"Dann halt mit Gewalt: Geiselnahme"

Schandl ist seit 2012 frei, die Justiz erließ ihm auf Bewährung 17 Jahre.
Stein-Ausbrecher als Buchautor: Adolf Schandl denkt schon an Verfilmung mit Tobias Moretti in der Hauptrolle.

35 Jahre Gefängnis bekommt man nicht mehr aus dem Kopf. Seit 27 Monaten ist Adolf Schandl jetzt frei, aber kaum hat ihm der Kellner im Kaffeehaus seinen Apfelsaft serviert, sprudelt es aus dem 78-Jährigen auch schon heraus: "Wir bekamen das Essen und das Wasser zum Trinken aus demselben Blechnapf. Und damals gab es ja kein Fließwasser in der Zelle zum Waschen, schon gar kein warmes, nur einen Kanister. Und keine Heizung. Heute ist es bequemer."

Am 13. Oktober erscheint Schandls Buch "Jailbreak – Nur nicht im Gefängnis sterben" im Verlag Proverbis. Der einstige Bankräuber, Gefängnisausbrecher und Geiselnehmer denkt schon an eine Verfilmung, mit Tobias Moretti in der Hauptrolle.

KURIER: Über 16 Jahre Ihrer Zeit hinter Gittern saßen Sie in Isolation im Hochsicherheitstrakt. Wie hält man das aus?

Adolf Schandl: Ich habe die Philosophen für mich entdeckt, von Kant bis Sokrates. Und den Glauben. Ich berufe mich auf Einstein – Gott würfelt nicht, es gibt keinen Zufall – und spreche jeden Tag mit meinem Schöpfer. Und mit dem Anstaltsseelsorger habe ich regelmäßig Gespräche geführt. Das alles hat mir geholfen, nicht verrückt zu werden. Alle haben gesagt, der wird im Gefängnis sterben. Meine bedingte Entlassung, 17 Jahre vor dem Strafende, war ein Wunder.

Aus Ihrem Roman dringt heraus, dass alle anderen schuld waren, nur Sie nicht. Zitat: "Justitia schielt auf ein Opfer: auf mich!" Haben Sie selbst denn gar nichts falsch gemacht?

"Dann halt mit Gewalt: Geiselnahme"
VIE04:GEISELNAHME:WIEN,15NOV96 - "Wortfuehrer und Superhirn" der drei Geiselnehmer in Graz-Karlau war nach Angaben des Eisatzleiters Wolfgang Bachler Adolf Schandl (Archivbild von seinem Prozess am 16.10.1972). Schandl, Stein-Ausbrecher des Jahres 1971, ist fuer Polizei und Justiz ein alter Bekannter. Zuletzt war der heute 60jaehrige zu einer Haftstrafe von 19 Jahren verurteilt. B/W ONLY le/REUTER OESTERREICH/Photo by Votava REUTERS
Ich steh’ dazu, was ich gemacht habe. Aber mit den Prozessen wurde ein Exempel statuiert. Wenn aus Recht Unrecht wird, ist Widerstand Pflicht, sagt schon Brecht. Da musste ich mich wehren. Zuerst habe ich es ohne Gewalt versucht, da hab’ ich mir den Haxen ruiniert (Fersenbeinbruch bei Ausbruchsversuch, Anm.), dann ging es halt nur noch mit Gewalt: Geiselnahme.

Haben Sie sich bei den Opfern jemals entschuldigt?

Man hat mir vor Gericht die Möglichkeit genommen, weil wir Angeklagten abgeführt wurden, als die Zeugen kamen. Im Gefängnis habe ich einen Brief an eine Geisel geschrieben, den hat der Anstaltsleiter zurückgehalten.

Wenn sich Ihr Buch gut verkauft, könnten die Opfer sagen: Jetzt macht er mit unserem Leid auch noch Geld.

Ich bin nicht geldgierig. Aber natürlich nehme ich das Geld, mit einem Teil würde ich gern meinen Lebensabend in Australien an der Golden Coast verbringen. Aber ich bin 78 und lebe ohnehin schon auf Pump. Ich hinterlasse alles meiner Tochter, als Gutmachung. Sie wollte Primaballerina werden und konnte es wegen ihres Namens nicht werden.

Haben Sie im Gefängnis Tagebuch geführt und den Inhalt jetzt für Ihr Buch verwendet?

Nein, die Erinnerung ist ohne Aufzeichnungen vorhanden. Überhaupt ist ja bei der Verhaftung alles weggekommen, Fotos, Unterlagen, ich habe kein einziges Bild aus der Kindheit.

Was würden Sie heute anders machen?

Alles. Ich war nicht stabil genug. Ich will mich nicht herausreden, aber die Dämone Spielsucht und Alkohol haben damals von mir Besitz ergriffen. Ich habe Unrecht begangen, aber mir wurde auch Unrecht angetan.

Ich sah zuerst dem Richter und dann Major Howanietz direkt in die Augen und sagte so entschlossen wie möglich: "Das war’s dann, meine Herren! Wie Sie wissen, haben wir das nie beabsichtigt, aber jetzt kommt es zum blutigen Ende."

Ich hielt die Pistole an die Schläfe des Richters und entschuldigte mich bei ihm: "Es tut mir leid, es ist nicht unserBestreben, aber nun ist es vorbei. Zuerst Sie, dann ich."

Der Richter war aschfahl im Gesicht und wirkte wie versteinert, während die Polizisten von vorne langsam auf uns zu kamen, ganz ohne jede Deckung. Offensichtlich waren sie sich ihrer Sache sehr sicher ...

Wir wollten unsere Freiheit, jetzt und sofort.

"Dann halt mit Gewalt: Geiselnahme"
cover schandl
Als wir den Kultursaal der Haftanstalt betraten, atmeteich noch einmal tief durch und beobachtete meine Komplizen: Fred war vor Aufregung ziemlich blass um die Nase und lugte nervös von einem Eck zum anderen. Zumindest Walter, der vor mir ging, vermittelte den Eindruck, gelassen und entspannt zu sein. Er war ein fast zwei Meter großer Kerl mit Bärenkräften. Er sollte den Wächter ausschalten und dessen Waffe an sich reißen. Wir warteten nur noch darauf, bis der zweite Aufseher wieder verschwand.

Dann kam Walters Angriff wie der sprichwörtliche Blitz aus heiterem Himmel. Er packte den Beamten, legte ihm den rechten Unterarm an die Gurgel und drückte mit der anderen Hand den Kopf seines Opfers nach vorne. Instinktiv griff der Uniformierte mit beiden Händen nach oben, um den Druck an seinem Hals zu lockern. Er bäumte sich auf und gab dadurch die Hüftgegend frei, wo seine Pistole im Futteral steckte.

Darauf hatten wir gewartet. Fred sprang hinzu und versuchte, die Pistole aus der Halterung zu reißen. Als der Beamte das bemerkte, griff er panisch nach unten, um Fred abzuwehren. Walter verstärkte aber seinen Würgegriff daraufhin massiv und ich glaubte sogar, ein knackendes Geräusch in der Wirbelsäule des Aufsehers gehört zu haben.

Schrecken erfasste mich, denn ich dachte, dass mein Kumpel dem Beamten das Genick gebrochen hatte. Der Beamte sackte in sich zusammen und hing leblos in Walters Armen.

Scheiße – ein Toter! Das hatte niemand gewollt.

In der Zwischenzeit – mir war es wie eine Ewigkeit erschienen – hatte Fred mit zittrigen Händen endlich die Pistole aus dem Halfter gezogen und durchgeladen.

1967

Schandl verübt drei Raubüberfälle, schießt zwei Menschen nieder, bekommt zehn Jahre Kerker.

1971

Nach missglücktem Ausbruchsversuch nimmt Schandl gemeinsam mit Alfred N. und Walter S. einen Richter und einen Polizeimajor als Geiseln. Polizeipräsident Josef Holaubek erreicht mit dem legendären Satz: „I bin’s, der Präsident!“ die Aufgabe. 16 Jahre Haft kommen dazu. 1985 wird Schandl auf Bewährung entlassen, begeht neue Taten, plus 19 Jahre Haft.

1996

Zweite Geiselnahme im Gefängnis, weitere 19 Jahre, Strafende 2027, aber vorzeitige Entlassung 2012.

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