"Konnte nicht mehr zusehen, wie Babys im Dreck schlafen"

78 Kinder unter zwei Jahren leben derzeit im Erstaufnahmezentrum
Einen Monat lang stellt der KURIER Menschen vor, die Flüchtlingen helfen. Egal ob sie gemeinsam Sport machen, Deutsch lernen oder Betten für Babys bauen.

Yvonne Frey breitet eine Decke auf dem Parkplatz in der Akademiestraße aus – direkt vor dem Erstaufnahmezentrum Traiskirchen. Sie holt Bananen aus ihrem Auto, Buntstifte, Hefte und ein Bilderbuch. "Come on, let’s play", ruft sie den Müttern und Kindern zu, die entlang des Zaunes im Schatten sitzen. Die Kinder lächeln, schauen zögernd ihre Mütter an und laufen dann zu Yvonne Frey. Sie holt das Bilderbuch und zeigt auf eine Kuh: "This is a cow. What is it called in Farsi? In German it’s called Kuh."

Yvonne Frey (41) ist Pädagogin und hat das Projekt "Newbornbaskets" ins Leben gerufen. Drei Mal pro Woche kommt sie mit Hebamme Alexandra Horatschek nach Traiskirchen, um dort Müttern und Kindern zu helfen. Die beiden besorgen Medikamente, geben Müttern Wundsalben für ihre Babys, fragen, ob sie ein Bett für sie brauchen.

Betten für Babys

"Konnte nicht mehr zusehen, wie Babys im Dreck schlafen"
Yvonne Frei ist Pädagogin und hat den Verein "Newbornbaskets" gegründet. Sie fertigt aus alten Körbern Babybetten und berät gemeinsam mit Hebammen die Mütter im Erstaufnahmezentrum Traiskirchen
Frey und Horatschek sind nicht die Einzigen, die in der aktuellen Flüchtlingsmisere helfen. Der KURIER wird im nächsten Monat immer wieder Menschen vorstellen, die sich engagieren (siehe Kästen rechts). Denn das tun immer mehr Menschen. Sie bringen Essen nach Traiskirchen, helfen Flüchtlingen beim Deutschlernen oder verbringen Zeit mit ihnen. Einfach so, aus purer Überzeugung.

Yvonne Frey bastelt Kinderbetten aus alten Körben. In jedem liegt eine selbstgehäkelte Decke und ein kleines Stofftier. Warum sie das macht? "Ich konnte nicht mehr zuschauen", sagt sie. Frey ist selbst Mutter von vier Buben und wohnt nur eine halbe Stunde vom Erstaufnahmezentrum entfernt. "Wie soll ich ruhig schlafen, wenn ich meine vier Mausis niederlege und weiß, dass in Traiskirchen Kinder auf dem Boden im Dreck schlafen müssen?"

Hinschauen

Yvonne Frey hilft, weil sie nicht länger zuschauen will, wie Kinder am Boden schlafen, wie Schwangere völlig dehydriert in überhitzten Zelten ihr Dasein fristen und nicht einmal genug Wasser zum Trinken haben. Drei Mal pro Woche ist Frey in Traiskirchen. So wie vergangenen Dienstag legt sie dann eine Decke auf den Boden. Die Mütter warten schon auf sie, es hat sich herumgesprochen, dass da jemand kommt, um zu helfen.

Nachdem Frey und Horatschek am Dienstag einige Minuten mit den Kindern gespielt haben, entdecken sie eine Schwangere vor dem Erstaufnahmezentrum. Sie ist blass und wirkt schwach. Horatschek bittet um den Mutter-Kind-Pass und misst den Blutdruck der Frau. Er ist viel zu hoch. In den Unterlagen der Frau sieht die Hebamme dann auch, dass der Frau bei einem Spitalsaufenthalt in Österreich Bluthochdruck diagnostiziert wurde.

"In Österreich liegen Schwangere deshalb eine Woche im Spital", sagt Horatschek. Die Frau in Traiskirchen hat nicht einmal Medikamente. Zwar wurden ihr die verschrieben, nur hat die Frau kein Geld, sie zu kaufen. Und im Lager kümmerte sich auch niemand darum.

Frey und Horatschek bringen die Frau zu einem Security-Mann und erklären ihm, wie schlecht es ihr geht. "Steht sie auf der Liste?", fragt er. Ja, tut sie. "Wirklich, die Frau gehört in ein Spital. Bitte rufts die Rettung", sagt Horatschek. Der Security holt die Frau hinein. Später am Abend wurde sie schließlich ins Krankenhaus Mödling gebracht. Ohne Yvonne Frey und Alexandra Horatschek wäre das wohl nicht passiert. newbornbaskets

Ball fangen, an den Körper drücken, lossprinten und den Gegnern ausweichen. Udochuku Richson hat vor acht Jahren die Liebe zum Rugby entdeckt. In den letzten Jahren hat er es in die Kampfmannschaft geschafft. Seit knapp drei Monaten gibt Richson nun seine Begeisterung für die Ballsportart an Migranten und nun Flüchtlinge weiter. Unter dem Namen "Rugby Opens Borders" ermöglicht der Wiener Verein "Rugby Union Donau" 30 Jugendlichen ein Training im Trendsportzentrum Prater.Derzeit werden auf www.wirsinddabei.at neue Mitglieder gesucht. Diese Plattform gründete jetzt der Österreichische Integrationsfonds, um Flüchtlinge und Engagierte zusammenzubringen.

"Wir haben uns überlegt, wie wir dazu beitragen können, dass sich Flüchtlinge und Migranten in Wien willkommen fühlen", sagt Udochuku Richson. Gerade Sport sei dafür ideal. Hier gebe es keine Sprachbarriere. Auf dem Spielfeld sind alle gleich. "Dazu kommt", sagt Richson: "Rugby ist eine Sportart mit viel Körperkontakt. Da braucht es ein hohes Maß an Disziplin, Respekt und Toleranz."

Alles Kriterien, die für die Integration wichtig sind. Das gemeinsame Training ist nur der erste Anknüpfungspunkt. Zusammen fährt die Mannschaft zu Turnieren oder macht Ausflüge. Danach wird gekocht, gegessen, getratscht und gefeiert.

Fußball verbindet. Das trifft auf den Wiener Sportklub ganz besonders zu.

Der Hernalser Fußballverein spendet unter anderem regelmäßig an die Gruft, hat eine Spendenaktion für das Begräbnis eines Fans initiiert, damit dieser nicht in einem Armengrab beigesetzt werden muss, und veranstaltet seit sieben Jahren den Ute-Bock-Cup, ein Fußballturnier bei dem das gesamte Startgeld der Mannschaften an den Verein von Flüchtlingshelferin Ute Bock gespendet wird. Auch heuer setzt sich der Sportklub für Flüchtlinge ein: Für die Vorbereitungsspiele gegen den FC Valencia und Paris Saint-Germain ließ der Verein die Dressen mit "Refugees Welcome" bedrucken. In diesen Dressen wird der Sportklub auch die gesamte Meisterschaft in der Regionalliga bestreiten.

Für Freitag um 18 Uhr, lud der Sportklub 13 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge aus dem Asylquartier in Erdberg sowie zwei Burschen aus dem Erstaufnahmezentrum Traiskirchen ein, mit den Nachwuchskickern des Sportklub ein Match zu spielen. Nicht gegeneinander, sondern miteinander: "Wer mit wem in einer Mannschaft spielt, entscheidet das Los", sagt Adi Solly vom Sportklub. "Das soll an die Gnade der Geburt erinnern."

Auch die 50 Frauen und Mädchen, die in Ottakring untergebracht sind, wurden am Sportplatz erwartet. Gemeinsam mit den Sportklub-Fans haben sie sich das Meisterschaftsspiel gegen Schwechat auf der Friedhofstribüne angeschaut.

Bernhard Hofer vom Public Opinion Institut für Sozialforschung analysiert seit Jahren die Freiwilligen-Arbeit der Österreicher. Der KURIER sprach mit ihm über soziales Engagement in der Flüchtlingskrise.

KURIER: Wie wichtig sind freiwillige Initiativen und Aktionen in humanitären Notsituationen?

"Konnte nicht mehr zusehen, wie Babys im Dreck schlafen"
Bernhard Hofer
Hofer:Soziale Beziehungen sind von unschätzbarer Bedeutung für die individuelle Lebensqualität, sie sind der "soziale Kitt" der Gesellschaft. Um die Flüchtlingssituation qualitativ zu meistern, sind Initiativen also unverzichtbar. Es bedarf der Einbindung der Organisationen mit ihrer Erfahrung. Es bedarf der menschlichen Zuwendung, des Beziehungsaufbaus im informellen Bereich. Das ist unsere humanitäre Bringschuld. Damit zeichnen wir uns als Menschen aus.

Soziale Organisationen wie die Caritas oder der Arbeiter-Samariterbund melden einen starken Anstieg an Freiwilligen, die Flüchtlingen helfen wollen. Wie sehr hat die aktuelle Flüchtlingslage Auswirkung auf das Engagement der Österreicher?

Großereignisse wie Katastrophen hatten schon immer Auswirkungen auf die Hilfsbereitschaft von Privatpersonen. Diese hängt jedoch davon ab, wie groß die jeweilige Betroffenheit und die emotionale Verbundenheit ist. Mehr Auswirkung als nüchterne Statistiken haben vor allem Berichte über Einzelschicksale.

Wie wichtig sind Smartphone, Apps und Internet für die Arbeitsweise der Engagierten?

Ein Großteil der Vernetzung wird nach wie vor von großen Organisationen getragen. Diese verfügen in der Regel über Datenbanken von Mitgliedern und nützen soziale Medien, versenden elektronische Newsletter und rufen über das Internet zu Initiativen auf. Damit steigt die Reaktionsgeschwindigkeit. Die neuen Medien bieten auch zusätzliche Interaktionsmöglichkeiten. Sie schaffen Raum für neue Formen des Engagements, die zum Teil orts- und zeitunabhängig sind.

Die Hilfe von Privatpersonen macht sich auch in Form von Sach- und Geldspenden bemerkbar. Gab es hier eine Veränderung seit sich die Flüchtlingssituation in Syrien noch weiter verschärft hat?

Ja. 2014 spendeten rund sechs Prozent der Österreicher für Flüchtlinge, Verfolgte, Opfer von Kriegen im Ausland. 2013 waren es lediglich zwei Prozent.

Wie groß ist das Engagement der Österreicher im Vergleich mit anderen europäischen Ländern?

Mit 3,3 Millionen Engagierten – das sind 46 Prozent der Erwachsenen – nimmt Österreich gemeinsam mit den Niederlanden, Schweden und dem Vereinigten Königreich einen Spitzenplatz ein.

Sind wir so altruistisch?

Freiwillige balancieren zwischen Fremd- und Eigennutz, wobei Letzterer nicht im Widerspruch zum Gemeinnutzen steht. Es geht darum, etwas für sich mit anderen für alle zu tun. Rund acht von zehn Befragten geben zudem an, dass sie durch ihr Engagement Erfahrungen teilen bzw. Freundschaften schließen können.

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