SPÖ Wien startet Rückholaktion

Parteirebell Kowall: „Kontakt verloren“
Wie die Wiener SPÖ die Tausenden Nichtwähler wieder mobilisieren will.

Es ist uns nicht gelungen, unsere Wähler zu mobilisieren“ – so erklärt sich die Wiener SPÖ von Bürgermeister Michael Häupl bis hinunter zu den Bezirksfunktionären das enttäuschende Abschneiden bei der Nationalratswahl am Sonntag. 13 Prozent der Wähler, die 2008 noch die SPÖ angekreuzt haben, gingen diesmal erst gar nicht zur Wahl. Das zeigen erste Analysen. Das Ergebnis ist bekannt: Stadtweit verloren die Roten drei Prozent, im Bezirk Ottakring waren es sogar fünf Prozent.

Doch warum blieben diesmal so viele SPÖ-Wähler zu Hause? Und welche Lehren ziehen die Stadt-Roten daraus für die Gemeinderatswahl 2015?

Eine mögliche Ursache für die mangelnde Wähler-Mobilisierung: Viele Genossen haben sich in der Wahlkampf-Endphase zurückgelehnt, weil die SPÖ in den Umfragen klar auf Platz eins lag. „Viele unserer Wähler und manche Funktionäre dachten sich, die Sache ist eh schon gelaufen. Für uns wäre es besser gewesen, SPÖ und ÖVP wären in den Umfragen Kopf an Kopf gelegen. Das hätte zu noch mehr Engagement geführt“, sagt Sepp Stranig, Spitzenkandidat der SPÖ in Döbling.

Dort hat SPÖ trotz geringer Verluste die ÖVP von Platz eins verdrängt. Das sei auch Verdienst eines „sehr modernen Wahlkampfs“ gewesen, ist Stranig überzeugt. Neben Klinkenputzen im Gemeindebau habe man einen intensiven Basiswahlkampf auch in traditionellen ÖVP-Gebieten sowie mit Social-Media-Kanälen wie Facebook und Twitter geführt (mehr zum Social-Media-Wahlkampf siehe unten).

Zu zentralistisch?

Das allein reicht aber noch nicht, um frustrierte Kernwähler zurückzugewinnen: „Wir haben einen Wahlkampf erlebt, der generalstabsmäßig von der Zentrale geplant wurde“, kritisiert Niki Kowall von der Sektion 8 Alsergrund, die seit Jahren mit aufmüpfigen Ideen die Parteispitze ins Schwitzen bringt. „Noch vor 30 Jahren sind wir über die Sektionen direkt in den Kontakt mit den Wählern getreten. Die Funktionäre waren vor Ort Ansprechpartner zu Themen wie Wohnen oder Freizeit. Heute sitzen in den Sektionen zunehmend ältere Menschen, die oftmals den Kontakt zur Bevölkerung verloren haben.“

Eine Analyse, die man an der Parteispitze nicht teilt: „Gerade in den vergangenen Jahren haben wir die Parteiarbeit im Grätzel sehr stark gefördert. Es gibt neue Strukturen, wo bisher noch weiße Flecken waren“, betont Landesparteisekretär Christian Deutsch. Die Wahlkampf-Planung sei auch diesmal in enger Abstimmung mit den Bezirken erfolgt. Und bis zum Wahltag seien die Funktionäre in den Bezirken unterwegs gewesen und hätten Hausbesuche gemacht – mit 120.000 sei das ursprüngliche Ziel sogar deutlich übertroffen worden.

Doch warum hat man dann nicht mehr SPÖ-Sympathisanten zur Wahlurne bewegen können? „Offenbar sind viele Wähler daheim geblieben, weil sie gedacht haben: Nach der Wahl heißt der Bundeskanzler ohnehin Faymann“, lautet Deutschs Schlussfolgerung. „Natürlich werden wir uns dieser Gruppe besonders annehmen.“ Mit einem Bündel von Maßnahmen, das nach der Gesamtanalyse der Wahl geschnürt werden soll.

In Sachen Social Media-Kommunikation gibt es bei Österreichs Parteien noch "große Defizite". Für Judith Denkmayr, Geschäftsführerin der Agentur "Digital Affairs" ist das eine der wesentlichen Erkenntnisse des jüngsten Nationalratswahlkampfs. "Es gab viel politisches Hickhack, Dialog stand oft nicht im Vordergrund", sagte Denkmayr Mittwochabend bei einem Symposium des Friedrich Funder Instituts in Wien.

Großparteien: Nicht auf User eingegangen

Die Großparteien SPÖ und ÖVP hätten in den sozialen Netzwerken vor allem ihre "eigenen Großartigkeit" demonstriert. Auf die User sei man dort nicht wirklich eingegangen. "Wahlkampf-Claims können einem um die Ohren fliegen, wenn ein Medium einen Rückkanal hat", so Denkmayrs Botschaft an die Politik. Und: "Tonalität ist Teil des Gesamtauftritts. Unguided Missiles schädigen das Image." Technologie beherrschen sei nicht genug, man müsse auch kommunizieren können.

Positiver bewertete Denkmayr die Social Media-Aktivitäten von FPÖ, Grünen und NEOS. Diese hätten die Möglichkeiten der sozialen Netzwerke "gut genutzt". So habe etwa der "HC Strache Rap" auf YouTube inzwischen über 700.000 Abrufe. Ob einem das Video gefalle oder nicht, das sei schon eine gelungene Aktion, erklärte die Social Media-Expertin. Denkmayrs Resümee: "Propagandaartiges Drüberziehen ist wenig sinnvoll. Der Köder muss dem Fisch schmecken, nicht dem Wahlkampfmanager."

Erster Online-Wahlkampf

"Das war der erste Online-Wahlkampf den wir gesehen haben", meinte der Politikberater Thomas Hofer. Während es etliche gute Mobilisierungsvideos gegeben habe, sei auf dem Kurznachrichtendienst Twitter einiges aus dem Ruder gelaufen. Die ÖVP sei dort etwa stark, aber zu propagandistisch unterwegs gewesen. "Da haben einige Twitter missverstanden", sagte Hofer.

"Die NEOS sind vielleicht gerade deshalb reingekommen, weil sie sich im ORF nicht entzaubern konnten"

Der "strategische Megagau des Wahlkampfs war aber Frank Stronach". Dieser hätte sich mit seinen Fernsehauftritten selbst versenkt, so der Politikberater. Anders die Erklärungsversuche über den Parlamentseinzug der NEOS. "Die NEOS sind vielleicht gerade deshalb reingekommen, weil sie sich im ORF nicht entzaubern konnten", gab die stellvertretende Kurier-Chefredakteurin Martina Salomon zu bedenken.

Kritik am Wahlkampf-Medium Fernsehen übte unterdessen Falter-Herausgeber Armin Thurnher. "Das war ein sehr TV-konzentrierter Wahlkampf, eine Art Polit-Casting-Show. Und die Printmedien haben sich von der Dominanz des Fernsehens treiben lassen und ihre Formate ebenfalls angepasst", so Thurnher. "Man entkommt dieser TV-Popularisierung nicht, das geht aber zu Schaden der Politik, die versucht, sich dem Entertainment-Faktor anzupassen. Wenn sich Politiker im Fernsehen wie Kasperl verhalten, kann eine hohe Quote sogar zu größerer Politikverdrossenheit führen. Für die Demokratie ist das keine besonders erfreuliche Entwicklung."

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