Das Machatschek-Getue wurde mir in die Wiege gelegt

Das Machatschek-Getue wurde mir in die Wiege gelegt
Societypfarrer, Don Camillo, Stadtpriester? Toni Faber, 54, nennt sich am liebsten City-Missionar. Der Herr über den Stephansdom leitet ein Unternehmen mit 80 Mitarbeitern und hat vor allem rund um Ostern besonders viel zu tun. Trotzdem hat er sich Zeit genommen, um mit der über die Kraft der Auferstehung, seine Stärken, aber auch seine Schwächen zu reden.

Herr Dompfarrer, stört es Sie, wenn Sie in diesen Tagen öfter hören, dass bald der Osterhase kommt?

Es stört mich nicht, aber es trifft in keinster Weise das, was wir zu Ostern feiern. Der Osterhase ist eine lustige Sache und ich gönne jeder Naschkatze ihren Schokohasen. Aber, was wir zu Ostern feiern, hat mit einer Kraft zu tun, die den Osterhasen weit übersteigt. Es ist ein Fest gegen die Schwerkraft, die uns hinunterzieht, ein Fest, das uns zeigt, dass die Endlichkeit des Lebens nicht das letzte Wort ist, sondern die Kraft der Auferstehung über dieses Leben und den Tod hinausgeht.

Ostern ist ja auch das höchste Fest der katholischen Kirche.

Emotional ist Weihnachten für viele Menschen als Familienfest wichtiger, aber theologisch ist Ostern das höchste Fest, weil erst durch die Auferstehung Jesu Christi seine Geburt verstanden wird. Ich glaube, es ist uns über die Jahrhunderte nicht gelungen, das den Menschen klar zu machen. Aber das macht nichts. Wir bieten Feste wie den Osterfestkreis an, um Menschen Sinn und Orientierung in ihrem oft gleich ablaufendem Leben zu geben. Es ist nicht nur ein Nachspiel dessen, was einmal war.

Gestern war Karfreitag, der letzte Tag der Fastenzeit. Haben Sie sich kasteit?

Jeder Freitag ist ein Fastentag, der Karfreitag und der Aschermittwoch ganz besonders. Ich mache es persönlich so, dass ich in den Semesterferien sieben Tage strikt faste. Da fahre ich weg, gewinne Abstand und nehme nichts Festes zu mir. Das bringt nicht nur eine Freiheit des Darmes, sondern auch des Herzens und eine ganz fantastische Freiheit des Kopfes. Den Rest der Zeit versuche ich auf Alkohol oder etwas besonders Schmackhaftes zu verzichten. Aber das ist nur eine Übung des Fastens. Fasten im wahren Sinne des religiösen Wertes, bedeutet immer, frei zu werden für jemand anderen – für Gott, den Nächsten oder mich selbst zur wirklichen Reifung.

Viele Menschen kennen Sie aus dem Fernsehen, weil Sie gern gesehener Gast bei Society-Events sind. Wie viel Zeit bleibt Ihnen für das Pfarrleben?

Die erste Aufgabe für mich ist, für die Gläubigen da zu sein. Wir haben im Stephansdom 5,6 Millionen Besucher pro Jahr, für die es neun Sonntagsgottesdienste und an jedem anderen Tag sieben Gottesdienste gibt. Zwischen 7 und 22 Uhr gibt es Möglichkeiten zur Beichte und Aussprache. Ich selbst habe dazu pro Jahr 30 Trauungen, 60 Taufen und 30 Begräbnisse. Ich bin also ganz normaler Pfarrer, neben dem, dass wir auch ein großes Unternehmen mit 80 Angestellten sind. Dann versuche ich noch, die Kirche in der Öffentlichkeit zu repräsentieren.

Dafür ernten Sie oft Kritik. Es heißt, Sie wären der Pfarrer der High Society. Trotzdem suchen Sie die Öffentlichkeit. Machen Sie sich so nicht angreifbar?

Ich möchte nicht der spirituelle Großmeister sein, kein Einsiedler oder Mönch, sondern ein Leut(e)Priester, der den Menschen zur Freude verhilft. Da bewähren sich viele Aktionen, mit denen ich versuche, für Menschen da zu sein. Ich hinterfrage sehr, ob ich zeitgeistige Dinge nur mache, um modern und bei den Menschen beliebt zu sein. Beifall und Anerkennung tun nicht weh. Bei Kritik habe ich eine relativ dicke Haut entwickelt, damit ich nicht beleidigt bin, depressiv werde oder jemandem etwas nachtrage. Manche meiner Kritiker kann ich auch gewinnen. Es ist ein sportliches Unterfangen, jemanden, der nur einen medialen Teil der Wirklichkeit von mir erfasst und dennoch glaubt, den ganzen Toni Faber zu kennen, zu einem Gespräch einzuladen.

Was sagen Sie Kritikern?

Dass ich kein Wunderwuzzi bin, aber versuche, vieles aus religiösen Motiven zu tun. Ich bin fehlerhaft und geniere mich nicht, das zuzugeben. So kann ich manche gewinnen. Bei anderen sage ich mir, irgendwann kommt jeder in meine Gasse. Einmal hieß es in einer Zeitungskolumne, ich hätte meinen Beruf total verfehlt. So eine Beurteilung freut mich zwar nicht, aber ich denke mir: Wenn der Autor alt und krank wird und vor dem Ende seines Lebens steht, bin ich mir unsicher, ob er so eine Aussage, mein Wesen betreffend, aufrecht erhalten wird können.

Verlangt die Kirche nicht zu viel von den Menschen? Vielleicht sind Bürger deshalb kritischer mit Geistlichen.

Die Kirche ist nicht unfehlbar in den Meinungen, die sie anbietet. Wir können nicht mehr als religiös-moralische Instanz auftreten – unabhängig von der eigenen Rückfrage: Halte ich dem selbst stand? Wir sind auch nicht mehr gesellschaftsbestimmend, sondern ein Anbieter von vielen, wenngleich ein sehr bewährter. Wenn Menschen heiraten, ihrem Kind das Beste mitgeben wollen, oder mit Schmerz, einer Krankheit oder einem Trauerfall richtig umgehen wollen, haben wir bewährte Instrumente an der Hand. Das darf nicht überheblich daherkommen, sondern muss einer modernen Form der Kirche entsprechen, wie sie Papst Franziskus repräsentiert. Aber es ist nicht so, dass alles geht. Man muss sich auch an Werte halten.

Ist es nicht leichter, Werte einzuhalten, wenn man, wie Sie als Geistlicher, keine existenziellen Nöte wie Jobangst, Verantwortung für die eigene Familie oder hohe Mieten zu tragen hat?

Das ist natürlich eine Form von Freiheit in der Kirche, dass ich keine Jobangst habe. Ich darf bis 75 arbeiten und will das auch. Ich habe einen Traumjob, habe natürlich auch wirtschaftliche Sorgen mitzutragen, aber nie existenzielle. Ich habe keine Angst, dass ich auf der Straße sitzen könnte oder unter der Brücke schlafen müsste. Ich kenne aber viele Menschen, die diese Sorgen haben und teile sie mit ihnen, indem ich versuche zu helfen. Das kann ein Job sein, den ich vermittle oder eine Wohnung. Ich habe vor 20 Jahren den Verein Immo-Humana mitbegründet. Wir konnten 300 Müttern in Wohnungsnot eine Startwohnung vermitteln. Das heißt, dass ich meine Freiheit von irdischen Sorgen nütze, um Menschen beizustehen.

Stimmt es, dass Sie Armut aus Ihrer Kindheit kennen?

Ja, ich bin von einer alleinerziehenden Mutter mit vier Kindern im Gemeindebau in Wien in sehr ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen. Der Vati, der inzwischen schon verstorben ist, hatte uns leider verlassen.

Sind Sie der einzige Geistliche in der Familie?

Ja, ein Bruder ist Fotograf, eine Schwester Hausfrau, die andere ist bei der Gewerkschaft, ein Bruder Bühnenmeister beim ORF, ein weiterer Innenausstatter.

In Zeitungsberichten über Sie variiert die Anzahl Ihrer Geschwister. Warum?

Wir sind in der zweiten Ehe meines Vaters zu viert großgeworden. In erster Ehe hatte mein Vater zwei Kinder, in dritter ein Kind und vor der Ehe noch drei uneheliche Kinder. Daher ergeben sich unterschiedliche Zahlen.

Waren Sie ein glückliches Kind?

Ich hatte definitiv weniger als meine Klassenkollegen und habe erst kürzlich in einem Interview erzählt, dass es bei uns keine Wurstsemmeln gab. Ich hatte auch keine Jeans. Die erste, die ich bekommen habe, war in einem Textilpaket von der Pfarre. Wir waren definitiv arm, aber ich war nicht unglücklich. Wir hatten Spiel, Sport und Gemeinschaft. Viele meiner Kollegen aus dem Gemeindebau damals sind ins Kriminal und in die Drogenabhängigkeit gerutscht. Ich hatte das Glück, durch die Pfarre und die Kinderfreunde eine Sozialisation zu erfahren. Sie haben mir die Chance gegeben, aus kleinsten Verhältnissen kommend, Verantwortung zu übernehmen.

Und heute sind Sie der berühmteste Pfarrer Österreichs.

Manche meinen das. Für mich ist die Bekanntheit ein großes Geschenk. Es tut mir gut, so zu wirken, fordert mich aber auch. Bewähre ich mich als Pfarrer oder tue ich etwas nur meines Rufes Willen? Das hinterfrage ich täglich. Ich bin sehr froh, dass ich Basiskontakte habe. Ich habe meine Arbeit, eine Flüchtlingsfamilie, eine eigene Familie und Freunde, unabhängig von der Kirchengemeinde. Sie holen mich immer wieder auf den Boden zurück, damit ich nicht glaube, dass ich als bekanntester Pfarrer irgendwas machen kann.

Sie sind auch der Pfarrer mit den höchsten Wiedereintritten.

Das ist statistisch völlig klar. Ich habe über 80 Wiedereintritte pro Jahr, der Pfarrer nach mir hat höchstens 30. Das ist eine tolle Zahl an Persönlichkeiten, obwohl ich gehofft habe, dass mit Papst Franziskus noch mehr wiedereintreten. Das hat sich nicht ergeben, obwohl manche, wie eine Philosophiedozentin, die in Wien und den USA unterrichtet und in einer lesbischen Beziehung lebt, ohne ihn sicher nicht zurückgekehrt wären. Die vergangenen 20 Jahre haben mir gezeigt, dass bei Wiedereintritten die persönliche Betroffenheit aber die größte Rolle spielt. Manche wollen heiraten, als Tauf- oder Firmpate fungieren, andere haben ein prägendes Erlebnis. Ein Mann zum Beispiel ist nach dem Absturz der Lauda-Air-Maschine 1991 ebenfalls in eine brenzlige Flugssituation geraten. Er schwor sich, wieder katholisch zu werden, wenn er den Flug überlebt und hat Wort gehalten.

Ist es nicht schwach, wieder einzutreten, nur weil man, pardon, die Hosen voll hat?

Natürlich wäre es klug, die Kraft und den Mut zu schöpfen, eine Beziehung auch am Leben zu erhalten, wenn man sie nicht unbedingt braucht, ich aber weiß, dass sie mir gut tut. Wenn ich einen Freund nur in der Not anrufe, wird er beim zehnten Mal auch sagen: „Warum brauchst du mich immer in schlechten Momenten, aber nie in feierlichen und dankbaren?“

Wenn Sie sprechen, sitzt jedes Wort. Woher haben Sie diese Gabe?

Es war schon als Jugendlicher klar, dass ich mit Menschen zu tun haben will. Ich war in der Pfarre aktiv, aber auch als Jungschar-Gruppenleiter, Ministrant, Klassen- und Schulsprecher. Dieses Machatschek-Getue, das bemüht Sein um andere, wurde mir in die Wiege gelegt. Jetzt versuche ich, das als City-Missionar zu nutzen. Dompfarrer zu sein, ist für mich ein Traumjob, wo ich gerade in meinen Krankheiten, die ich da und dort habe, immer wieder vom lieben Gott gefragt werde: „Benützt du deine Gaben richtig? Werde nicht übermütig, sondern nütze die Gelegenheiten, um für die Menschen da zu sein.“

Sie haben Ihr Leben Gott gewidmet, als Sie mit 18 Jahren an einem Nierenleiden fast gestorben wären. Muss man zum Dank gleich Pfarrer werden?

Ich hatte viele Ideen für meine Zukunft. Tierarzt, Offizier, Schauspieler oder Rechtsanwalt. Aber als ich 18 und krank war, hat mich die Frage, was Gott will, dass ich mache, bestimmt. Es gab keine Unsicherheit, dass ich als Priester den Menschen und Gott dienen will. Natürlich war ich auch als Priester nicht hundertprozentig treu, nächstenliebend oder fromm, aber meine Berufung stand nie in Frage.

2009 wurde Ihnen wegen Alkohols der Führerschein abgenommen. Das passiert vielen, die meisten sind aber keine Geistlichen. Bemerkenswert war, dass die Kirche trotzdem schützend die Hand über Sie gehalten hat.

Es ist großartig, dass wir als fehlerhafte Menschen, die für diese Fehler Verantwortung übernehmen, auch getragen werden und Platz haben. Dafür gibt es sehr schöne Worte. Papst Franziskus wurde vor drei Jahren bei seiner Angelobung gefragt, wer er eigentlich als Mensch, als Jorge Mario Bergoglio ist und nicht als Papst. Er hat kurz überlegt und gesagt: „Ich bin ein Sünder, der sich bewusst ist, von Gott barmherzig, liebevoll, vergebend angeschaut zu werden.“

Es gibt ja auch den Bibelspruch: Wer ...

... ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein.

Herr Dompfarrer, Sie mussten 2015 wegen einer Bauchspeicheldrüsen-Entzündung für mehrere Wochen ins Krankenhaus. Denken Sie manchmal über die Endlichkeit des eigenen Lebens nach?

Natürlich! Ich möchte leben, aber ich habe meinen Grabplatz schon festgelegt und mein Testament geschrieben. Seit meiner Krankheit mit 18 Jahren, als mir die Ärztin gesagt hat, dass ich, wenn ich Pech habe, nur noch zwei, drei Jahre zu leben habe, ist mir der Tod ein Wegbegleiter. Ich möchte nicht früh sterben, sondern jeden Tag so leben, als wäre es mein letzter. Jeder Tag soll einen Gewinn haben, unabhängig davon, ob ich jetzt hundert oder 60 werde.

Das sagt sich leicht. Wie soll das gehen?

Für mich bedeutet das, dass ich jeden Tag die schönen Dinge, die gelungen sind, aber auch jene, die misslungen sind, zurücklege in die bergenden Hände Gottes. Ich kann nicht tiefer fallen als in die offenen und bergenden Hände Gottes.

Einer toller Bibelspruch. Verraten Sie uns noch, wo im Stephansdom der schönste Platz ist?

Die Taufkapelle ist ein besonders begnadeter Ort. Nicht nur, weil ich dort schon Hunderten Kindern das Eintrittserlebnis in die katholische Kirche vermitteln konnte. Sie ist unter dem hohen Turm, den ich schon 40 Mal hinaufgeklettert bin, um auf der Spitze zu stehen. Direkt unter dem Turm ist ein Punkt, der das geografische Zentrum der K. u. K. Monarchie war. Das ist das Zentrum der Stadt Wien, wo sich wirklich Himmel und Erde verbinden. Da fühle ich mich, bei allen Glückseligkeiten, die mir geschenkt werden, aber auch allen schwierigen Situationen, die ich habe, gehalten und getragen. Der Punkt gibt mir Kraft, Glaube und Hoffnung, für ein hoffentlich noch länger währendes Leben.

Also keine Angst vor dem Tod.

Kardinal König wurde mit 96 noch einmal gefragt, ob er denn Angst vor dem Tod hätte. Seine Antwort war: „Warum soll ich Angst haben? Der Tod ist doch das einzig Sichere im Leben.“

Toni Faber, 54, wurde 1962 in Wien geboren. Er wuchs in ärmlichen Verhältnissen ohne den Vater auf, der die Familie verließ. Als Faber 18 Jahre alt war, erkrankte er an einem Nierenleiden. Eine Ärztin prognostizierte ihm, nur mehr zwei bis drei Jahre zu leben. So entschloss sich Faber, Priester zu werden. Nach der Priesterweihe 1988 war
er erzbischöflicher Zeremoniär bei Kardinal Hans Hermann Groër, ab 1995 bei Erzbischof Christoph Schönborn. Seit 1997 ist er Dompfarrer der Domkirche St. Stephan zu Wien. Faber gilt als Pfarrer der High Society und hat viele öffentliche Auftritte. Dafür wird er oft kritsiert. Von sich selbst sagt er, vor allem für die Gläubigen da zu sein. „Ich bin immer im Dienst." Als ihn ein Mann auf der Toilette einmal um Beistand bat, meinte Faber aber: Später, i muaß jetzt aufs Heisl.“

www.stephansdom.at

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