Steine der Erkenntnis

Steine der Erkenntnis
Das Naturhistorische Museum präsentiert seine Meteoritensammlung neu.

Stellen Sie sich vor, ein Meteorit schlägt auf dem Wiener Stephansplatz ein, ein 1-mal-1-km-Bröckerl 30 km/sec schnell. Was passiert? Das Naturhistorische Museum (NHM) hat seit heute die Antwort: Im neu gestalteten Meteoritensaal können Nestroys Urururenkel am Impakt-Simulator Amageddon spielen. Es ist nur eines der neuen Tools, das die knapp 240 Jahre alte Wiener Himmelboten-Sammlung fit fürs 21. Jahrhundert machen soll.

Nun die Vitrinen aus 1903 entsprachen wohl tatsächlich nicht mehr den heutigen Ansprüchen an Wissensvermittlung und interaktive Aufbereitung, von adäquater Präsentation neuer Forschungsergebnisse ganz zu schweigen. Und so wurden alle bisherigen Wandvitrinen durch neue Medien-Stationen, interaktive Hands-on und Animationen ersetzt.

„Was haben wir von den Meteoriten gelernt?“ Das ist das Motto für Christian Köberl. Und weil der Direktor des NHM auch Meteoriten-Forscher ist, beantwortet er diese Frage auch gleich: „Zum Beispiel haben Meteoriten-Untersuchungen dazu beigetragen, dass wir heute wissen, wie die chemischen Elementen und das Sonnensystem entstanden sind.“ Inklusive Erde, deren Alter auch mithilfe der Steine vom Himmel errechnet werden konnte.

Fast alle Meteoriten sind 4,5 Milliarden Jahre alt, genauso alt wie die Erde. Unser Sonnensystem ist, so unser derzeitiger Wissenstand, 4,6 Milliarden Jahre alt. Innerhalb von 100 Millionen Jahren haben sich die Sonne, die Planeten und zahlreiche Kleinplaneten, sogenannte Planetoide, gebildet. Viele Meteoriten, die Bruchstücke von Planetoiden, haben sich seit dem Zeitpunkt ihrer Entstehung nicht mehr verändert: Sie sind also Zeugen aus der Frühzeit unseres Sonnensystems. „Die Gesteine auf der Erde unterliegen einer ständigen Umwandlung und geologischen Veränderungen“, erklärt der Kustos der Sammlung, Franz Brandstätter. „Nur Meteoriten erinnern sich an die Anfänge unseres Sonnensystems.“

Hirngespinste

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Viele der wissenschaftlichen Erkenntnisse sind der Wiener Sammlung zu danken, wurde die Himmelboten hier doch bereits gesammelt und erforscht, als man sie überall sonst auf der Welt noch für Hirngespinste hielt. Heute werden in einem fensterlosen Kammerl des NHM Hightech-Untersuchungen mit dem Rasterelektronen-Mikroskop gemacht: „So kann man die chemische Zusammensetzung feststellen. Auch feinste Einschlüsse können ausgemacht werden“, sagt Brandstätter. Die Faszination dabei? „Das ist Material, das von einem anderen Himmelskörper stammt und uns Auskunft darüber gibt, was sich dort abgespielt hat.“

Die neueste Errungenschaft des NHM aus einer anderen Welt ist auf den ersten Blick völlig unscheinbar und trotzdem hat das ganze Museum ein Jahr lang dichtgehalten, um die Überraschung anlässlich der Wiedereröffnung des Meteoritensaals präsentieren zu können: Einen neuen österreichischen Meteoriten.
Neuzuwachs Direktor Köberl: „Er heißt Ischgl, nach seinem Fundort, ist faustgroß und einer von nur sieben Meteoriten, die je auf Österreich niedergegangen sind.“

Ach übrigens: Wer bis hierher gelesen hat, erfährt nun auch, was der eingangs erwähnte Stein mit 1-km-Durchmesser anrichtet: Zuerst schlägt er einen 20 km weiten und 1 km tiefen Krater, löst in der Folge ein Erdbeben der Stärke 8 nach Richter aus und zerstört ganz Wien und Umgebung bis zum Neusiedler See.

Am Ältesten Die Meteoritensammlung des Naturhistorischen Museums Wien ist die älteste weltweit. Der berühmte Eisen-Meteorit Hraschina, 1751 bei Zagreb in Kroatien niedergegangen, ist der Gründungsmeteorit der Sammlung.

Am Größten Heute umfasst die Wiener Meteoritensammlung mehr als 7000 Objekte. 1100 sind in der Schausammlung des NHM zu sehen.

Beinahe wäre der zweitgrößte Meteorit der Welt im vergangenen Juni vor dem Museum Fridericianum im deutschen Kassel gelandet. Die Leiterin der weltweit tonangebenden Kunstschau „Documenta 13“, Carolyn Christov-Bakargiev, wollte den Himmelskörper „El Chaco“ aus Argentinien zur Kunstschau bringen lassen.

Der Transport scheiterte am Protest der dortigen Bevölkerung – doch die Idee der Kuratorin formte doch die Perspektive der Ausstellung. Der Himmelskörper diente als Impulsgeber, um über Zeit, die Beständigkeit von Dingen und Bezugspunkte des Daseins nachzudenken. Auch die Künstlerin Katie Paterson stellte zuletzt im Wiener Kunstraum „Bawag Contemporary“ den Bronze-Abguss eines Meteoriten aus – hier ging es ebenfalls um kosmische Dimensionen und die relativ kurze Haltbarkeit irdischer Denkmäler.

Drastischer ging es da der italienische Künstler Maurizio Cattelan an: In seinem Werk „La Nona Ora“ ließ er eine lebensechte Figur Papst Johannes Pauls II. von einem Himmelskörper niederstrecken. Ebenfalls 1999 wurde dem Wiener MuseumsQuartier ein Meteorit als Grundstein eingesetzt. Heute bindet die „Meteoriten-Passage“ das Kulturareal an das benachbarte NHM an – mit einem Original-Himmelskörper und literarischen Texten.

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