Das Recht auf Demo im Bademantel

Udo Jürgens' Bademantel sorgt unfreiwillig für Ärger in Wien.
Experten: Spaß-Demos können nicht untersagt werden - Ringstraße bleibt trotz Bademantelparade befahrbar.

Der Ring kommt nicht zur Ruhe. Ob Rollrasen für Picknicker, Aufmarschgebiet für Wutbürger oder Starhuldigung im Bademantel. Immer öfter ist Wiens Prunkstraße gesperrt, Staus sind die Folge. Am Dienstag wird im Bademantel für die „Freiheit für mehr Musik von Udo Jürgens“ demonstriert. Angemeldet wurde die Demonstration von Arabella Kruschinski, Geschäftsführerin von Madame Tussauds.

Für die Wirtschaftskammer ist die Schmerzgrenze damit überschritten. „Nach dem peinlichen Picknick-Demo-Desaster bei Rasen am Ring letzte Woche ist dies nun die nächste Pseudo-Demonstration, die den Verkehr lahmlegt und dem Handel satte Umsatzeinbußen einbringt“, poltert Erwin Pellet, Obmann der Sparte Handel in der Wiener Wirtschaftskammer. Jeden vierten bis fünften Tag sei der Ring bereits gesperrt, rechnet Pellet vor. „Ich frage mich, warum solche Gaudi-Events als Demos zugelassen werden können.“

Innenministerin Johanna Mikl-Leitner will reagieren. Die Demonstrationsfreiheit sei eine der größten Errungenschaften der Demokratie. „Für mich ist es daher nur schwer zu verstehen, wenn dieses Recht immer lächerlicher gemacht wird“, sagt Mikl-Leitner. „Es geht immer öfter nur darum, andere zu ärgern.“ Sie werde daher mithilfe des Verfassungsdienstes genau prüfen, ob man Spaß-Demos nicht örtlich verlegen könne.

Expertenmeinung

Verfassungsrechtler Bernd-Christian Funk sieht dafür aber wenig Chancen. „Es muss schon sehr eng gefasste Gründe geben, eine Demonstration zu verbieten“, sagt Funk. Versammlungen sind nur dann zu untersagen, wenn die Abhaltung die öffentliche Sicherheit oder das öffentliche Wohl gefährden, heißt es im Versammlungsgesetz. Dass Kaufleute im ersten Bezirk über Umsatzeinbußen klagen, sei keine Gefährdung des öffentlichen Wohls, sagt Funk. „Die Käufe können ja an anderen Tagen nachgeholt werden.“ In dieselbe Kerbe schlägt auch Kollege Heinz Mayer: „Das Versammlungsrecht steht unter dem Schutz unserer Verfassung.“

Ganz einig sind sich die Verfassungsexperten aber nicht. „Die Polizei kann mit einer intelligenten Begründung Demos auch untersagen“, sagt etwa Theo Öhlinger. Etwa wenn Verkehrsstörungen stärker ins Gewicht fallen würden als das Anliegen der Demonstranten.

Das klappt aber nicht immer, zeigt ein Urteil des Verfassungsgerichtshofs (VfGH) im April 2014. Damals hatte der VfGH entschieden, dass der autofreie Tag am Ring stattfinden dürfe. „Im Zweifel ist für das Grundrecht zu entscheiden“, erklärt Funk. „Die Versammlungsfreiheit sticht in diesem Fall die Bewegungsfreiheit.“

Demo-Veranstalterin Kruschinski wehrt sich gegen das Image als Sündenbock. „Wir sind ja nicht die Ersten, die am Ring marschieren“, sagt sie. Auch werde der Ring nur für eineinhalb Stunden gesperrt. Das politische Anliegen sei klar: „Wir ehren damit Udo Jürgens, einen großen Künstler, der viel für Österreich geleistet hat.“ Sie rechnet mit 150 Teilnehmern in Bademänteln. Die Route zu ändern, sei nicht geplant.

Ringstraße bleibt befahrbar

Am Dienstagvormittag gab Polizeisprecher Johann Golob aber bekannt, dass die Ringstraße trotz der Bademantel-Parade durchgehend befahrbar sein wird. Man habe mit dem Veranstalter Madame Tussauds vereinbart, dass die Teilnehmer des Events nur einen Fahrstreifen benützen.

Bürgermeister Michael Häupl hatte am Wochenende angeregt, das Gesetz zu reformieren. Am Montagmorgen hörte sich das wieder anders an. Häupl appellierte vielmehr an die Vernunft der Leute und sprach sich gegen eine Anlassgesetzgebung aus.

Mayer hält auch das nicht für möglich. „Ich sehe für eine Gesetzesänderung keine Chance, da das Recht auf Versammlungsfreiheit ein Grundgesetz und auch in der Menschenrechtskonvention verankert ist.“

Ringdemos in Zahlen

60 Demos hat es heuer zwischen Jänner und Ende August in Wien gegeben. Der Großteil betraf den Ring.

50 Prozent Umsatzeinbußen gäbe es laut Kammer für Unternehmer an Tagen mit Ringstraßensperren.

5,8 Kilometer ist die Ringstraße lang. Und 56,89 Meter breit.

Die Spaßdemo zu Ehren Udo Jürgens, die am Dienstag am Ring über die Bühne geht, erregt die Gemüter. Dabei wird zwar der Wortlaut des Versammlungsgesetzes ausgereizt. Es ist jedoch bei Weitem nicht die einzige Demo, die den Ringstraßenverkehr aus mehr oder weniger skurrilem Anlass zum Erliegen bringt. Knapp 60 Demonstrationen und Veranstaltungen fanden in diesem Jahr in Wien statt. Im Mittelpunkt standen dabei hochpolitische Anlassfälle wie auch Nischeninteressen.

Fraglich ist, ob den Wiener Durchschnittsbürger beispielsweise das Schicksal rumänischer Straßenhunde derart am Herzen liegt, dass dies alleine nur im Jahr 2014 eine dreimalige Ringsperre rechtfertigen würde.

In den vergangenen Monaten fanden am Ring aber auch Kundgebungen statt, die weit über Tierschutz-Anliegen hinausgingen. So wurde für die ukrainische Unabhängigkeit, die verfolgten Minderheiten in Syrien oder anlässlich der Besuche des türkischen Präsidenten Erdogan und seines russischen Amtskollegen Putin demonstriert. Auch wenn der Auslöser geopolitisch weit entfernt von Österreich liegt, ist die öffentliche Auseinandersetzung mit diesen Themen genauso rechtlich geschützt wie innerstaatliche Aufreger rund um Akademikerball, autofreie Innenstadt oder den Hypo-Schuldenberg.

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