Studenten wollen Universität klagen

Studenten wollen Universität klagen
Frauen wurden beim Eignungstest für die Medizin-Uni Wien bevorzugt. Prüflinge sprechen nun von Sexismus und Betrug.

Er wollte seit Kindheitstagen Chirurg werden, doch dieser Traum scheint für Oliver K. aus Wien jäh geplatzt. Am 6. Juli trat er in der Messe Wien zum Aufnahmetest für die Medizinische Universität Wien an, fünfeinhalb Stunden schrieb er all sein Wissen in die Testunterlagen – vergeblich, wie er am vergangen Dienstag erfuhr. Er schaffte die für ihn nötige Punkteanzahl nicht. "Hätte ich den Test als Frau gemacht, hätte ich jetzt einen Studienplatz", sagt K., der anonym bleiben will.

Für ihn bricht dieser Tage eine Welt zusammen. Schon vor einem Jahr war Oliver K. an dem Aufnahmetest gescheitert, er hatte sich nicht genug vorbereitet. Er begann Biologie zu studieren, nebenbei bereitete er sich intensiv auf den Zweitversuch vor. "Ich hab’ 400 Euro für Übungsmaterialien ausgegeben, dazu die Testgebühr von 97 Euro." Das alles soll jetzt vergebens gewesen sein. "Ich fühle mich von der Universität betrogen", sagt Oliver K. Ihm gehe es nicht um eine sexistische Hetze, sondern um Gerechtigkeit: "Nur weil ich ein X-Chromosom zu wenig habe, darf ich nicht Medizin studieren."

Frauenbonus?

Tatsächlich hat die Medizinische Universität Wien die Auswertung des Eignungstests für das Medizinstudium (EMS) verändert, mit deutlichen Folgen. 55,9 Prozent Frauen und 44,1 Prozent Männer erhalten heuer einen der 740 Studienplätze.

Ein eklatanter Unterschied zu den Jahren davor. 2011 wurden etwa 43,1 Prozent der Frauen und 56,9 der Männer zugelassen. Durch die getrennte Auswertung der Testergebnisse, können Frauen heuer trotz schlechterer Punktzahl einen Studienplatz bekommen ( siehe dazu auch Artikel unten ).

"Das ist kein Frauenbonus", betonte Vizerektorin Karin Gutierrez-Lobos noch am Tag des Aufnahmetests. Dieses Vorgehen solle lediglich Testfairness garantieren. Immerhin hätten sich bisher durchschnittlich zu 55 Prozent Frauen beworben, aber nur 45 Prozent die Aufnahme geschafft.

Schon im März liefen die Studentenvertreter gegen den neuen Modus Sturm: "Dies stellt eine deutliche Diskriminierung beider Geschlechter dar. Medizinstudentinnen könnten zukünftig als ‚Quotenfrauen" abgestempelt werden, auch wenn sie von der geschlechtsspezifischen Auswertung nicht profitiert haben", sagte etwa Christian Orasche, Obmann der Österreichischen Hochschülerschaft (ÖH) an der Medizinischen Uni Wien.

Klagen

Seit dem Bekanntwerden des Ergebnisses geht es in den Foren der Medizinstudenten rund. Mehrere Prüflinge fühlen sich von der geschlechtsspezifischen Auswertung benachteiligt, von purem Sexismus ist die Rede. Sogar weibliche Poster ergreifen Partei: "Ich finde es eine absolute Frechheit, dass ‚schlechtere" Frauen einen Platz bekommen und die besseren Männer nicht", schreibt eine Studentin. Die Abgewiesenen wollen nun eine Sammelklage gegen das Testergebnis einbringen. Auch Oliver K. will um sein Recht kämpfen: "Einer Sammelklage würde ich mich sofort anschließen."

Laut Verfassungsjurist Heinz Mayer hätte sie gute Chancen. "Ich halte es für bedenklich, Frauen und Männer unterschiedlich zu bewerten", sagt Mayer zum KURIER. "Im Studium und später als Ärzte müssen beide die gleiche Leistung bringen, daher muss auch die Leistung des Eignungstests gleich bewertet werden."

Bei der Medizinischen Universität Wien sieht man das naturgemäß anders. "Die genderspezifische Auswertung war unsere Lösung, um dem bestehenden Gender-Gap entgegenzuwirken", sagt Universitätssprecher Klaus Dietl. Das habe sich die Meduni Wien auch rechtlich absichern lassen.

Neuer Test

Dass diese Bewertung nicht der Weisheit letzter Schluss ist, gibt man auch bei der Meduni Wien zu. "Das Ziel der Uni ist es, ein faires Verfahren zu entwickeln", sagt Dietl. Der neue Test soll ab 2013 in Wien, Graz und Innsbruck zur Anwendung kommen und keinen mehr benachteiligen.

Das nützt Oliver K. wenig. Er hat sich ein Jahr auf diese Prüfung vorbereitet. Nun müsste er Biologie weiterstudieren, sonst droht der Verlust der Familienbeihilfe. Er habe alles auf das Medizinstudium ausgerichtet, erklärt Oliver K. verzweifelt: "Ich habe keinen Plan B."

Der umstrittene Aufnahmetest im Detail

Mittlerweile sind auch deutsche Medien auf den Wirbel um die Medizintests an österreichischen Universitäten aufmerksam geworden, - Spiegel online bezieht sich dabei auf den KURIER-Bericht - betrifft es doch auch viele deutsche Anwärter auf einen Ausbildungsplatz. Im Folgenden die Details des umstrittenen Tests.

Wer in Österreich Medizin studieren möchte, muss sich seit dem Jahr 2006 dem Eignungstest für das Medizinstudium (kurz: EMS) stellen.

Dieser von der Universität Fribourg (CH) ausgewertete Test setzt sich aus 10 Untertests zusammen und ist in einem Zeitraum von fünf Stunden zu absolvieren. Abgefragt werden unter anderem Bereiche aus der Mathematik, Geometrie, Organisation, Textanalyse und medizinische Grundlagen. In jedem einzelnen Untertest können die Studiumsanwärter eine bestimmte Anzahl von Punkten erreichen, in den meisten Untertests sind dies 20 Punkte. Für das Durcharbeiten der einzelnen Aufgaben steht nur eine gewisse Zeit zur Verfügung. Dann geht es zum nächsten Unterpunkt.

Mithilfe einer Formel errechnet die Universität aus den erreichten Gesamtpunkten einen Testwert, der für die Reihung der Teilnehmer maßgeblich ist. Bei der heuer erstmals in Wien angewandten gen­derspezifischen Auswertung wurde der Testwert für Männer und Frauen separat errechnet.

Das wenig überraschende Ergebnis: Frauen wurden mit weitaus weniger Punkten noch immer vor Männer gereiht.
Laut Berechnungen von Studenten reicht angehenden Medizinerinnen ein Testergebnis mit 8 Punkten weniger als das eines Mannes, um dennoch vor ihm gereiht zu werden.

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