Vom gemeinsamen Garteln zum Gesamtpaket für Flüchtlinge

Vom gemeinsamen Garteln zum Gesamtpaket für Flüchtlinge
Als vergangenes Jahr das Lainzer Geriatriezentrum in Wien-Hietzing aufgelassen wurde, entstand eine Notunterkunft für mehr als tausend Flüchtlinge. Mit viel privatem Engagement der Anwohner wird dort im Integrationsprojekt IGOR gemeinsam angepackt.

Im vergangenen September, als schlagartig Massen an Flüchtlingen nach Österreich gekommen sind, war Fritz Neuhauser beeindruckt, was möglich ist an Unterstützung. "Das war eigentlich die Geburtsstunde von IGOR" sagt der Mediziner und Psychotherapeut.

KURIER-Dossier: Wie die Flüchtlingskrise Österreich veränderte

Begonnen hatte es bereits im Sommer 2014 mit einer Gartentherapiewerkstatt. Zwischen den Pavillons des Geriatriezentrums am Wienerwald (GZW) erstrecken sich große Grünflächen, mit viel Platz zum Gestalten und Gärtnern. Nachdem Neuhauser dort bereits mit alten Menschen gearbeitet hatte, kam er auf die Idee, auch unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen eine sinnvolle Tätigkeit auf dem Areal anzubieten. Bei der Gartenarbeit an den Beeten kamen die jungen Afghanen aus dem Flüchtlingswohnhaus SIDRA auch mit den Bewohnern der Geriatrie in Kontakt. Zwei Kriegsgenerationen konnten so voneinander lernen.

Vor einem Jahr im September

Im September 2015 kamen dann viele Dinge in Bewegung. Einerseits wurde das Geriatriezentrum endgültig zugesperrt. Gleichzeitig sorgten die großen Flüchtlingsströme über die Balkanroute dafür, dass der mehr als hundert Jahre alte Gebäudekomplex in Lainz weiterhin mit Leben erfüllt war. Vier Pavillons wurden, mit Hilfe der Asylwerber, zu Flüchtlingsnotunterkünften umgestaltet, getragen vom Fonds Soziales Wien (über die Tochtergesellschaft ”wieder wohnen”) und dem Arbeiter-Samariter-Bund. Bis zu 1.400 Flüchtlinge fanden hier zu Spitzenzeiten Platz.

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Für Fritz Neuhauser und sein ehrenamtliches Engagement bedeutete das eine völlig neue Herausforderung. Die Gruppe rund um die Gartentherapiewerkstatt "war es dann auch, die am kräftigsten geholfen hat. Die sind dann Tag und Nacht bereitgestanden, haben übersetzt, vermittelt und einfach getan", erzählt er. Neuhauer hebt hervor, dass ihnen die offiziellen Betreiber der Flüchtlingsunterkunft viel Eigenverantwortung überlassen hätten.

Auch Mitarbeiter des Krankenhaus Hietzing brachten sich ein. "Unsere Behauptung war: Öffentliche Einrichtungen haben die Verpflichtung auch im Sozialen etwas zu tun, sich nützlich zu machen und zu gestalten. Uns war klar, dass wir weiter machen müssen", sagt Neuhauser. Durch die ”einzigartige Einbettung der Anlage” sieht er große Vorteile. "Ich habe noch nichts besseres gesehen, was die Verhältnisse außen und innen betrifft. Man hat viel Raum, kann sich bewegen, ohne dass man sich auf die Füße steigt oder dass man ständig beäugt wird". Durch das direkt angrenzende Krankenhaus Hietzing sei auch die medizinische Versorgung gewährleistet.

Dennoch sollen die Flüchtlinge im 13. Bezirk auch an anderen Standorten Platz finden. Kleinere Einheiten werden von der Bezirksführung und auch vom Fonds Soziales Wien angestrebt, auch weil es in der Bevölkerung zum Teil Sicherheitsbedenken gibt.

Für Neuhauser und seine Helfer bleibt das GZW aber vorerst im Zentrum ihrer Tätigkeit. "Seit wir wissen, dass wir an diesem Ort weiterarbeiten wollen, bezeichnen wir uns als IGOR", sagt er. Das Kürzel steht für "Integrationsarbeit und Gesundheitsförderung im Öffentlichen Raum". "Bei Gartenarbeit wird besonders schnell Stress abgebaut", erklärt Neuhauser, warum Integration und Gesundheit hier ineinander greifen sollen. "Die Natur ist das, was am schnellsten beruhigt, speziell bei Angst und Appetitlosigkeit, wenn man Abstand braucht. Das wirkt innerhalb von ein paar Minuten".

Perspektive durch Gartenarbeit

"Und es bietet halt auch eine Perspektive für die Leute. Wenn man in einem Garten etwas beginnt, bindet man das an die eigene Kultur, den eigenen Hintergrund, man hat ein Projekt, das sich über ein Jahr oder länger erstreckt, das gibt einem Halt." Ein Bursche aus Bangladesch etwa sei so eifrig bei der Sache, dass er im Gärtnerbereich weiterarbeiten will.

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Etwa 30 bis 40 Leute arbeiten freiwillig in den Gärten. Die Arbeit dient auch der Selbstversorgung in der Flüchtlingsunterkunft. In mehreren Küchen wird verkocht, was die Beete hergeben: "Kraut, Gurken, Paprika, Chili, Auberginen, Zucchini, Paradeiser von 300 Stauden, die prächtig wachsen", zählt Neuhauser auf. "Es gibt viel zu sehen und zu genießen." Auch Koriander, Feigenbäume und Granitapfelbäume wurden gepflanzt.

Jene Flüchtlinge, die in der Flächenpflege tätig sind und auf dem insgesamt 30 Hektar großen Gelände Rasen mähen oder Hecken schneiden, bekommen dafür über den Fonds Soziales Wien 4 bis 5 Euro in der Stunde.

Auch weitere Betätigungsmöglichkeiten werden im Flüchtlingsheim angeboten: Es gibt eine Computergruppe, es wird genäht, in einer Werkstatt wird repariert, 30 Bienenstöcke werden betreut. Dazu komme die Herstellung von Schmuck, Keramik und Einkaufstaschen.

Nachbarn geben Deutschkurse

Ein wesentliches Element sind die Deutschkurse. Hier helfen speziell viele Nachbarn aus dem als Nobelbezirk bekannten Hietzing aus. Auch bei alltäglichen Dingen wie Amtswegen und Übersetzungen greifen sie den Flüchtlingen unter die Arme. Bis Weihnachten sei das Interesse sehr groß gewesen, dieses Jahr sei es wieder etwas abgeflaut.

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Deutschkurs für Flüchtlinge. Sie sind in den alten Pavillons des GZW untergebracht.
Anrainerin Britta E. gibt aber weiterhin im Flüchtlingsheim zwei Mal in der Woche Unterricht, obwohl sie keine pädagogische Ausbildung hat. In den Sommermonaten sei sie teilweise eigens aus dem steirischen Feriendomizil angereist, um zu unterrichten, weil in der Urlaubszeit doch deutlich weniger Freiwillige zur Verfügung stünden.

Auf die Frage, was ihr Antrieb sei, sagt sie: "Den Leuten zu zeigen, dass wir auch nette, hilfsbereite Menschen sind, auch wenn wir eine andere Religion haben. Und sie sind auch sehr dankbar dafür. Es ging einfach darum, zu zeigen: Es kann schon funktionieren." Ursprünglich habe sie gedacht: "Wir können ja nicht wie Ungarn alles zusperren. Sondern: Schau, die sind jetzt da. Ein Großteil wird auch da bleiben. Und die gilt es zu integrieren. Und das geht nur, wenn sie die Sprache können."

In verschiedenen Sprachniveaus werden die Flüchtlinge, der Großteil stammt aus Afghanistan, Syrien und dem Irak, getrennt nach Persisch oder Arabisch unterrichtet. Auch der frühere ORF-Journalist und KURIER-Chefredakteur Franz Ferdinand Wolf, der auch Abgeordneter im Wiener Gemeinderat war, hilft mit. Die von den Freiwilligen gestalteten Kurse dienen als Vorbereitung für weiterführende Module. Ohne dieses Engagement müssten viele Leute deutlich länger auf ihre ersten Deutschkurse vor dem Asylbescheid warten, sagt IGOR-Gründer Neuhauser.

Intensiv involviert ist die Volkshochschule Hietzing, die dann die Kurse in den höheren Sprachlevels durchführt. Einige Asylwerber hätten es schon bis zum Pflichtschulabschluss geschafft, manche sogar bis zur Studienberechtigungsprüfung. "Weil es sehr viele gescheite, motivierte Leute hier gibt", berichtet Neuhauser. Und so gebe es "viele schöne Erfahrungen". Ein Arztkollege unter den Flüchtlingen bemüht sich um seine Nostrifikation, um in Österreich arbeiten zu können. Mit dem verdienten Geld könnte er dann endlich seine Frau in Pakistan besuchen. Auch privat hat Neuhauser bei sich seit zwei Jahren einen Flüchtling untergebracht, der eine Stelle für eine Elektrikerlehre bekommen hat.

Umgebung eingebunden

Auffällig ist die intensive Einbindung der Umgebung. Auch die benachbarte Hochschule für Agrar- und Umweltpädagogik unterstützt die Aktivitäten, zusätzlich gehört ein Personalwohnheim der Volkshilfe zu dem produktiven Cluster in Lainz.

Eine wichtige Rolle nimmt Brigitte Gadnik-Jiskra ein. Die Künstlerin hat im GZW viele Jahre lang mit den Senioren kreativ gearbeitet, nun konzentriert sie sich voll auf die Arbeit mit den Flüchtlingen. Sie wurde IGOR von der Volkshochschule Hietzing als einzige volle Arbeitskraft beigestellt.

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hietzing
Um in Zukunft noch breiter aufgestellt zu sein und über etwaige Fördergelder weitere bezahlte Mitarbeiter beschäftigen zu können, soll aus IGOR demnächst ein gemeinnütziger, wohltätiger Verein werden. Im Moment ist man auf Spenden angewiesen, und auf die Motivation der Freiwilligen.

In Zukunft kann sich Neuhauser auf dem Areal auch einen "Generationenpark" vorstellen, dem Universalkünstler André Heller, auch ein Hietzinger, hat er die Idee zumindest schon einmal vorgestellt.

"No Islam" - "I love Österreich"

Einstweilen bleibt die tägliche Lust an der ehrenamtlichen Koordinations- und Mitarbeit, und die Freude über eine überwiegend gute Stimmung in der Bevölkerung. "Abgesehen von anfänglichen Anfeindungen nach einer Bürgerversammlung, merke ich jetzt wenig bis nichts", sagt Neuhauser. Erst kürzlich sei aber auf einer Fensterscheibe "No Islam" zu lesen gewesen. Die Flüchtlinge hätten, wie zumeist, spielerisch reagiert, erzählt er und schmunzelt. Sie haben die Anfeindung einfach überklebt: Mit "I love Österreich".

Weitere Best-Practice-Beispiele finden Sie hier.

Die Aktivitäten des Projekts können auch mit Geld- und Sachspenden unterstützt werden. Weitere Informationen gibt es u.a. bei der VHS Hietzing.

Ein Spendenkonto wurde wie folgt eingerichtet:
Verwendungszweck: Flüchtlingsprojekt "IGOR"
Verein GartenTherapieWerkstatt
IBAN: AT 65 1200 0524 6686 6577
BIC: BKAUATWW

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