Die schrille Diskussion um den Wiener Straßenstrich

Mehrere Freier hatten sich mit Geschlechtskrankheiten angesteckt
50 Frauen erregen in den Bezirken die Politiker. Manche Argumente sind unter der Gürtellinie.

StriAuhof" tippt Christian Knappik in sein Navi. Die Abkürzung steht für den Straßenstrich, der sich am Auhof angesiedelt hat. "Das ist das Ende der Welt", erzählt er während der Fahrt. Doch nicht mal hier, am Rande der Stadt, ist der Straßenstrich erwünscht. Die Fahrt endet kurz vor ihrem Ziel vor einem heruntergelassenen Schranken. Dem Strich wurde buchstäblich ein Riegel vorgeschoben.

Das Vorgehen ist ein Sinnbild dafür, wie in der Stadt mit der Straßenprostitution umgegangen wird. "Die Frauen werden in abgelegene Gebiete gedrängt und dann wieder vertrieben."

Knappik hat einen Namen im Rotlicht. Der Wiener ist einer der wenigen, der für Sexarbeiterinnen das Wort ergreift. Er macht das im Namen der Plattform sexworker.at, auf der sich Frauen austauschen.

Nächster Stopp – die Einzingergasse in Floridsdorf. 15 Prostituierte buhlen in den Parklücken zwischen Lkw und Autos um vorbeifahrende Freier. Alles ist rechtens, denn die Frauen dürfen hier anschaffen. Dennoch sorgt seit Wochen der Straßenstrich für Schlagzeilen. Von der "Wut in Floridsdorf über Prostituierte" berichtete Heute. Ein schützenswertes "Vogelparadies" und Berufsschüler in der Nähe seien laut der Gegner in Gefahr, schreibt der ORF.

"Auffahrunfälle"

Die schrille Diskussion um den Wiener Straßenstrich
Helga Pregesbauer, Historikerin Wien
So wie in Floridsdorf reagieren Bezirkspolitiker in ganz Wien. In Floridsdorf sind die Töne besonders schrill. Hans Jörg Schimanek von WIFF, der Unterschriften gegen "das Unwesen der Prostitution" sammelt, warnt vor "Gewalt und Drogen" sowie "Auffahrunfällen". Befürchtungen, für die die Polizei keine Anhaltspunkte hat. Im Ton gemäßigter tritt der Bezirksvorsteher Georg Papai (SPÖ) auf, der das Gewerbe auf die Nachtstunden beschränken möchte.

Die Diskussion erweckt den Eindruck, die Sexarbeit in den Straßen Wiens sei ausgeufert. Das Gegenteil ist der Fall: Mit Stand Mai dieses Jahres waren 3529 Prostituierte registriert, derzeit stehen bis zu 50 auf der Straße.

Die rot-grüne Stadtregierung hat mit der Novelle zum Prostitutionsgesetz 2011 den Grundstein für das Treiben in den Bezirken gesetzt. Sie definierte keine Zonen, sondern überließ dies den Bezirken. Nach lauten Protesten wurde der Straßenstrich in Wohngegenden verboten und nur in Industrie- und Gewerbegebieten erlaubt. Angestammte Straßenzüge wie jene in der Linzer- und Felberstraße sowie im Prater waren über Nacht für die Frauen tabu. Die Bezirke dürfen laut Gesetz "Erlaubniszonen" in Wohngegenden einrichten. Der Passus ist aber zum "toten Recht" verkommen, denn nirgends erklärte sich dazu ein Bezirkschef bereit. "Von oben herab geht es nicht", rechtfertigt eine Sprecherin im Büro von SPÖ-Stadträtin Sandra Frauenberger die Regelung. Das Gesetz sei ein Erfolg, heißt es.

Knappiks Bilanz fällt anders aus: "Die Frauen haben keine Infrastruktur, es fehlen die Stundenhotels." In den abgelegenen Gebieten seien "starke Männer" gefragt.

Offener Brief

Stimmen wie jene von Helga Pregesbauer sind die Ausnahme. Die Historikerin verfasste kürzlich einen offenen Brief an die Floridsdorfer Bezirksvorstehung. "Der Schutz in Form einer Vertreibung der Frauen und der Illegalisierung ... schadet den Prostituierten", heißt es darin. Mit keiner anderen Berufsgruppe werde so umgegangen, sagt Pregesbauer. "Oder wird Tischlern permanent die Polizei geschickt?"

Station Nummer drei an diesem Abend ist der Bezirk Liesing: Rund 25 Frauen winken auf der Brunner Straße und in den Nebengassen vorbeifahrenden Freiern zu. Hier ist das Geschäft nur mehr ab Sonnenuntergang erlaubt. Bezirkspolitiker wälzen dennoch Pläne, den Strich loszuwerden. Hier soll eine Umwidmung für ein Wohnprojekt dem Geschäft einen Riegel vorschieben.

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