Wien: Letztes "Horrorheim" wird zugesperrt

Wien: Letztes "Horrorheim" wird zugesperrt
Seine grausame Vergangenheit hat das nunmehrige Lehrlingsheim in Eggenburg längst hinter sich gelassen. Nun wird der Lindenhof geschlossen.

Spätestens Ende 2013 soll Schluss sein. Dann wird eines der dunkelsten Kapitel in der Geschichte der Kinderheime im Besitz der Stadt Wien beendet. Der "Lindenhof" im niederösterreichischen Eggenburg im Bezirk Horn – einst eine der härtesten Erziehungseinrichtungen für Hunderte Zöglinge, heute ein modernes Ausbildungszentrum für nur mehr wenige, "schwer erziehbare" Lehrlinge – steht vor der endgültigen Schließung. Der Eggenburger Bürgermeister Willibald Jordan sieht die jüngste Häufung von kriminellen Handlungen mehrerer Lehrlinge als einen der möglichen Beweggründe.

Ausgedient

Dem widerspricht man im Büro des zuständigen Wiener Stadtrates Christian Oxonitsch. "Das Heim als Modell für Erziehung hat längst ausgedient", sagt Pressesprecher Florian Weis. Die 30 Lehrlinge sollen im kommenden Jahr in betreute Wohngemeinschaften nach Wien zurückkehren. "Die 15- und 16-Jährigen sollen näher an ihr gewohntes Umfeld, ihre Freunde und ihre Familie kommen", sagt Weis.

Was die bis zu 350 Insassen früher in der Erziehungs­anstalt Eggenburg durch­machen mussten, ist heutzutage unvorstellbar. Schläge und Tritte durch Erzieher sowie sexuelle Übergriffe sollen in den 1960er- und 1970er-Jahren Alltag gewesen sein (siehe auch Zusatzbericht) .

Auf dem zirka fünf Hektar großen Areal in Eggenburg befinden sich gepflegte Parkanlagen und elegante Jahrhundertwende-Pavillons, die jetzt mit mehreren top­modernen Lehrwerkstätten für 30 (aus Wien stammende) Lehrlinge ausgestattet sind. "Es ist deprimierend, dass die Stadt Wien ihr Aus­bildungszentrum im Waldviertel schließen will", sagt Bürgermeister Jordan. In den vergangenen Jahren habe sich die Einrichtung weg vom Horrorhaus hin zu einer "vorbildlichen Berufsschule der Stadt Wien entwickelt".

Ausbildung

Junge Wiener im Alter zwischen 15 und 18 Jahren, die aus schwierigen Familienverhältnissen stammen, haben im Waldviertel die Möglichkeit, einen Lehrabschluss – zehn Berufe stehen zur Auswahl – nachzu­holen und einen sozialen Umgang zu erlernen. 73 Ausbildner und Sozial­pädagogen achten darauf, dass der Lehrplan eingehalten wird. Auf diesem stehen nicht nur handwerkliche Aufgaben, sondern auch soziale Komponenten, wie das pünktliche Erscheinen oder das Lösen von Konflikten ohne Gewalt.

"Wie wird es hier weitergehen?", fragt Bürgermeister Jordan. Da rund zwei Drittel der Betreuer aus dem Waldviertel stammen, bangt er um seine regionalen Arbeitsplätze. "Was passiert mit den Betreuern? Verlieren sie ihren Job oder müssen sie nach Wien pendeln?"

Jordan hat bereits das Land Niederösterreich eingeschaltet und hofft auf eine sinnvolle Zukunftslösung. "Vielleicht im Zusammenhang mit dem bereits an­sässigen Psycho­somatik-Zentrum." Die landwirtschaftliche Nutzung des Lindenhofs bleibt in der Hand der Wiener Magistratsabteilung (MA) 11 – Jugendwohlfahrt.

Pressesprecher Weis: "Es gibt noch keinen Plan für die Nachnutzung des Lindenhofs. Die Mitarbeiter bleiben aber bei der Stadt Wien angestellt."

Doppelmord, Missbrauch und tägliche Schläge

Wien: Letztes "Horrorheim" wird zugesperrt

Der Lindenhof in Eggenburg war jahrzehntelang in Verruf. Das Kinderheim der Stadt Wien am Rande der idyl­lischen Mittelalterstadt galt als Synonym für brutale Erziehungsmethoden und Missbrauch. Viele ehe­malige Buben aus Wiener Heimen können sich heute noch erinnern: "Wenn wir schlimm waren, wurde uns mit Eggenburg gedroht." Der Lindenhof war die Endstation einer Heimkarriere.

"Berühmt" wurde er im Jahr 1970, als die Zöglinge Peter V. und Peter I. tot aus einer Jauchegrube geborgen worden sind (siehe Fak­simile) . Die beiden waren von ihren Heimkollegen Herbert Z. und Stefan G. erschlagen und in der Grube versenkt worden. Der Grund für den Doppelmord war die schicke Kleidung der Opfer.

Als Schauplatz des Mordes stand der Lindenhof im medialen Fokus. In der Kronen Zeitung forderte Staberl eine "härtere Tour" gegen die Heimkinder, während man sich in der Presse damals schon Gedanken machte, ob man den Doppelmord nicht im Zusammenhang mit dem "Erziehungssystem hinter den Mauern einer Anstalt" sehen müsse.

Rückblickend muss man den Kollegen der Presse wohl eher recht geben. Das ehemalige Heimkind Josef R. erinnert sich an sexuellen Missbrauch durch Erzieherinnen und Erzieher in Eggenburg. "Die haben sich den Job ausgesucht, damit sie Kontakt zu Buben haben." "In Eggenburg bin ich von besoffenen Erziehern blutig geschlagen worden", sagt Peter R., der ebenfalls in den 1960er-Jahren im Lindenhof untergebracht war. Um die Wunden zu vertuschen, seien er und andere verletzte Heim­kinder dann "in Einzelhaft" gekommen.

Eines der dunkelsten Kapitel der Wiener Heimerziehung wird 2013 geschlossen.

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