Medikamente für einen Toten

Medikamente für einen Toten
Befunde des Wiener AKH strotzen vor Fehlern. Eine Witwe will vor Gericht ziehen.

Frau K. blättert durch die Patientenakte ihres verstorbenen Mannes und redet sich in Rage. Vor ihr liegt ein Blutbefund, das Datum hat sie mit einem gelben Stift markiert. "Als das Blut abgenommen wurde, war mein Mann gar nicht im Spital", erzählt sie.

Der 74-jährige Krebspatient kam erst drei Wochen später ins Wiener AKH.

Der Fall ihres Gatten, eines am 15. Februar 2012 verstorbenen, pensionierten Oberarztes könnte bald ein Gericht beschäftigen. Es geht um Befunde, die nur so vor Fehlern strotzen. Die mangelhafte Dokumentation geht so weit, dass die Pensionistin gar zweifelte, ob es darin um ihren Gatten geht. Wurde er verwechselt?

Medikamente für einen Toten
Anwalt, Dr. Oliver Koch
Frau K. hat den Wiener Rechtsanwalt Oliver Koch damit beauftragt, der These nachzugehen. Koch sezierte die Dokumente wie ein Chirurg – und wurde fündig. "Ich habe mich auf die zwanzig gröbsten Verfehlungen konzentriert", sagt er.

K. bekam laut den Dokumenten noch Medikamente, als er bereits tot war. In Befunden sind Stationen erwähnt, auf denen er nie war. Auch variieren sein Gewicht von einem auf den anderen Tag um 20 Kilogramm und seine Größe um sieben Zentimeter. Als Aufnahmegrund wurde Fieber angeführt, obwohl der Patient laut der Fieberkurve eine normale Temperatur hatte.

In einem Schreiben ans Wiener AKH hält Koch fest: Von den "gravierenden Dokumentationspflichtverletzungen abgesehen, liegen sogar manifeste Hinweise darauf vor, dass der Patient effektiv und mehrfach verwechselt wurde". Koch schreibt von "Fehlbehandlungen". Er wird nicht nur Trauerschmerzensgeld für seine Mandantin einfordern, sondern behält es sich vor, "die Staatsanwaltschaft einzuschalten".

Keine Obduktion

Herr K. litt an Krebs. Die Diagnose ist zehn Jahre alt, eine Operation verlief damals gut. Der Mediziner, so erzählt es seine Frau, hielt sich akribisch an die Kontrolltermine und war vor seiner Einlieferung noch auf Skiurlaub. Er starb elf Stunden nach einer Gastroskopie. Den Aufklärungsbogen dazu unterschrieb er mit krakeliger Schrift. Als Todesursache gaben die Ärzte eine Lungenembolie an. Eine Obduktion gab es nicht. Zwei Jahre lang kämpfte die Witwe mit der Bürokratie, um alle Befunde zu bekommen. All das machte sie stutzig.

Juristisch ist der Fall heikel. Wenn Ärzten Fehler vorgeworfen werden, sind Gutachter am Zug, die das untersuchen. Wie ist vorzugehen, wenn bereits die Dokumente mangelhaft sind? "Das ist kein Fall für Gutachter. Es geht um Beweiswürdigung", sagt Anwalt Koch. Als Beispiel nennt er den Blutbefund. Er könne falsch datiert oder von einem anderen Patienten sein. Auf Basis der Laborergebnisse erhielt K. Blutkonserven. Koch: "Je mehr ich mich damit beschäftige, desto gruseliger wird es."

Richtige Behandlung

Im Wiener AKH heißt es: "Wir bedauern aufrichtig das Ableben des Patienten, dessen schwere Krebserkrankung trotz aller Behandlungen schließlich zum Tod geführt hat. Im Rahmen der Dokumentation ist es in nicht-medizinischen Angaben zu Irrtümern gekommen, wofür wir uns nochmal entschuldigen möchten. Die Behandlung war durchgehend richtig und davon unbeeinflusst." Die AKH-Ombudsstelle und die Patientenanwaltschaft hätten den Fall geprüft. Überdies habe man mehrfach mit Frau K. gesprochen und ihr die Befunde ausgehändigt.

Herr K. war 35 Jahre als Gerichtsgutachter tätig: "Solche Fehler", sagt seine Frau, "sind ihm nie passiert."

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