunden für Kneipen, Strip- und Nightclubs. Mit willigen Mädchen und billigem Bier – das Party-Prag von heute. Immer mehr junge Engländer und Skandinavier werden in die Stadt gespült: Berühmt-berüchtigt sind ihre Junggesellen- und Junggesellinnenabschiede mit Betrunkenen in Superman- oder Schulmädchen-Uniformen, die bis zum frühen Morgen durch die Lokale torkeln. Tour-Anbieter wie Prague Week bieten günstige Party-Pakete an. Ein Däne rechnete der Zeitung BT vor, was seine Freunde und er für 600 Euro erlebten: Eine Stretch-Limousine, 14 Flaschen Champagner sowie die ständige Begleitung zweier Stripperinnen. Einige Hotels haben inzwischen Skandinavien- und Engländer-Etagen eingerichtet, sofern sie solche Gruppen nicht abweisen.
Metropole zwischen Moldau und Moderne
Prag - WO48
Erst mit dem Herbstlaub verschwinden die Fremden. Dann gehört Staré Mesto, die Prager Altstadt, wieder den letzten verbliebenen Einheimischen. Von den früher rund 100.000 Einwohnern ist weniger als ein Zehntel geblieben. Wehmütig erinnern sich Ältere an früher.
Ohne grölende Teenager. Als Kafka und Kisch, Rilke und Werfel noch hier lebten. Wenn ein Teil der Stadt schlafen geht, während ein Teil der Stadt erwacht. Magische Momente in der Stunde des Schichtwechsels. Überrascht erkennen die von der letzten Nacht Übriggebliebenen, dass es schon wieder Tag geworden ist, knöpfen sich fröstelnd die Jacke zu und zünden sich die letzte Princesas an. Vielleicht in einer der Suppenstuben noch schnell eine Dršt’ková polévka, eine Kuttelflecksuppe, dazu ein malé pivo, das letzte, kleine Bier, bevor man sich endgültig auf den Heimweg macht. Aus einem Varieté ertönt zum Abschied die Rausschmeißer-Nummer, der Rákóczi-Marsch. Mächtige Staubwolken kündigen das Herannahen der Hygieia an, der Prager Straßenkehrer. Ein weißer Molkereiwagen wird von allerersten Sonnenstrahlen gestreift, dahinter poltert ein schweres Gefährt über das Kopfsteinpflaster der Altstadt-Gassen: Die Kanalräumer haben ihr nächtliches Tagewerk beendet. Lastwagen, auf deren Ladefläche sich Gemüseberge türmen, auf dem Weg zum Zentralmarkt, den Bauch von Prag. Erschöpfte Animiermädchen, Taxifahrer und Tänzerinnen freuen sich aufs eigene Bett, Zeitungskolporteure preisen die Morgenausgabe an.
In den Cafés finden sich selbsternannte Literaten, Lebenskünstler und Journalisten zum ersten Kaffee ein. Und erzählen wie Friedrich Torberg – immer wieder – dieselben Geschichten. Wie jene von Karl Tschuppik, dem legendären Chefredakteur des Prager Tagblatts: Eines Nachts, mitten während des Ersten Weltkriegs, wandte er sich an die heftig Trinkenden und laut Debattierenden, die sein Zimmer besetzt hielten, Kinder, es ist schon lang nach Mitternacht – in zwei Stunden erscheint das Blatt – lasst’s mich endlich arbeiten!
Höhnische Zurufe wiesen ihn zurecht, nach einer Weile wurde Tschuppik leicht nervös: Jetzt wird’s Zeit, Kinder. Ich geh´ schreiben, in einer halben Stunde muss ich fertig sein. Auf die Frage, was er denn schreiben müsse, antwortete der Journalist: Den Leitartikel. Der Kaiser ist gestorben.

HOTELS

Design Hotel Josef
(Danke für den Tipp, Jana Patsch) Viel Licht, viel Luft und klare Linien: Im Zentrum auf der Rybná 20 gelegen, bietet das 4-Sterne-Hotel „Josef“ all das, was man sich von einem Cityhotel erwartet: guten Geschmack, ausgezeichneten Service, herrliches Frühstücksbuffet. Und der Preis ist auch okay.
www.hoteljosef.com

Musikhotel Aria
Ein Hotel mit ganz besonderer Note. Das luxuriöse Boutique-Hotel auf der Mala Strana bietet 51 Zimmer der 5-Sterne-Kategorie mit herrlichem Blick über die Stadt. Jedes der vier Stockwerke ist einem Musikstil gewidmet: Pop, Klassik, Jazz und Oper geben die Töne an.
www.ariahotel.net

Villa Schwaiger
Ruhig gelegen, inmitten der alten Jagdgründe oberhalb der Prager Burg, befindet sich das seit 1921 denkmal- geschützte Haus „Villa Schwaiger“. Das 2010 stilvoll renovierte Hotel bietet heute 22 gediegen eingerichtete Zimmer, ein Mini-Spa und ein ausgezeichnetes Restaurant.
www.villaschwaiger.com


RESTAURANTS

Mlynec
Nicht nur der Blick ist einer der großartigsten der ganzen Stadt. Auch die Küche. Die Karlsbrücke zum Greifen nah, isst und trinkt man im Restaurant Mlynec hervorragend.
www.mlynec.cz

Na Kopci
Von Michelin ausgezeichnet, bietet dieses untouristische Lokal inmitten des ruhigen Stadtteils Smíchov, nicht nur ein sehr gutes Preis-Leistungsverhältnis, sondern auch hervorragende original tschechische Speisen.
www.nakopci.com

Lokal Dlouhááá
Das „Lokál Dlouhááá“ ist eines der besten Pilsner-Bierlokale der Stadt mit sehr guter böhmischer Wirtshausküche.
lokal-dlouha.ambi.cz

BARS

Tretter’s
Der Klassiker unter Prags Cocktailbars wurde vom Amerikaner Michael Tretter gegründet. Junges Publikum, koloniales Interieur und angeblich die besten Cocktails der Stadt.
www.tretters.cz

Buddha Bar
800 Quadratmeter exotisches Bar-Feeling im legendären Buddha Bar-Hotel. Wer sich schon nicht den Luxus einer exquisiten Suite leisten will, sollte hier zumindest ein, zwei Drinks nehmen.
www.buddhabar.com

SaSaZu
Bar/Restaurant/Hot Spot: Im SaSaZu gibt es Cocktails zu fairen Preisen, erlesene asiatische Küche, Yoga und Thai-Massage – und am family Sunday Kinderkochen.
www.sasazu.com

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