Flüchtling: "Für den Krieg kann ich nichts"

Die Suppe im Notquartier ist oft die erste warme Mahlzeit seit Langem.
Tausende sind noch unterwegs. Tausende werden bleiben. Aber wer sind die Menschen, die da kommen?

Sahar nimmt eine Marmeladesemmel. Und noch eine. Und noch eine. Bis sie ein Sackerl voll hat. Sahar hat die Nacht mit ihrem Mann, ihren drei Kindern, ihrer Schwester und deren Kind in der Notschlafstelle im dritten Bezirk verbracht. So wie 1500 andere Flüchtlinge.

Jene, die weiterreisen wollen, stehen mit ihren wenigen Habseligkeiten vor dem Haus und warten auf Taxis. Die, die noch bleiben wollen, stellen sich bei der provisorisch eingerichteten Essensausgabe um heißen Tee in ausgewaschenen Joghurt-Bechern an. Das Rote Kreuz Wien versorgt die Menschen gemeinsam mit dem Bundesheer. Knapp 8000 Notschlafstellen hat Wien in der vergangenen Woche organisiert. Wie viele der Schutzsuchenden in Österreich bleiben, kann niemand sagen. Dass deren Integration – in die Gesellschaft, den Arbeitsmarkt – nicht einfach wird, erklärte zuletzt Nahost-Expertin Karin Kneissl. Aber wer sind die Menschen, die da kommen und vielleicht sogar bleiben?

Sahar aus der Notschlafstelle will nicht hier bleiben, sie will nach Deutschland, zu ihrer Schwester. Sahar spricht kein Englisch, der freiwillige Übersetzer in der Notschlafstelle hilft aus. Sahar komme aus einem Dorf nahe der irakischen Grenze. Gearbeitet habe sie nicht, sie habe sich um den Haushalt und die Kinder gekümmert. Die Familie lebte in einer Mietwohnung – solange, bis das Dorf zerbombt wurde. Auch Ali kommt aus Syrien. Er erzählt dem Dolmetscher, dass er seinen Pass in Syrien vergessen hat. Ali zeigt seine Hand – der rechte Zeigefinger fehlt. Er habe ihn durch eine Splitterbombe aus einem Flugzeug verloren.

Leben ohne Angst

Ali arbeitete in einer Auto-Waschanlage. Mit seiner Frau und seinen zwei Söhnen lebte er in einer Ein-Zimmer-Wohnung. Eine Bombe habe das Haus, in dem er wohnte, zerstört. Und damit auch seine Wohnung. 40 Tage war er auf der Flucht, das Mittelmeer habe er in einem Schlauchboot überquert, sagt der Dolmetscher. Auch Ali will am liebsten nach Deutschland. Aber er ist nicht sicher, ob er die Reise ohne Pass antreten soll.

Abbas kommst aus einer Stadt nahe Damaskus. Der 29-jährige hat einen Universitätsabschluss, er ist Krankenpfleger. Im Krieg, erzählt er, sei es auch für Sanitäter nicht mehr sicher gewesen. Deshalb sei er geflohen. Gemeinsam mit seinem Freund Khaled. Khaled (Name geändert) ist Koch, er war auch im Ausland tätig. Er hatte ein gutes Leben erzählt er. Sein Englisch ist gut. Er hatte ein Haus und ein Auto. Seine Frau musste nicht arbeiten, er habe genug verdient. Seinen drei Töchtern ging es gut – bis der Krieg begann. Dann habe Khaled alles verkauft, um flüchten zu können. Mit einem Teil des Erlöses mietete er im Libanon ein kleines Zimmer für seine Frau und die Kinder an. Khaled wollte nicht, dass seine Familie im Massenlager auf ihn warten muss. Als er das erzählt, beginnt Khaled zu weinen. Er wolle von Europa nichts geschenkt, erzählt er. Er will arbeiten, so viel wie möglich, um seiner Frau und seinen Töchter ein würdiges Leben zu ermöglichen. "Ich habe in meinem Leben nichts falsch gemacht", sagt Khaled. "Ich habe immer gearbeitet, war nie im Gefängnis. Für den Krieg in meiner Heimat kann ich nichts."

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