Essen aus dem Müll: Paul taucht ein

Symbolbild: Ein Dumpster Diver in Deutschland
Immer mehr Menschen holen sich ihr Essen nicht im Supermarkt, sondern aus dem Müll.

Paul kennt die Öffnungszeiten der Supermärkte in seiner Umgebung. Sobald die zusperren, muss der Student nämlich schnell sein. Die letzten Menschen erledigen gerade noch den abendlichen Einkauf in der Ottakringer Straße, Paul steht mit seinem Rucksack bereits am Straßeneck. In dem Rucksack hat er mehrere Sackerln und Einweg-Handschuhe. Und in seiner Jackentasche einen Müllraum-Schlüssel.

Mit dem gelangt er mühelos zu den Abfalltonnen der Supermärkte. Paul ist ein Dumpster Diver. Also jemand, der im Müll nach Essen taucht. "Nicht aus ideologischen Gründen. Ich werd’ die Welt nicht retten können", sagt er. Auch finanziell hätte er es nicht nötig. Der 26-Jährige jobbt neben seinem Studium als Kellner. "Aber es macht Spaß. Und ich nehme auch immer etwas für meine Nachbarn mit. Die haben sehr wenig Geld. Die können die Lebensmittel gut gebrauchen."

Verschenkt

Er packt die Sackerln aus, zieht sich Handschuhe an – und öffnet den ersten schwarzen Kübel. Ein Volltreffer. Plundergebäck und Toast in Hülle und Fülle. Gut in Plastik verpackt. Und noch gar nicht – oder gerade erst – abgelaufen. Paul sortiert von oben aus. Er nimmt alles. "Was ich nicht brauche, stelle ich auf Facebook und verschenke es. Es gibt viele Studenten, die sich darüber freuen." Und auch viele Arbeitende, denen die steigenden Mieten immer größere finanzielle Probleme verursachen. In einigen Wiener Bezirken ist um das Essen aus dem Müll bereits ein regelrechter Wettlauf entbrannt. In Wien-Neubau etwa, am Alsergrund. Oder in Ottakring.

Der 26-Jährige gräbt weiter. Irgendwann hängt er halb in der Tonne. Frisches Kraut, Salat, Frühlingszwiebel. "Schau", sagt er und nimmt das Krauthappel in die Hand. "Da brauchst du nur die äußersten Blätter runtergeben – das ist noch gut."

Innerhalb von zehn Minuten hat Paul seine Sackerln gefüllt. Mitgenommen hat er alles, was brauchbar ist. "Das Einzige, das ich nie mitnehme, ist Fleisch. Das ist zu heikel."

Im Supermarkt vis-á-vis sind die letzten Kunden gegangen. Zweiter Versuch. "Heute riecht es hier komisch", bemerkt der Student. Er passt besonders auf. Denn hier landen Supermarkt- und privater Haushaltsmüll in einer Tonne. "Du musst aufpassen, ob vielleicht Scherben drin sind", warnt er. "Oder was anderes." Einmal hat Paul auf eine sichtbar benutzte Unterhose gegriffen. "Das war das Schlimmste. Da konnte ich dann ein paar Wochen nicht dumpstern gehen, da ist mir schlecht geworden." Diesmal ist keine Unterwäsche im Weg. Die Ausbeute ist trotzdem mager. Ein wenig Salat. Das war’s.

Für Paul reicht es. Er ist zufrieden. "Das Gute bei der Sache ist, dass man sehr viele Rezepte lernt. Man wird erfinderisch beim Kochen."

In den Supermarkt geht er trotzdem. Ganz normal. Zum Einkaufen. "Dinge mit langem Ablaufdatum gibt es in der Tonne kaum. Nudeln, Essig oder Olivenöl." Doch manchmal hat er Glück. Dann findet er Weihnachtsschokoschirme noch vor Weihnachten. Oder 100 Kilo Mehl auf einmal. "Zehn Kilo hab’ ich mitgenommen. Den Rest hab ich auf die Straße gestellt. Damit sich die Leute etwas nehmen."

Halblegal

Ganz legal ist die Sache nicht. Das Dumpstern ist ein gesetzlicher Graubereich. Doch Angst hat Paul keine. Die meisten Menschen zeigen Verständnis. "Einmal hat mich ein Supermarkt-Mitarbeiter sogar aufgefordert, noch kurz zu bleiben. Er würde noch Semmeln bringen." Manchmal wird er aber auch mit der Polizei bedroht. "Dann geh’ ich einfach."In seinem Freundeskreis ist das Dumpstern ganz normal. Im Familienkreis wird es akzeptiert. Nur die Oma hat damit Probleme. "Die geniert sich. Und seit sie es weiß, bekomme ich mehr Taschengeld von ihr", sagt Paul und lacht. Fünf volle Säcke hat er diesmal erbeutet. Die Nachbarn werden sich freuen.

Kommentare