Der Wärmespender von Wien

Der Wärmespender von Wien
Roman Bauer verteilt in der kalten Jahreszeit Tee und Obst an Obdachlose

An der Rückseite eines Geschäfts am Praterstern wird Roman Bauer fündig. Hier, wo die Lüftung ein wenig warme Luft nach außen bläst, haben vier Obdachlose ihr Nachtquartier aufgeschlagen; dick eingepackt in Decken und Schlafsäcke. „Tee?“, fragt Roman Bauer und holt eine Thermoskanne aus dem Rucksack. Die vier Männer blicken den 23-Jährigen irritiert an. Die Becher Tee nehmen sie aber dankbar entgegen; wärmen sich die Hände an dem heißen Becher. Romans Freund David verteilt Äpfel und Bananen.

Zwei Mal die Woche klappert der 23-jährige Bauer mit Freunden und Thermoskannen sowie Kisten voll Obst die Obdachlosen-Hotspots der Stadt ab, um Menschen, die auch bei Minusgraden im Freien schlafen, ein wenig Wärme zu bringen. Wie er auf die Idee kam? „Ich habe mir einfach überlegt, wie man diese Stadt ein wenig sozialer machen könnte.“

15 bis 20 Liter Tee schenken die Freunde auf ihren Touren aus. Dazu verteilen sie fünf bis zehn Kilo Obst. Je nachdem, wie viel Roman beim sogenannten Food-Sharing auftreiben kann. Das sind Lebensmittel, die von Menschen abgegeben werden, die mehr eingekauft haben, als sie benötigen. „Wir leben in so einem Überfluss – wenn wir ein wenig zusammenrücken, können alle etwas davon haben“, sagt Bauer.

Die zwei Touren pro Woche sind Bauer nicht genug. Auch an allen anderen Tagen hat er eine Thermoskanne mit dabei und verteilt das heiße Getränk auf seinem Weg zur oder von der Arbeit. Sein Tatendrang reißt mit. Von der Ströck-Filiale am Westbahnhof hat er letztens Zuckerpakete und 200 Becher geschenkt bekommen. Und: „Ich bin in Gesprächen mit dem Roten Kreuz, die Aktion größer aufzuziehen: Es wäre schön, wenn mehr Menschen eine Thermoskanne dabei hätten.“

Weihnachtsgeschenk

Zum Abschluss überreicht Bauer den Obdachlosen noch einen Zehn-Euro-Essensgutschein. Den hat der Heimhelfer von der Firma zu Weihnachten bekommen. Doch die Obdachlosen brauchen das Geld nötiger als er, findet Bauer. Verunsichert nimmt der 65-jährige Henryk den Papierschein. „Den kann man beim Billa einlösen“, erklärt Bauer dem Polen. Henryk sieht den jungen Mann an und drückt seine Hand. „Vielen Dank“, sagt er.

Für Roman Bauer und den Rest der Truppe geht es weiter zum Stadtpark. „Bis zum nächsten Mal“, rufen ihnen die vier Obdachlosen nach, bevor sie sich wieder in ihre Schlafsäcke rollen.

Praterstern - die ewige Problemzone:

40 Schüler der HAK Tulln, NÖ, lernen im Wiener „Landl“ ein Leben ohne Handy und Waschmaschine kennen. Auf der Anklagebank sitzt ein 53-jähriger Obdachloser, der seit 20 Jahren auf der Donauinsel haust. Er hat aus einem Supermarkt Leergutkisten gestohlen, um den Einsatz zu kassieren und war erwischt worden. „Im Winter muss man sich doch ab und zu ein warmes Getränk kaufen“, sagt er.

Richter Peter Liebetreu organisiert immer wieder Besuche von Schulklassen in seinen Verhandlungen. „Wie überlebt man 20 Jahre auf der Donauinsel?“, will er vom Angeklagten wissen: „Wird man da nicht krank?“

Abhärtung ist die Devise, kommt als Antwort: „Man springt in die eiskalte Donau, dann wird man nicht mehr krank.“ Und wie wäscht man seine Wäsche? „In der Donau.“ Und wie trocknet man sie im Winter? „Anziehen. Der Körper hat 37 Grad.“

Jetzt hat dem ehemaligen Kaufmann das Leben im Freien doch zugesetzt, er ist zuckerkrank. Sozialhilfe kann er nicht beziehen, weil man ihm seinen Rucksack mit dem Pass gestohlen hat. Der Prozess wird vertagt, weil eine weitere Anzeige wegen eines Leergut-Diebstahls eingelangt ist. Über Weihnachten bleibt der 53-Jährige – weil ohne Anschrift – in U-Haft, in diesem Ausnahmefall ein Segen: Für Unterkunft und Verpflegung ist gesorgt.

800 Euro

Die Schüler organisieren nach der Verhandlung spontan eine Sammelaktion über Facebook, 800 Euro sind schon eingelangt. Damit kann sich der Mann neue Dokumente und eine dringend nötige Brille besorgen.

„In meinem Job höre ich oft Klagen über die heutige Jugend. Die Zivilcourage dieser Jugendlichen hat mich berührt“, sagt die Bewährungshelferin des Angeklagten, Joanna Mazur.

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