Bedingte Haft für Kinderarzt

Bedingte Haft für Kinderarzt
Dass Vierjähriger nicht gehen konnte, fiel ihm nicht auf / Nicht rechtskräftig.

Der 70-jährige Kinderarzt Dr. H. ordiniert nach wie vor Montag bis Freitag von mittags bis „Ende nie“. Er wird in seiner Praxis in Wien-Ottakring eigenen Angaben nach täglich von 50 bis 100 Patienten aufgesucht. „Abfertigung“, nennt Staatsanwältin Dagmar Pulker das, um der Krankenkasse möglichst viel verrechnen zu können. Für echte Untersuchungen reiche wohl die Zeit nicht.

Der Arzt – der auch die Kinder seines Verteidigers Wolfgang Mekis (zu dessen Zufriedenheit) betreut hatte – widerspricht: Einem Kind mit Mandelentzündung in den Rachen zu schauen, dauere nicht lange. „Aber ich bin nicht schlampig. Ich habe eine Million Kinder behandelt. Ich verschreibe nicht einmal einen Hustensirup, ohne das Kind vorher untersucht zu haben.“

Und wieso ist ihm dann nicht aufgefallen, dass drei der vier Kinder der Roma-Familie F. verwahrlost und in ihrer Entwicklung zurückgeblieben sind? Der Vierjährige trug immer noch Windeln und ist auf der Stufe eines Einjährigen stehengeblieben, die Kinder konnten nicht selbstständig gehen und außer „gemma“ nichts reden.

Die Eltern und die Oma fütterten die Kinder mit einem Brei aus Haltbarmilch und Keksen. Sie zurrten sie stundenlang im Buggy vor dem Fernseher fest, damit Ruhe ist. Als man ihnen die Kinder abnahm und bei der Pflegefamilie badete, brüllten die Kleinen, als wären sie noch nie mit Wasser in Berührung gekommen. Eltern und Oma wurden wegen Vernachlässigung angeklagt, aber freigesprochen. Sie waren ja regelmäßig für die im Mutter-Kind-Pass vorgeschrieben Untersuchungen beim Kinderarzt. Wenn dem nichts aufgefallen ist, wie sollen da Laien etwas merken?

Nun ist Kinderarzt Dr. H. angeklagt. Wegen Amtsmissbrauchs, weil er die staatlich verordnete Pflicht zur Kontrolle nicht erfüllt haben soll. Zum Beispiel die der sprachlichen Entwicklung. „In welcher Sprache soll ich das beurteilen?“, fragt er, wenn die Familie doch ein Kauderwelsch aus „Zigeunisch, Jugoslawisch und Deutsch“ (so beschreibt das die Oma) spreche.

Test mit Schlecker

Und wie hat er die Motorik der Kinder überprüft? Er habe eine Lade mit Schleckern in der Ordination, das wüssten die Kleinen. Wenn sie hinlaufen und sich einen Schlecker herausnehmen, dann wisse er, es ist alles okay.

„Wenn ein Kind mit vier Jahren noch Windeln trägt und nicht richtig gehen kann, ist das nicht auffällig?“, fragt Richterin Olivia-Nina Frigo. Der Angeklagte: „Manche gehen mit neun Monaten, andere später.“ – „Und konnte der Vierjährige zur Lade gehen und sich einen Schlecker holen?“ – „Wahrscheinlich.“ Bei manchen Angaben müsse man sich auf die Eltern verlassen, die Kinder seien ja verschreckt und bekämen den Mund nicht auf.

Urteil: ein Jahr bedingt, nichts rechtskräftig.

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