Ein Kühlschrank für alle: Essen teilen statt entsorgen

Walter Albrecht (li.) betreibt einen kleinen "Fair-Trade"-Laden in seiner Garage.
Die Plattform "Foodsharing" lädt zum Lebensmitteltausch.

Ein unbekannter Mann betritt die Garage von Walter Albrecht. Er geht zum Kühlschrank, öffnet ihn und sieht sich um. Dann packt er Bananen, eine Mango, Liptauer-Aufstrich und Marillenmarmelade in seine Taschen, bedankt sich bei Albrecht und verlässt die Garage wieder.

Bezahlen? Muss er nicht.

Denn der Kühlschrank in Walter Albrechts Garage in Wien-Favoriten ist ein "Fairteiler". Ein Platz, an dem Menschen Essen abgeben können, das sie nicht mehr brauchen – weil es ihnen zu viel ist, weil sie auf Urlaub fahren oder weil es ihnen nicht schmeckt – und das andere Leute mitnehmen können.

Die Fairteiler sind eine Idee der Plattform "Foodsharing". Vor zwei Jahren wurde die Initiative nach deutschem Vorbild gegründet. Ziel ist es, dass Lebensmittel genutzt und nicht entsorgt werden. Als registriertes Mitglied kann man nicht nur Fairteiler-Tauschplätze suchen, sondern auch bekannt geben, wenn man zu Hause überflüssiges Essen hat, damit es andere Mitglieder abholen können. Laut Homepage konnten so bereits 1.750.933 Kilogramm Lebensmittel gerettet werden.

Umkehr

Ein Kühlschrank für alle: Essen teilen statt entsorgen
Walter Albrecht betreibt einen kleinen "Fair-Trade"-Laden in seiner Garage. 29.06.2015
Vor ein paar Jahren hatte Walter Albrecht, der hauptberuflich bei der Wiener Müllabfuhr tätig ist, noch ein ganz anderes Verhältnis zum Essen. Da rührte er Produkte, die auch nur einen Tag abgelaufen waren, nicht mehr an. "Ich habe mir tatsächlich eingebildet, dass die um Punkt Mitternacht schlecht werden", sagt er.

Das Schlüsselerlebnis hatte Albrecht bei einer Müllabfuhr-Sonderschicht nach Weihnachten, wo er in einem Müllraum einen Christbaum samt Milky-Way-Anhänger fand. Ob es verwerflich wäre, ein Milky Way herunterzunehmen? Warum landet intaktes Essen überhaupt im Müll? Diese Gedanken gingen Walter Albrecht durch den Kopf, als er ein Milky Way stibitzte. "An diesem Tag fiel die Entscheidung, etwas zu tun", sagt Albrecht – er trat der Initiative "Foodsharing" bei.

Abgeben und Abholen

Den ersten Kühlschrank stellte Albrecht vor einem Jahr auf. Mittlerweile steht dort ein zweiter; auf den Regalen daneben stapeln sich Konserven, Likörflaschen und Kisten mit Radieschen und Salat.

Der Mann, der sich gerade bei Albrechts Kühlschrank bedient hat, heißt Alex. Er ist Programmierer, und weggeworfene Lebensmittel gibt es bei ihm nicht. Er versucht, nie mehr einzukaufen, als er braucht. Ablaufdaten beachtet er einfach nicht: "Ich vertraue auf meinen Geschmackssinn", sagt Alex. Von "Foodsharing" hat er über Facebook erfahren: "Ich finde es super, was hier passiert." Albrecht sieht das genauso. Täglich kommen etwa fünf, sechs Menschen bei seinem Essenslager vorbei.

Aber es braucht noch mehr. Es sind noch viel zu viele Lebensmittel, die Albrecht bei seinen Diensten in den Müllräumen sieht. Sein Wunsch: Ein Foodsharing-Fairteiler-Kühlschrank in jedem öffentlichen Gebäude in Wien. Demnächst könnte der erste in einem Amtshaus in Betrieb genommen werden.

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