Wien: Gefangen im Bermudadreieck

Wien: Gefangen im Bermudadreieck
Wegen des ständigen Lärms wollen viele Bewohner wegziehen. Doch beim Wohnungsverkauf gibt es Probleme.

Der Lärmpegel steigt auf 96,4 Dezibel. Die Bässe werden lauter, die Gäste ausgelassener. Eine leichtbekleidete Frau tanzt auf der Bar. Es ist Freitagabend, 23.30 Uhr. Feieralarm im Bermudadreieck.

Auch vor den Discos steigt die Stimmung. Das Lärmmessgerät zeigt 74,1 Dezibel. Das Partyvolk feiert lauter, als Straßenmusikanten laut Verordnung untertags spielen dürfen (55 Dezibel).

Annemarie Mladek kennt diese Rituale. "Es hört nie auf. Es wird schlimmer." Die Wienerin wohnte 30 Jahre in dem Grätzl. Als die Architektin einzog, war das Viertel zwischen Schwedenplatz und Rotenturmstraße noch keine Partymeile. "Das kam später." Mittlerweile hat Mladek im Bermudadreieck die Nerven verloren. Sie zog an den Stadtrand. Ihre Wohnung bei der Ruprechtskirche nutzt sie nur noch selten. Sie ist nicht die Einzige. "Mehr als 70 Prozent der Wohnungen in dem Haus stehen leer." Vielen wurden Lärm, Müll und Erbrochenes zu viel. "Die Jugendlichen sollen feiern. Ich will es aber nicht auch mitanhören müssen."

Doch genau das scheint der Fall zu sein. Der Grund: Das Bermudadreieck liegt so wie andere Grätzel in einer "Wohn- und Schutzzone". Das Korsett, das Wohnungseigentümern hier aufgezwungen wird, ist eng. "Ich kann meine Wohnung nur als Wohnung verkaufen. Doch hier will ja niemand mehr leben. Der Wertverlust ist enorm", wettert Mladek. Sie zieht ein Dokument aus dem Jahr 1989 aus der Tasche, das die Schutzzone definiert. Eine Wohnung muss demnach überwiegend zum Wohnen verwendet werden. Wer die Räume als Büro verkaufen will, muss nicht selten einen gleich großen Ersatzwohnraum schaffen. "Wer kann sich das bitteschön leisten?", fragt Mladek.

Einzige Grauzone

Außerdem weiß niemand, wie die Bauordnung in dem Punkt genau zu verstehen ist. Der oberste Baupolizist Wiens, Gerhard Cech (MA 37), sagt: "Der Wortlaut lässt Unschärfen zu. Es handelt sich sicher um einen Graubereich." So dürfe ein Arzt in Mladeks Wohnung eine Praxis betreiben, während ein Rechtsanwalt wiederum hier schlafen müsste, um eine Kanzlei zu führen. Was dies für andere Berufe heißt, ist "nicht ausjudiziert". Unklar ist auch, was mit all den Rechtsanwälten und Steuerberatern ist, die in einer Wohnzone arbeiten, dort aber nicht wohnen. Mladek ärgert die mangelnde Rechtssicherheit. "Dass hier praktisch ein Wohnzwang entsteht, kommt einer kalten Enteignung gleich", sagt sie. "Wohnzonen in stark belasteten Grätzln müssen von der Regelung ausgenommen werden."

Bei Bezirksvorsteherin Ursula Stenzel (ÖVP) stößt dies auf taube Ohren: "Am Ende wäre die Innere Stadt ein bloßer Party- und Bürobezirk. Ich kämpfe hier um jeden Quadratmeter Wohnraum." Einer Umwidmung würde sie nicht zustimmen. Auch im Rathaus, das Stenzel übergehen könnte, steht man auf der Bremse. Im Büro von Planungsstadträtin Maria Vassilakou (G) heißt es: "Die wachsende Stadt braucht in erster Linie Wohnraum – wir wollen, dass die Menschen in der Stadt wohnen – was wir nicht brauchen, ist ein wachsender Speckgürtel." Vorstellbar sei aber, die Bauordnung verständlicher zu formulieren, um legistische Klarheit zu schaffen. Mladek ist das zu wenig. Sie überlegt, die Volksanwaltschaft in der Causa anzurufen. "Nicht nur ich fühle mich hintergangen. Es sind viele, die auf der Strecke bleiben."

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