Bilder aus dem Terror-Kalifat

Bilder aus dem Terror-Kalifat
Sozialarbeiter appellieren an Medien, nicht zum Handlanger der IS-Propaganda zu werden.

Die Propagandisten der Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) haben viele unfreiwillige Helfer. So könnte man den Inhalt des offenen Briefes zusammenfassen. Verfasst wurde er von Sozialarbeiter Fabian Reicher und seinen Kollegen, adressiert an mehrere Zeitungen und an den Österreichischen Presserat.

Die Sozialarbeiter beklagen darin die unreflektierte Übernahme von IS-Propagandamaterial in Massenmedien, allen voran in Zeitungen. "Verwenden Sie keine Fotos aus den IS-Propagandakanälen, hinterfragen Sie Zitate oder setzen Sie sie in einen größeren Zusammenhang", heißt es in dem Appell.

Bilder aus dem Terror-Kalifat
New York Post

"Zusätzlich erschwert"

Reicher arbeitet als Streetworker beim Jugendverein Back Bone in Wien-Brigittenau. Seine Waffe im Kampf gegen IS-Propaganda sind beharrliches Nachfragen, Zeit, und eine Sprache, die Jugendliche verstehen. "Eine schwere Aufgabe", sagt der 27-Jährige, die nun "zusätzlich erschwert" werde. Immer häufiger bekommen Reicher und seine Kollegen von Jugendlichen Zeitungsberichte serviert, die der üblichen Internet-Propaganda gleichen. "Vieles wird unzensiert abgedruckt", sagt Reicher.

Auslöser des Briefs war ein Österreich-Bericht mit dem Titel "Österreicher an der IS-Front". Zu sehen sind die Austro-Dschihadisten Firas Houidi und Oliver N., bestens gelaunt und mit einer Pistole in der Hand.

Oft reicht ein Facebook-Eintrag für eine Schlagzeile – und die Wirkung ist enorm. Denn die Kritik richtet sich nicht ausschließlich an den Boulevard. Selbst internationale oder renommierte Blätter verbreiten Falschmeldungen weiter.

Bilder aus dem Terror-Kalifat
new york post

Ein anschauliches Beispiel dafür ist der unbestätigte Rückkehrwunsch des nach Syrien ausgereisten Wiener "Dschihad-Mädchens" Samra K. Die Zeitung rühmte sich einen Tag nach der Meldung damit, dass der Fall international hohe Wellen geschlagen habe. Daily Mail, Spiegel Online, Bild, New York Post oder Fox News hätten darüber berichtet. Tatsächlich kann so eine Geschichte, die sich nach Recherchen auch nicht verifizieren ließ, mitunter lebensgefährlich sein.

Logik der Propaganda

Das ergibt die Logik der Propaganda: "Je prominenter ein Dschihadist ist, umso wertvoller ist er", erklärte die deutsche Islam-Expertin Claudia Dantschke in einem Hintergrundgespräch mit Journalisten. Ergo: Umso schwieriger ist es dann, wieder heimzukommen. Immerhin steht das "Dschihad-Establishment" unter besonderer Beobachtung. Dantschkes Ausführungen klangen wie eine Mahnung, den Ball in Berichten flach zu halten.

Ein hochaktuelles Beispiel: Es reicht schon, wenn sich (wie vor Kurzem passiert) zwei Schwestern mehrere Tage nicht melden, und schon könnten sie sich laut Kronen Zeitung in den Fängen der "skrupellosen Dschihadisten" befinden. Internationale Medien spielen diese News nach, den Folgebericht über den Türkei-Urlaub bei der Großmutter aber nicht mehr.

Noch einen Haken haben viele Darstellungen, die soziale Medien als Recherche-Quellen nutzen: Es ist nicht erwiesen, wer tatsächlich die Bilder online stellt oder im Chat antwortet.

"Ikonografie bedient"

Auch Moussa Al-Hassan Diaw vom "Verein sozialer Zusammenhalt", der in Österreich einzigen Anlaufstelle zur Deradikalisierung von Jugendlichen, hält den Umgang mit IS-Bildmaterial in Massenmedien für problematisch: "Es wird die Ikonografie der Gruppen bedient." Posierende Kämpfer und wehende Fahnen seien populäre Motive aus der IS-Propagandazentrale, auf die bisher kaum ein Medium verzichtet habe. Selbst seriöse Berichte könnten eines nicht verhindern: "Die Bilder haben ihre Wirkung – unabhängig vom Text." Diaw hält Workshops in Schulen ab und entlarvt die Propagandafotos, in denen er den Schülern Bilder vom wahren Gesicht des Terror-Kalifats gegenüberstellt. Zu sehen sind etwa Hinrichtungen. Ist das den Schülern zumutbar? "Ja", sagt Diaw. Denn mit solchen Bildern zu arbeiten, sei im Geschichte-Unterricht – etwa aus der NS-Zeit – längst erprobt.

Auch ein sorgsamer Umgang schützt vor Fehlern nicht: Der KURIER erwarb ein Foto von einer Agentur, das nicht – wie angegeben – Sabina K. im Syrien-Kampf zeigt. Laut der Medienbeobachtungsseite Kobuk.at stammt es aus einer Zeit, als K. noch in Wien gewesen sein muss. Ein sorgsamer Umgang kann aber auch Schlagzeilen bringen: kurier.at verzichtete von Beginn an und als erstes Medium im deutschsprachigen Raum darauf, die IS-Enthauptungsvideos zu zeigen – und wurde dafür lobend zitiert.

"Die Verbrechen des IS wirken sich auf die Situation der Muslime in Europa aus. Und die Berichterstattung der Medien trägt dazu bei", sagt Kaddafi Kaya. Der Herausgeber des türkisch- und deutschsprachigen Nachrichtenportals Haber-Journal berichtet von vermehrten verbalen und auch physischen Angriffen auf Muslime. Allein in seiner Redaktion hätten sich in den vergangenen drei Monaten "acht Opfer ernsthafter Attacken" gemeldet. Nicht jedes davon habe auch Anzeige erstattet. "Denn viele misstrauen der Polizei."

Die 18-jährige Ayse T., die Anfang der Woche in Favoriten von einem Randalierer als "IS-Anhängerin" beschimpft, angespuckt und geschlagen wurde, hätte dagegen gern Anzeige erstattet. Die herbeigerufenen Polizeibeamten hätten dies aber ignoriert, sagt die türkischstämmige Wienerin (kurier.at berichtete). Die Polizei dementiert das.

Im KURIER-Interview schildern die Schwestern Ayse (18) und Irem (23) T. und deren Freundin Hatice E. (24) den Vorfall: Weil sie sich halb auf Türkisch, halb auf Deutsch unterhalten hätten, seien sie am Montagabend bei einer Station der Linie 67 von einem Mann in den 30ern beschimpft worden. Als "Taliban" und "Terroristinnen".

Hatice, die wie Irem ein Kopftuch trägt, fühlte sich bemüßigt, sich als Wienerin zu erkennen zu geben – was an der Aggressivität des Mannes nichts änderte. Weil sie sich bedroht fühlten, alarmierten die jungen Frauen die Polizei.

Seinen Höhepunkt soll der Vorfall erreicht haben, als der vermutlich alkoholisierte Mann der 18-Jährigen ins Gesicht schlug. "Mit der Faust", beharrt die zierliche Schülerin. Die kurz danach eingetroffenen Polizisten hätten ihr jedoch keine Möglichkeit gegeben, den Täter anzuzeigen.

Beleidigung

Bei der Wiener Polizei stellt man die Situation etwas anders dar. Zwar bestätigt Sprecher Thomas Keiblinger die Amtshandlung. Gegenüber den einschreitenden Beamten hätte die junge Frau aber nicht von einem Faustschlag, sondern von "einer Watsche" gesprochen. Zudem habe T. angegeben, keine Schmerzen zu haben.

Die Unterscheidung sei wesentlich, erklärt Keiblinger. Jemandem mit der flachen Hand ins Gesicht zu schlagen, falle im Gegensatz zu einem Faustschlag nämlich nicht in den Bereich der "Körperverletzung", sondern sei als "Beleidigung" einzustufen. Darum müsste das Opfer die Beleidigung privat auf dem Bezirksgericht zur Anzeige bringen.

Sollte die Schülerin aufgrund der Aufregung irrtümlich von einer Ohrfeige gesprochen, aber einen Faustschlag gemeint haben, könne sie noch immer auf jedem Wachzimmer Anzeige wegen versuchter Körperverletzung erstatten, betont Keiblinger.

Bei der Initiative Muslimischer ÖsterreicherInnen (IMÖ) erkennt man "eine herabgesetzte Hemmschwelle, verbalen Attacken auf Muslime auch physische Gewalt folgen zu lassen". "Solche Fälle müssen dokumentiert werden, um die allgemeine Sensibilität zu erhöhen", meint Obmann Tarafa Baghajati.

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