"Das ist ein neuer Menschenhandel"

Jürgen Holzinger vom Verein Chronisch Krank.
Jürgen Holzinger vom Verein Chronisch Krank über Sozialbetrug im Pflegegeschäft. Er ist heute auch Gast in "Talk im Hangar 7".

Jürgen Holzinger vom Verein Chronisch Krank hat rund 80 Agenturen bei den Sozialversicherungsträgern, beim Finanzamt und den Bezirksverwaltungsbehörden angezeigt. Die Vorwürfe: Scheinselbständigkeit, Steuerbetrug und fehlende Gewerbeberechtigung.

Am heutigen Donnerstag ist Jürgen Holzinger in der von Helmut Brandstätter moderierten Sendung "Talk im Hangar 7" zu Gast.

Thema: "Problemfall Pflege - Betrug an Alt und Jung?"
Servus TV, 22:15 Uhr

Wie lukrativ ist das Pflegegeschäft für die Vermittlungsagenturen?
Jürgen Holzinger: Wenn man sich vorstellt, dass solche Agenturen pro Monat öfter 3000-7000 Euro einheben von den Familien kassieren, dann wird klar, dass das bei rund 600 solcher Agenturen in Österreich mit Sicherheit ein Millionengeschäft ist.

Wie kommt es zu solch hohen Gewinnen?
Wir schätzen, dass rund 80- oder 90 Prozent der Agenturen, unseriöse oder gesetzeswidrige Klauseln in den Verträgen haben. Von den Agenturen werden kreativ irgendwelche Gebühren erfunden und von den Betroffenen kassiert. Hier wird sehr viel Geld gemacht. Unseriöse Agenturen kassieren von den Familien gesetzeswidrig die Sozialversicherungsbeiträge und Honorare der ausländischen Betreuer. Gleichzeitig geben sie aber den Sozialversicherungsbeitrag nicht weiter, und auch nur einen Bruchteil des kassierten Honorars.

Rund 80 Agenturen haben Sie jetzt unter anderem beim Finanzamt angezeigt. Wo wird Ihrer Meinung nach konkret betrogen?
Wir wissen, dass sehr wenige Agenturen in Österreich steuerpflichtig gemeldet sind. Wir bekommen hier zwar keine offiziellen Aussagen, aber internen Aussagen zufolge sind etwa nur 20 beim Finanzamt gemeldet. Es gibt aber rund 600 Agenturen. Das heißt: Hier entsteht dem Staat ein massiver Schaden, weil Steuern systematisch hinterzogen werden.

Kann man bei dem Großteil der Agenturen von einem systematischen Betrug sprechen?
Man kann es so sehen. Es ist ein riesen Missstand, weil hier von Seiten der Politik nichts unternommen wird. Und auch die Wirtschaftskammer, die hier primär zuständig wäre, dieses Gewerbe für Agenturen und Personenbetreuer zu regeln, kassiert um die vier Millionen Euro Kammerumlage im Jahr. Im Gegenzug bringt sie aber keine Leistungen.

Warum lässt die Politik diese Vermittlungsagenturen gewähren und schaut diesem Treiben einfach zu?
Die Politik möchte uns bei unserem Engagement sogar bremsen, weil kein Plan da ist. Die Angst ist einfach, dass das gesamte Betreuungssystem zusammenbricht. Man denkt immer nur in Legislaturperioden, das heißt kein Politiker will hier wirklich was investieren. Aber wenn Menschen, die aus dem Osten vermittelt werden, lediglich zwanzig Euro für 24-Stunden Arbeit bekommen, dann ist das aus meiner Sicht ein neuer Menschenhandel, eine Sklavenarbeit und so was darf einfach nicht sein in Österreich.

Was schlagen Sie vor?
Am besten wäre ein geregeltes Gewerbe, das von der Wirtschaftskammer (WKO) überprüft wird. Nur das erspart sie sich jetzt. Wie schon gesagt, die Wirtschaftskammer verdient momentan sehr viel Geld dadurch, dass dieses freie Gewerbe offen bleibt. Mit unseren Meldungen und Anzeigen nehmen wir sowohl die WKO als auch das Finanzamt, die Sozialversicherungsträger und die Bezirksverwaltungsbehörden in die Pflicht hier Verfahren einzuleiten. Ich denken schon, dass wenn so eine Masse an Anzeigen erfolgt, auch die Politik hier endlich handeln muss.

Der Wunsch vieler pflegebedürftiger Menschen solange wie möglich weiter zu Hause zu leben, hat einen lukrativen Markt für ausländisches Pflegepersonal geschaffen. Rund 30.000 Menschen nutzen derzeit die sogenannte „24-Stunden-Betreuung“. Tendenz steigend.

Lange Zeit war die Vermittlung von ausländischen Pflegekräften ein boomender Schwarzmarkt. Seit der Legalisierung im Jahr 2008 ist die „24-Stunden-Betreuung“ ein freies Gewerbe, das schnellen Profit ermöglicht. Und es ist ein Geschäft, das nahezu keiner Kontrolle unterliegt. Jeder kann es machen. Es braucht keine Ausbildung, kein Vorwissen, keine Erfahrung. Es genügt die Anmeldung eines Gewerbes bei der Wirtschaftskammer – und schon locken hohe Gewinne.

Etwa 600 Agenturen sind derzeit in der Branche tätig. Genaue Zahlen gibt es nicht. Die Qualität vieler Agenturen ist offenbar erschreckend. Die Klagen von Betroffenen nehmen zu: Unqualifiziertes Pflegepersonal, schlechter Service, versteckte Kosten, unseriöse Geschäftspraktiken. Es gibt aber keine Behörde die zuständig ist, wenn betroffene Familien gesundheitlich oder finanziell von Agenturen geschädigt werden.

Jürgen Holzinger vom Verein Chronisch Krank erhält fast täglich Beschwerden von Betroffenen. Rund 80 Agenturen hat er jetzt bei den Sozialversicherungsträgern, beim Finanzamt und den Bezirksverwaltungsbehörden angezeigt. Die Vorwürfe: Scheinselbständigkeit, Steuerbetrug und fehlende Gewerbeberechtigung.

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