"Facharbeiter mit Hilfsarbeiter-Gehalt"

Mitautorin Theodora Manolakos: "Diskriminierung durch Arbeitgeber."
Theodora Manolakos, Monitor-Mitautorin, über ausländische Fachkräfte, Bildung von Migranten und das Zusammenleben in Wien.

Theodora Manolakos von der MA 17 (Integration und Diversität) ist eine der Mitautorin des Monitors.

KURIER: Laut Integrationsmonitor arbeiten 34 Prozent der Beschäftigten mit höherer Bildung aus Nicht-EU-Staaten in Hilfstätigkeiten. Das Bild vom ausländischen Mediziner, der in Wien als Taxifahrer seinen Unterhalt verdient, entspricht also nach wie vor der Realität?

Theodora Manolakos: Ja. es geht hier vor allem um die zahlenmäßig besonders stark vertretene Gruppe von Migranten aus Ländern wie der Türkei oder Serbien. Darunter sind wiederum vor allem Frauen von dem Problem betroffen. Immer wieder kommt es vor, dass Akademikerinnen aus diesen Ländern beispielsweise als Pflegerinnen arbeiten müssen. Man muss sich vor Augen halten, welches Potenzial uns dadurch entgeht. Letztlich geht es auch um Steuereinnahmen, die der Stadt verloren gehen.

Was muss dagegen unternommen werden?

Natürlich ist die Politik gefordert, ausländische Abschlüsse besser anzuerkennen. Wir müssen aber auch die Privatwirtschaft in die Pflicht nehmen. Sehr oft kommt es vor, dass Arbeitnehmer mit Migrationshintergrund bei gleicher Tätigkeit deutlich weniger verdienen als ihre Kollegen. Es gibt Facharbeiter, die nur so viel Geld bekommen wie Hilfsarbeiter. Das ist Diskriminierung durch die Arbeitgeber.

Wie ist es generell um die Bildung von Migranten bestellt?

Vorweg das Positive: Der Anteil jener Wiener mit Migrationshintergrund, die nur einen Pflichtschul-Abschluss haben, geht deutlich zurück. Was uns überrascht hat: Bildung wird entgegen der landläufigen Meinung nicht vererbt – zumindest bei Migranten nicht. Kinder von Eltern, die mit einem hohen Bildungsniveu zugewandert sind, tun sich oft schwer, ebenfalls auf dieses Niveau zu kommen. Sie sind immer noch mit Barrieren im Bildungssystem konfrontiert. Etwa im Kindergarten, wenn ihre Eltern aufgrund von Sprachproblemen nicht so gut mit den Pädagogen kommunizieren können. Hier braucht es noch mehr mehrsprachige Angebote.

Laut Bericht sind zwischen 2010 und 2013 aus der Sicht der einheimischen Wiener die Probleme im alltäglichen Zusammenleben deutlich zurückgegangen. Ihre Erklärung dafür?

Hier hat sicher die Stadt ihren Beitrag geleistet. Sie hat viel im Bereich Integration investiert. So ist Wien heute eine Stadt, die eine hohe soziale Durchmischung hat.

Könnte angesichts der aktuellen Islamismus-Debatten die Stimmung wieder kippen?

Wenn man die Erhebung jetzt machen würde, würde das Zusammenleben sicher schlechter beurteilt werden. Allerdings nicht nur seitens der Einheimischen, sondern auch von den Migranten selbst.

Die Hälfte aller Wiener - exakt 49 Prozent - hat Migrationshintergrund. Damit wurde so gut wie jeder zweite Bundeshauptstädter im Ausland geboren oder hat zumindest einen nicht in Österreich geborenen Elternteil. Das geht aus dem aktuellen Integrations- und Diversitätsmonitor hervor. Probleme finden sich etwa am Arbeitsmarkt: Trotz höherer Qualifikation gibt es oft nur schlecht bezahlte Jobs.

Der im Auftrag der Stadt erarbeitete Monitor, dessen inzwischen dritte Auflage Integrationsstadträtin Sandra Frauenberger (SPÖ) am Mittwochabend vor Journalisten vorstellte, soll regelmäßig den Status quo analysieren und Handlungsanweisungen für die Politik liefern.

Ganze 31 Prozent der Wiener mit Migrationshintergrund gehören der ersten Generation an, wurden also tatsächlich im Ausland geboren. 18 Prozent sind Migranten der zweiten Generation. Immerhin 23 Prozent der Stadtbewohner haben einen ausländischen Pass.

Oft Hilfs- und Anlerntätigkeiten

In Sachen Bildung sieht man die Situation im Rathaus durchaus positiv. Mehr als die Hälfte der seit Mitte der 1990er-Jahre Zugewanderten haben laut Bericht einen Maturaabschluss. Allerdings gibt es überdurchschnittlich oft Schwierigkeiten, den Bildungsstandard in adäquate Jobs umzusetzen - vor allem für Menschen aus Drittstaaten (mehr dazu unten). Ein Drittel (34 Prozent) der Personen mit höherem Abschluss arbeitet lediglich in Hilfs- und Anlerntätigkeiten und muss eine schlechtere Entlohnung hinnehmen.

Nicht allzu verwunderlich also, dass das Nettoeinkommen in Haushalten ohne Migrationshintergrund in den vergangenen zehn Jahren um zehn Prozent gestiegen ist. Es liegt nun bei durchschnittlich 23.000 Euro jährlich, während es in Haushalten, in denen Menschen aus Drittstaaten wohnen, mit 15.000 Euro unverändert blieb. Die Stadt will sich hier u.a. für mehr Anerkennung und Wertschätzung der mitgebrachten Kompetenzen und Qualifikationen starkmachen.

Fast ein Viertel von Wahlen ausgeschlossen

Ein weiteres Problem ortet Frauenberger beim Wahlrecht. Denn 24 Prozent aller Wiener im wahlfähigen Alter seien aufgrund ihrer ausländischen Staatsangehörigkeit von Urnengängen ausgeschlossen. "Dieser Anteil und damit das Demokratiedefizit steigen stetig", so die Schlussfolgerung. Die Ressortchefin will deshalb - soweit auf Landesebene möglich - Mitbestimmungsmöglichkeiten a la Bürgerbeteiligung, Petitionsrecht oder in Interessensvertretungen nutzen bzw. ausbauen. Eine Öffnung des Wahlrechts bei der nächsten Wien-Wahl für Menschen ohne österreichischen Pass, setzt allerdings Änderungen auf Bundesebene voraus.

3. Integrationsmonitor als Pdf

Jugendliche mit Migrationshintergrund sind sowohl in der Lehre als auch an weiterführenden Schulen unterrepräsentiert. Den Gründen dafür ist der Soziologe Konrad Hofer in einer Studie für die Arbeiterkammer (AK) nachgegangen - sie liegen einerseits im Halbtags-Schulsystem, bei vielen Betrieben, aber auch in den Familien bzw. den Jugendlichen selbst.

Derzeit beträgt der Anteil von Kindern mit nichtdeutscher Muttersprache in der achten Schulstufe 21 Prozent. Zum Vergleich: In weiterführenden Ausbildungen sind es nur mehr knapp 15 Prozent. Darüber hinaus besuchen diejenigen Jugendlichen mit Migrationshintergrund, die eine weiterführende Ausbildung beginnen, vor allem Ausbildungswege mit ohnehin hohen Abbruchsraten wie etwa Handelsschulen.

Keine Lehre mit schlechten Noten

Für seine qualitative Untersuchung hat Hofer mehr als 100 Jugendliche in Wien und Vorarlberg sowie deren Eltern, Lehrer und Ausbildner befragt. Das Ergebnis war zum Teil wenig überraschend: Jugendliche mit schlechten Schulnoten haben vor allem in Wien wenig Chancen auf eine Lehrstelle. Das liegt aber nicht unbedingt an mangelnden Kompetenzen. Bei Befragungen habe etwa ein Jugendlicher angegeben, dass es nach der Schule statt an die Hausübungen immer zu den Freunden in den Park ging. "Bei den Schularbeiten war der aber überhaupt nicht schlecht", so Hofer bei der Studienpräsentation am Mittwoch. Mit seinen mangels Hausaufgaben schlechten Noten habe er aber keine Chance auf eine Lehrstelle gehabt.

Besonders schwer hätten es Kinder von gering qualifizierten Arbeitsmigranten, betonte die Leiterin der Bildungspolitik-Abteilung der AK, Gabriele Schmid. "Da ist es wenig verwunderlich, dass die Kinder zwischen den Stühlen übrig bleiben, wenn sie von den Eltern nicht unterstützt werden können." Die derzeit vorherrschende Halbtagsschule gehe davon aus, dass Eltern ihren Kindern am Nachmittag helfen können. "Das System hat es verschlafen, auf diese nicht so neue Situation einzugehen."

Unterschiede

Dabei gebe es aber Unterschiede zwischen den Migrantengruppen. Vor allem in der türkischen Community sei die Erwerbsquote von Frauen gering, die Väter verfügten nur über geringe Qualifikationen. "Für die Jugendlichen ist das die Normalität", so Hofer. "Damit wird soziale Ungleichheit reproduziert." Ganz anders dagegen die Situation bei Familien aus Ex-Jugoslawien: "Da gibt es eigentlich keinen Unterschied mehr zu Einheimischen." Meist seien beide Eltern berufstätig: "Die schicken ihre Kinder in Ganztagsschulen, oft Privatschulen, weil sie sagen: 'Wir haben keine Zeit für sie, weil wir arbeiten müssen.'" Die familiäre Situation sei aber oft entscheidend: Jugendliche, deren Väter bzw. Geschwister oft arbeitslos sind, gewöhnen sich an diesen Zustand: "Das AMS in Bezug auf Jobs und Sozialleistungen zu kontaktieren, wird zu einer Selbstverständlichkeit."

Probleme ortete Hofer auch bei der betrieblichen Ausbildung. "Viele konnten sich dort nicht integrieren." In einem Interview habe es etwa stellvertretend geheißen: "Ich bin dort nur herumgestanden, nicht einmal putzen durfte ich - ich bin mir deppert vorgekommen." Positivere Erfahrungen habe es vor allem bei Betrieben in Vorarlberg gegeben: Dort mussten etwa Lehrlinge unmittelbar nach ihren Prüfungen in der Schule zum Chef und erhielten Prämien bei guten Leistungen bzw. Förderung bei schlechten.

Auch die Organisation von Berufsschulen spiele eine Rolle, so Hofer. Das Abhalten von Blockunterricht mache es engagierten Ausbildnern schwer, Jugendliche individuell zu fördern. Gebe es dagegen nur einmal pro Woche Unterricht an der Berufsschule, könnten dazwischen Defizite aufgeholt werden.

Bildungspflicht

Die AK fordert unter anderem eine Bildungspflicht ergänzend zur Schulpflicht: Jugendliche sollen die Schule nicht einfach nach neun Jahren verlassen, sondern erst dann, wenn sie die Grundkompetenzen tatsächlich erworben haben. In der Lehrausbildung müsse es außerdem eine Qualitätssicherung geben.

Die Migration nach Österreich hat sich in den vergangenen Jahren geändert. Nach der Anwerbung von Gastarbeitern in den 1960ern bzw. 1970ern und der Zuwanderung von Kriegsflüchtlingen in den 1990er Jahren steht seit 2000 Arbeitsmigration und Zuwanderung von Studenten aus der EU im Mittelpunkt, heißt es in einer vom Integrationsfonds herausgegebenen Studie. Auch künftig wird es einen Wandel geben.

Im Zuge der Gastarbeiter-Zuwanderung wurden vor allem wenig qualifizierte Arbeitskräfte angeworben, die später im Regelfall ebenso gering qualifizierte Angehörige nachholten. Später kamen dann primär Flüchtlinge und Kriegsvertriebene - zuerst aus Jugoslawien bzw. dessen Nachfolgestaaten, dann aus Tschetschenien und Afghanistan, heute vor allem aus Syrien. Dominant ist seit 2000 aber die ökonomisch motivierte Zuwanderung sowie die Bildungsmigration aus anderen EU-Ländern, heißt es im Forschungsbericht. "Dies ist in erster Linie ein Resultat der Freizügigkeit innerhalb der EU sowie der Aufnahme neuer Mitgliedstaaten durch EU-Erweiterungen. Im Schnitt haben die Migranten aus anderen EU-Staaten eine höhere Qualifikation als der Durchschnitt der einheimischen Bevölkerung.

Qualifizierte vor allem aus Nachbarländern

Die qualifizierten Arbeitskräfte und Studenten kommen dabei vor allem aus den Nachbarländern Österreichs. "Dieser Status Quo ist jedoch nicht langfristig tragbar." Einerseits würden die Nachbarstaaten selbst zunehmend mit einem schrumpfenden Erwerbspotenzial und einer alternden Gesellschaft konfrontiert, andererseits gebe es einen weltweiten Konkurrenzkampf um qualifizierte Arbeitskräfte. Und schließlich werde mit der Zeit der Lohnunterschied zwischen Österreich und seinen östlichen Nachbarländern geringer, was den finanziellen Anreiz zum Auswandern verringere.

Insgesamt zeigen das Institut Synthesis Forschung und der Bevölkerungsforscher Rainer Münz, dass Personen mit ausländischer Staatsbürgerschaft, die nach 2003 nach Österreich einreisten und erwerbstätig sind, zu einem "Brain Gain" beitrugen: Sie erreichten 2012 ein Erwerbseinkommen in Höhe von 20,2 Mrd. Euro. Umgekehrt gibt es aber auch einen "Brain Drain": So wandern einerseits Erwerbstätige mit österreichischer Staatsbürgerschaft ab, wobei diese Gruppe überdurchschnittlich qualifiziert ist (mehr als 50 Prozent haben Matura bzw. sind Akademiker). Sie verzichteten damit auf inländische Einkommen von 2,2 Mrd. Euro. Relativiert wird dieser Verlust an Humanressourcen allerdings durch deren hohe Rückwanderungsrate von 50 Prozent. Andererseits verlassen die meisten ausländischen Studenten nach ihrem Abschluss Österreich.

In den ersten neun Monaten des Jahres 2014 wurde laut Statistik Austria die österreichische Staatsbürgerschaft an insgesamt 5.671 Personen verliehen. Das waren um 340 Einbürgerungen mehr als im Vergleichszeitraum des Vorjahres (plus 6,4 Prozent). Damit setzte sich der seit dem Jahr 2011 anhaltende Trend steigender Einbürgerungszahlen fort.

Stärkste Zuwächse im Burgenland

Fünf Bundesländer wiesen in den ersten drei Quartalen 2014 höhere Einbürgerungszahlen auf als von Jänner bis September 2013. Die stärksten Zuwächse gab es im Burgenland (plus 34,7 Prozent) und in der Steiermark (25,3), gefolgt von Salzburg (17,8), Niederösterreich (7,7) und Wien (7,5 Prozent). In Oberösterreich (minus 2,9 Prozent), in Vorarlberg (2,5) sowie in Tirol (1,2) und in Kärnten (0,8 Prozent) gab es in den ersten neun Monaten 2014 dagegen weniger Einbürgerungen als im Vergleichszeitraum des Vorjahres.

Nach dem Einbürgerungsgrund betrachtet erhielten insgesamt 921 Personen (16,2 Prozent) die Staatsbürgerschaft im Ermessen, darunter 866 Personen nach mindestens zehnjährigem Wohnsitz in Österreich. Mehr als die Hälfte der Einbürgerungen (3.117 oder 55 Prozent) erfolgte aufgrund eines Rechtsanspruchs, darunter 1.643 Personen nach mindestens sechsjährigem Wohnsitz in Österreich und aus besonders berücksichtigungswürdigen Gründen (z.B. Geburt in Österreich, EWR-Staatsangehörigkeit oder asylberechtigt) und 617 Personen auf Grund der Ehe mit einem Österreicher bzw. einer Österreicherin. Unter dem Titel "Erstreckung der Verleihung" wurden 183 Ehegatten und 1.450 Kinder zu österreichischen Staatsbürgern und Staatsbürgerinnen, zusammen 28,8 Prozent der Einbürgerungen.

Bosnien und Herzegowina an erster Stelle

Unter den Herkunftsländern steht Bosnien und Herzegowina mit 840 (14,8 Prozent) Eingebürgerten an erster Stelle. Es folgen die Türkei (681 Personen bzw. 12,0 Prozent), Serbien (512 bzw. 9 Prozent) sowie die Russische Föderation (339). Mehr als ein Drittel der neuen Staatsbürgerinnen und Staatsbürger (37,5 Prozent) war bereits in Österreich geboren.

"Facharbeiter mit Hilfsarbeiter-Gehalt"
Einbürgerungen 1. bis 3. Quartal 2014 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum nach Bundesländern - Österreichkarte Grafik 1334-14-Inneres.ai, Format 88 x 70 mm

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