Wilhelminenberg: "Massiver sexueller Missbrauch"

Wilhelminenberg: "Massiver sexueller Missbrauch"
Kommission legt Endbericht über Vorfälle im einstigen Kinderheim vor. Zeugen schildern schockierende Erlebnisse.

Jene Kommission, die die Vorfälle im einstigen Wiener Kinderheim im Schloss Wilhelminenberg untersucht, hat am Mittwoch ihren Endbericht vorgelegt. Dieser bestätigt im Wesentlichen die umfassende KURIER-Berichterstattung zum Heimskandal: Demnach waren Kinder und Jugendliche über Jahrzehnte hinweg physischer und psychischer Gewalt ausgesetzt. Die Kommission unter dem Vorsitz der Richterin Barbara Helige kam unter anderem zu dem Schluss, dass "massiver sexueller Missbrauch" stattgefunden hat.

Wilhelminenberg: "Massiver sexueller Missbrauch"

Den Verantwortlichen der Stadt waren die schwerwiegenden Missstände im Kinderheim Wilhelminenberg laut Bericht "durchwegs bekannt". Der Heimleitung sei aber trotzdem nicht Einhalt geboten worden. Auch Täter von außen sollen im Heim Übergriffe getätigt haben. Keine konkreten Hinweise wurden hingegen gefunden, was die Vorwürfe anbelangt, es hätten Massenvergewaltigungen in den Schlafsälen stattgefunden und es hätte organisierte Kinderprostitution gegeben. Der Verdacht der Tötung eines Kindes in den 1950er-Jahren könne ebenfalls nicht bestätigt werden.

KURIER-Bericht als Auslöser

Auslöser für die Gründung der Kommission war ein KURIER-Interview im Oktober 2011. Zwei Schwestern berichteten darin über ihre Erinnerungen an das von der Stadt Wien geführte Kinderheim. Sie schilderten Erlebnisse aus den 1970er-Jahren: Essen von Erbrochenem, schwere Prügel durch einige Erzieherinnen, systematische Demütigungen und sexuellen Missbrauch.

Was die Täter betrifft: Aufgrund der eingeschränkten Datenlage und teils unkonkreten Erinnerungen sei die zweifelsfreie Ermittlung der Identität von Personen, die den Missbrauch begehen hätten können, kaum möglich, so Helige. Nur teilweise sei es gelungen, Personen zu identifizieren. Was den Missbrauch durch heimfremde Personen anbelangt, so sei die eine Nachforschung praktisch unmöglich gewesen. Bei Erzieherinnen, die der Beihilfe beschuldigt werden und die ausgeforscht werden konnten, könnte eine Beitragstäterschaft vorliegen, stellte die Vorsitzende in den Raum. Hier sei die Strafverfolgungsbehörde aufgerufen, Untersuchungen anzustellen.

Helige stellte auch klar, dass die damalige Stadtverwaltung von den Vorkommnissen gewusst hatte. Ab Mitte der 1960er-Jahre sei dies deutlich dokumentiert. Es habe massive Beschwerden gegeben, von Eltern, Jugendämtern und auch Erziehern: "Und es ist nichts passiert." Das Ausmaß sei vonseiten der Direktion in Abrede gestellt worden: "Obwohl man darüber hinaus das dann schon gewusst hat, wurde die Heimleiterin auch in den 1970er-Jahren nicht zur Verantwortung gezogen."

Akten vernichtet

Im Zuge der Recherche nahm die vierköpfige Kommission u.a. in Akten der MA 11 (Jugendamt) und MA 2 (Personal) Einsicht und führte 217 Interviews - davon 140 mit damaligen Heimkindern und 28 mit Erziehern. Diese Gespräche waren die wichtigste Basis, denn: Nach der Schließung des Heimes 1977 wurden alle Akten vernichtet, was eigentlich nicht den damaligen Vorschriften entsprach. Wer den Auftrag dazu gab, konnte nicht herausgefunden werden.

Bericht wird Staatsanwaltschaft übergeben

Der Bericht soll nun an der Staatsanwaltschaft und den Ermittlungsbehörden übergeben werden, forderte die Vorsitzende Helige bei der Präsentation des 344-seitigen Werkes. Die Justiz müsse dann klären, inwieweit die Täter noch strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden können. Dabei stellte die Richterin auch klar: "So etwas darf nie wieder passieren".

Der bei der Präsentation anwesende Jugendstadtrat Oxonitsch betonte: "Wir haben immer gesagt, als Stadt Wien übernehmen wir die Verantwortung." Er verwies auch auf die bereits erfolgte Entschuldigung von Bürgermeister Michael Häupl (S). Das ehemalige Kinderheim am Wilhelminenberg sei ein besonderes Beispiel, aber kein Einzelfall gewesen: "Der Wilhelminenberg war hier Pars pro Toto."

FPÖ: "Von oben gedeckt"

Die Wiener Oppositionsparteien sahen sich unterdessen in ihrem Vorwurf bestätigt, dass die grausamen Vorfälle im Kinderheim durch die Verantwortlichen vertuscht worden sind. "Wir konnten erst gar nicht glauben, dass diese schwersten Verbrechen der Nachkriegszeit von oben gedeckt wurden", sagte FPÖ-Bundes- und Landesparteiobmann Heinz-Christian Strache. Die Tatsache, dass heute die Namen der damals politisch Verantwortlichen nicht genannt worden seien - es betreffe die Amtszeiten der SPÖ-Stadträtinnen Maria Jacobi und Gertrude Fröhlich-Sandner -, zeige, dass sich die Sozialdemokraten offenbar mit ihrer Vergangenheitsbewältigung immer noch schwertäten, so ÖVP-Landesparteiobmann Manfred Juraczka.

Hintergrund

Ins Leben gerufen wurde die Kommission Wilhelminenberg von Stadtrat Christian Oxonitsch (SPÖ). Den Vorsitz übernahm Barbara Helige. Die Leiterin des Bezirksgerichtes Wien-Döbling ist auch Präsidentin der österreichischen Liga für Menschenrechte. Dem Gremium gehört auch Helge Schmucker an. Die Juristin war unter anderem Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofes. Die Psychiaterin und Gutachterin Gabriele Wörgötter und der Linzer Universitätsprofessor Michael John, der schon in Oberösterreich über die Erziehung in Heimen geforscht hat, komplettieren das Quartett. Neben den genannten Personen wurden von der Kommission zahlreiche Psychologen und Historiker beschäftigt.

Das 1977 geschlossene Kinderheim Wilhelminenberg ist die einzige derartige Institution in Wien, die eingehend durchleuchtet wurde. Heute ist in dem Gebäude ein Hotel untergebracht.

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Mehr Infos unter www.kommission-wilhelminenberg.at

Im folgenden Auszüge aus dem Endbericht der Wilhelminenberg-Kommission, der am Mittwoch präsentiert wurde. In der 344 Seiten umfassenden Expertise sind unter anderem zahlreiche Aussagen von Zeugen enthalten:

"Bin wie ein Koffer abgestellt worden"

Über die Ankunft der Kinder: "Die Fahrt auf den Wilhelminenberg erfolgte per öffentlichen Verkehrsmitteln, mitunter auch per Taxi; der Gebrauch von Privatautos war untersagt. Die anschließende Übergabe sowie die Ankunft im Kinderheim konzentrierten sich ausschließlich auf administrative Belange. Die persönliche Befindlichkeit der Kinder blieb unberücksichtigt."

Dazu ein Zitat einer betroffenen Person: "Ich bin hingekommen, bin wie ein Koffer abgestellt worden, hab mein Gewand gekriegt und Schnauze halten.“

"Vom ersten Tag an wurde darauf geachtet, dass die Kinder sich der Heimordnung fügten und somit widerstandslos in das Heimleben eingeordnet werden konnten. In der Gruppe, der sie zugeteilt wurden, kannten sie niemanden (...) Niemand teilte ihnen mit, wo ihre Angehörigen hingekommen waren oder ob ihre Familie überhaupt wusste, wo sie selbst waren. Die Kinder wurden nicht darüber informiert, wie lange sie hier bleiben sollten oder was weiter mit ihnen geschehen würde. Auch der Kontakt zu anderen Gruppen im Heim wurde untersagt. Diese völlige Isolation führte zu schweren Traumatisierungen und späteren Beziehungsstörungen."

"Auch das Essen in der Gruppe war durch verschiedenste Zwänge und gleichzeitige Willkür geprägt. Die Speisen wurden zumeist in den Tagräumen der Kinder eingenommen, somit waren sie der Bestrafung und Kontrolle ihrer jeweiligen Erzieher ausgesetzt. Die Schilderungen von Gewalttätigkeiten und Zwängen bei Tisch betreffen die gesamte Heimzeit bis 1977. Es kam vor, dass Kinder, die nicht aufessen wollten oder konnten – viele Zeugen berichten davon –, mit dem Gesicht in die Suppe gestoßen wurden oder sitzen bleiben mussten, bis sie aufgegessen hatten."

Der Bericht schildert weiters die dauernde Stigmatisierung mancher Betroffener: "So wie vom Jugendwohlfahrtsträger die Verwahrlosung des Herkunftsmilieus als Grund der Überstellung der Kinder in Heimerziehung festgestellt wurde, wurden die Heimkinder in den psychologischen Befunden mit dem diagnostischen Sammelbegriff 'Verwahrlosung' etikettiert und ihre Defizite ausführlich beschrieben, ohne dass Möglichkeiten einer Veränderung aufgezeigt wurden."

"Früher oder später hätte das eh einer gemacht"

Auch meint eine Zeugin, "dass sich der Heimarzt ('ein unmöglicher, alter, geiler Bock') bei einer Untersuchung halb auf die Mädchen legte, ihnen die Beine auseinanderriss. Sie empfand, dass er sich daran 'begeilte'".

Eine weitere Zeugin gab an, mit dem Finger "grob untersucht" worden zu sein: „Nachher war ich keine Jungfrau. Und der Arzt hat die Dreistigkeit gehabt und zu mir gesagt, früher oder später hätte das eh einer bei dir gemacht und ich soll mich nicht aufregen, weil die Kinder kommen auch von da.“ Eine von der Kommission dazu befragte ehemalige Krankenschwester hat dieser Darstellung allerdings widersprochen.

Geschildert wird auch die strenge Disziplin im Heim und die damit zusammenhängenden Strafen: "Die Kinder waren damit nicht nur gezwungen, die Strafen wehrlos über sich ergehen zu lassen ...werden die Kinder geschlagen, dürfen sie sich nicht wehren, es folgen sonst weitere Prügel."

Als eine Form des Ungehorsams galt etwa Masturbation. Ein Zeuge berichtete: „Und wir haben so lange Nachthemden angehabt, die haben wir müssen in die Höhe heben, die Vorhaut zurückziehen, weil sie hat gesagt, sie wird kontrollieren, ob wir in der Nacht onaniert hätten. Natürlich war das für uns in dem Alter deprimierend, in dem Alter war das ein Wahnsinn, wir sind dort versunken in der Erde.“

"Die damalige Kränkung der Kinder (Interview-Zitat: '...und wir sollten noch dankbar sein, dass wir zu essen bekommen und nicht vergast wurden wie die Juden, wir seien ja nichts wert, wir seien lauter kleine Huren und Kinder von Alkoholikern'), die auf ihre Herkunft und Familie abzielte, blieb vielen Zeugen unvergesslich. Davon betroffen waren auch Kinder mit Behinderungen, so wurde in den 1960er-Jahren ein epilepsiekrankes Mädchen etwa mit 'du blöde Sau, du Aff, du kranker Depp' beschimpft. An die Behandlung dieses Mädchens, das in der Familie missbraucht und schwer misshandelt worden war und an schweren epileptischen Anfällen litt, erinnern sich auch andere Kinder dieser Gruppe."

"Besonders kleine Buben wurden misshandelt"

"Manche Gewaltformen veränderten sich im Laufe der fast dreißig Jahre Kinderheim Wilhelminenberg, andere blieben gleich. Bis zur Schließung des Heims (1977, Anm.) wurden Kinder an den Haaren gerissen mit Gegenständen geschlagen, erhielten Ohrfeigen oder mussten lange knien."

"Die Folgen der verschiedenen Bestrafungen bestanden in Platzwunden, verrenkten Fingern, Hämatomen, Abschürfungen und Schnittwunden. Eine Zeugin erinnert sich daran, dass besonders kleine Buben misshandelt wurden." Ein dazu von der Kommission befragter, direkt beschuldigter ehemaliger Erzieher hat die Vorwürfe bestritten.

Fälle von Vergewaltigungen werden ebenfalls beschrieben: "Ich habe gesehen, wie sie ein Mädchen da auf die Bank gezerrt haben, der eine hat sie mit den Händen nach hinten gezerrt, hat sich dann auf sie drauf gesetzt, hat ihr die Füße zurückgerissen und der andere hat sie vergewaltigt. Die hat geschrien und getobt. (...) Die war in meinem Alter damals so um die 11, 12 Jahre. Und drei, vier Wochen (Anm.: später) habe ich dasselbe gesehen. Da haben sie sie abgewatscht und der andere hat sie gehalten, die hat sich müssen hinknien und der andere hat sie von hinten vergewaltigt.“ Berichtet wird von Vergewaltigungen im Keller, an denen pädophile Erzieher, aber möglicherweise auch andere Hausangestellte beteiligt gewesen sein sollen.

Eine Zeugin berichtet, dass die Überfälle direkt im Schlafsaal stattgefunden hätten. Dazu gibt es jedoch keine weiteren Aussagen. "Alle anderen – ähnliche Missbrauchsvorwürfe erhebenden – Zeugenaussagen decken sich in dieser Frage weitgehend. Immer ist davon die Rede, dass Mädchen aus Schlafsälen geholt worden seien", heißt es im Bericht.

Auch Buben waren betroffen. Ein damals 14-jähriger Zeuge erzählte von nächtlichen Übergriffen: „Ich wurde dort ein paar Mal betatscht von diesem Erzieher, der hat mich nicht in Ruhe gelassen. Der ist zu mir rein, hat sich aufs Bett gesetzt, schön gesprochen und dann hat er mich angegriffen. Eine Nacht ist er bei mir sehr zudringlich geworden, ich hab mich gewehrt. Da hat er mir zwei oder drei runtergehaut."

1962 wurde die Einrichtung zum reinen Mädchenheim, männliche Erzieher gab es ab diesem Zeitpunkt im Haus nicht mehr. Dafür kam die Gefahr offenbar von außen: "Für diesen Zeitraum gibt es eine verhältnismäßig große Anzahl von Berichten über Übergriffe durch unbekannte Personen. Hier ist bei den Zeugenaussagen zu unterscheiden: Einerseits wird von Männern berichtet, die offenbar in das Heim eingestiegen waren und Mädchen belästigten, auf der anderen Seite von Männern, die sich Zutritt verschafft hätten und denen Mädchen zugeführt worden seien oder die Mädchen aus den Schlafsälen geholt hätten."

"Die Mädchen der Gruppe begannen laut zu schreien"

"Eine Zeugin berichtet, dass ein großer Mann ins Zimmer gekommen sei und sie nach einem Mädchen gefragt habe. Schließlich wurde er von dem Mädchen in den Schlafsaal der Nachbargruppe geschickt. Nachdem er das gesuchte Mädchen auch dort nicht gefunden hatte, würgte er ein anderes Mädchen und floh anschließend. Die Mädchen der Gruppe begannen laut zu schreien. Auch eine ehemalige Erzieherin, damals alleine im Nachtdienst tätig, erinnert sich heute noch an den 'markerschütternden Schrei' der Gruppe. Nachdem sie sich den Arbeitsmantel angezogen und ihr Zimmer verlassen hatte, beobachtete sie noch den gerade fliehenden Mann, wie er beim Fenster hinaus- und den Blitzableiter hinunterstieg."

Laut der Darstellung von ehemaligen Heimbewohnerinnen waren auch Erzieherinnen an den Übergriffen beteiligt: "Die Zeugin berichtet, dass sie drei- bis viermal im Monat von einer Erzieherin H. aus dem Schlafsaal geholt und unterschiedlichen Männern im Keller zugeführt worden sei. Sie beschreibt noch eine weitere Erzieherin, eine große Dunkle mit einem Knoten, die der anderen Anweisungen gegeben hat. (Anm.: Person unbekannt.) Erst am nächsten Morgen sei sie wieder zurückgekehrt. Sie sieht auch einen Zusammenhang mit Tabletten, die bitter schmeckten und von denen sie schwindlig wurde."

"Eine weitere Zeugin berichtet, dass die Mädchen regelmäßig aus dem dunklen Schlafsaal geholt worden seien. Sie habe sich vor den Männern, die in das Heim gekommen seien und mit Taschenlampen geleuchtet hätten, gefürchtet. Im Unterschied zu ihr selbst – sie war klein und dünn, ohne Busen – seien die anderen Mädchen schon entwickelt gewesen. Doch die Erzieherin habe auch sie geholt und die Treppe hinuntergeführt. In einem nicht näher bezeichneten Raum sei Musik gespielt, geraucht und Whiskey getrunken worden. Auch sie hätte Whiskey zu trinken bekommen. Es seien Frauen und Männer im Raum gewesen. In diesem seien ein Schreibtisch, ein Kasten und ein Einzelbett gestanden. Was in dem Raum passiert sei, daran könne sie sich nicht erinnern. Sie vermutet, dass sie Sedativa bekommen habe, aber keine Schlaftabletten. Sie berichtet außerdem, dass es sich um keine jungen Männer gehandelt habe. Erst die Rückkehr in den Schlafsaal sei ihr im Gedächtnis geblieben. Am Morgen habe sie Abschürfungen und blaue Flecken auf der Innenseite der Oberschenkel gehabt und habe eine gelbe Salbe und eine Binde mit Netzhose bekommen."

"Der Wilhelminenberg war eine Katastrophe. Ich habe mich aufgelehnt und revoltiert.“ Diese Worte stammen nicht von einem ehemaligen Heimkind aus dem Schloss Wilhelminenberg, sondern von einer ehemaligen Erzieherin des Heimes.

Doris H. (Name von der Redaktion geändert) war in den Jahren 1969/70 als eine der ersten fundiert ausgebildeten, jungen Erzieherinnen am Wilhelminenberg tätig. Nach einem zweijährigen Kolleg war sie dort „als Beiwagerl“ einer älteren Kollegin zugeteilt worden. „Ich hatte eine Ausbildung in Psychologie und Pädagogik“. Bei den älteren Erzieherinnen sei dies nicht gut angekommen.

Doris H. ist heute noch „entsetzt über das Kasernentum“, das am Wilhelminenberg geherrscht habe. Schon die Duschen im Keller („da haben auch wir uns gewaschen“) seien „furchtbar und grauslich“ gewesen. „Ich sag Ihnen“, meint sie, „am Wilhelminenberg haben nicht nur die Kinder Depressionen gehabt, sondern auch die anständigen Erzieherinnen.“

Eingesperrt

Die Mädchen im Heim seien rund um die Uhr eingesperrt gewesen. Etwas Zuneigung und Liebe? Fehlanzeige. „Man darf sich nicht wundern, wenn dann welche von denen aggressiv werden – 20 Kinder im Tagraum, 20 im Schlafraum, kein Ausgang.“

Hildegard Müller,bis zur Schließung des Heimes im Jahr 1977 Heimleiterin, habe ein eisernes Regime geführt. „Vor der haben sich sogar die Erzieherinnen gefürchtet. Der Wilhelminenberg war auch für die gut meinenden Erzieherinnen ein Stress.“ Und ihr Zusatz: „Heimleiterin wurdest du nur mit dem richtigen Parteibuch.“

Kinder seien oft wegen Kleinigkeiten bestraft worden. Durch erniedrigende Einzel- oder Gruppenstrafen. Militärischer Drill habe vorgeherrscht. Bei Mädchen im Alter ab sechs Jahren.

Kritik

Gemeinsam „mit ein, zwei Kolleginnen“, habe sie versucht, zeitgemäße Erziehung in die Routinearbeit einzubringen. Vergeblich, wie sie sich heute erinnert. 1970 wandte sie sich an den ORF. Sie gab ein Interview und äußerte sich kritisch über die Zustände im Heim.

Nach der Ausstrahlung der Sendung sei sie unter Druck gesetzt worden. „Wie das mit dem ORF war, wurde ich von der MA11 (Wiener Jugendamt, Anm.) ins Rathaus geladen und wurde ermahnt, die Goschen zu halten.“ Im Heim hätten Kolleginnen sie „dauernd bedrängt, ob ich nicht in die Verwaltung wechseln will“. Schließlich sei sie zu „einem psychologischen Test“ geschickt worden. „Nicht die Müller hat man zum Psychiater geschickt, oder die, die die Kinder gequält haben, sondern mich.“ Dann ist sie in ein anderes Mädchenheim versetzt worden. Kurz darauf habe sie ihre Karriere bei der MA11 beendet.

Vergewaltigungen junger Mädchen seien ihr „nicht aufgefallen“. „Aber was sich in den anderen Gruppen abgespielt hat, haben wir ja nicht mitgekriegt.“ Ein einziges Mal, habe sie junge Mädchen mit Burschen in einem Aufenthaltsraum ertappt.

Vorwürfe macht sie sich immer noch. „Mir dreht sich heute noch der Magen um, wenn man hört, wie es vielen Mädchen und Buben in den Heimen ergangen ist. Warum habe ich mich damals nicht mehr gegen das System gewehrt?“ kurier.at/heimskandalHintergründe und Kommentare zum Thema Heimskandal finden Sie online.

Die Stadt Wien hat bisher rund 1.200 Personen, die Opfer von Gewalt und Missbrauch in städtischen Heimen oder Privateinrichtungen unter städtischer Aufsichtspflicht wurden, finanziell entschädigt. Dafür wurden 21,2 Millionen Euro aufgewandt, teilte ein Sprecher von Jugendstadtrat Christian Oxonitsch (S) mit. Für die Abwicklung der Hilfeleistungen ist der Verein "Weißer Ring" zuständig. Dort melden sich noch immer Opfer.

Insgesamt haben sich bisher 1.713 Personen an den "Weißen Ring" gewandt. Neben monetären Zuwendungen gibt es für die Betroffenen auch psychologische Hilfe und Therapien. Jenes Gremium, dass über Leistungen und Zahlungen entscheidet, hat in bisher 30 Sitzungen 1.542 Fälle einzeln untersucht, berichtete eine Sprecherin des "Weißen Rings" im APA-Gespräch.

892 Personen wurde dabei Unterstützung in Form von psychologische Hilfe und Therapien zugesprochen. Dafür hat der Verein 60.015 Einheiten Psychotherapie für rund 4,8 Millionen Euro genehmigt. Insgesamt hat die Stadt 31,5 Millionen Euro für die Opferentschädigung bereitgestellt.

Vorwiegend Männer betroffen

Bei den Betroffenen handelt es sich mit rund 61 Prozent vorwiegend um Männer. Was die Altersverteilung betrifft: Fast 38 Prozent seien zwischen 1950 und 1959 geboren worden, 31 Prozent zwischen 1960 und 1969. In allen Fällen ging es um physische und psychische Gewalt, in rund 48 Prozent - also in fast der Hälfte - auch um sexualisierte Gewalt.

Der "Weiße Ring" verfügt auch über eine Auswertung, welche Einrichtungen von den Betroffenen besonders häufig genannt wurden: Das Heim am Wilhelminenberg kam auf 319, jenes in Eggenburg auf 257 und jenes auf der Hohen Ware auf 202 Nennungen. Auch die Unterbringung bei Pflegeeltern konnte von Gewalt geprägt sein - davon erzählten 159 Opfer.

Viele Betroffene lebten übrigens nicht nur in einem Heim, sondern sind öfter gesiedelt. Im Schnitt wurden 4,2 "Unterbringungen" pro Person berechnet.

Die Vorfälle, die aufgearbeitet werden, liegen schon lange zurück. Seit der Heimreform im Jahr 2000 gibt es in der Bundeshauptstadt keine Großheime mehr. Die Kinder werden nunmehr in Wohngemeinschaften untergebracht. Zudem wurden auch Krisenzentren geschaffen. Dort werden Kinder und Jugendliche laut Jugendamt vorläufig untergebracht, wenn der Schutz in der Familie nicht mehr gewährleistet werden kann. Überdies erhalten heutzutage auch die Pflegeeltern eine Ausbildung.

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