„Als Deserteur war ich völlig auf mich alleine gestellt“

Friedrich Cerha mit Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny: „Um davonzulaufen, hat es viel mehr Mut gebraucht“
Am Freitag wird das Deserteursdenkmal eröffnet. Komponist Friedrich Cerha erzählt, warum er aus der NS-Armee geflohen ist.

Der Soldatenberuf zielt darauf ab, Leben zu vernichten. Es gibt daher keinen guten Soldaten.“ Das ist die feste Überzeugung des Komponisten und Dirigenten Friedrich Cerha. Zeit seines Lebens war der Doyen der zeitgenössischen klassischen Musik nie um ein provokantes Statement verlegen. So nahm er in einem Chanson den damaligen Bundespräsidenten Kurt Waldheim aufs Korn.

Heute, Freitag, ist der 88-Jährige einer der Festgäste bei der Eröffnung des Deserteursdenkmals auf dem Wiener Ballhausplatz. Dabei wird auch ein Stück aus seinem Spiegel-Zyklus eingespielt.

Dass ausgerechnet er an dem Festakt teilnimmt, ist kein Zufall: In den letzten Kriegsmonaten desertierte Cerha – gerade 19 Jahre alt – selbst zwei Mal aus der Deutschen Wehrmacht. Noch in Uniform, aber mit gestohlenen Blanko-Marschbefehlen, setzte er sich Ende 1944 in Dänemark ab und irrte im Zug durch halb Deutschland. „In Berlin wurde ich von einer Wehrmachtsstreife kontrolliert. Nie wieder in meinem Leben hatte ich so viel Angst“, erzählt er heute. „In den Straßen waren Soldaten an Laternenmasten aufgeknöpft. ,Ich bin ein Verräter‘, stand auf den Schildern, die an ihren Hälsen hingen.“

Später, nachdem er in Stettin einer eilig aufgestellten Einheit zugeteilt worden war, gelang ihm abermals die Flucht. „Ich hab zweieinhalb Wochen im Thüringer Wald hungernd und frierend ausgeharrt, ehe die Front über mich hinweggerollt ist.“

Kein Verräter

Als Verräter – wie Deserteure oft auch noch lange nach Kriegsende bezeichnet wurden – habe er sich selbst nie gefühlt: „Was gab es denn am Nazi-Regime zu verraten, das ja seinerseits sämtliche Menschenrechte verraten hat?“ Auch gegen die Verunglimpfung als Feigling wehrt sich Cerha vehement: „Ich war ja zwei Mal kurz im Fronteinsatz. Ich kann versichern: Es hat mehr Mut gebraucht, um davonzulaufen, als in diesem großen Organismus zu bleiben. Ich war völlig auf mich alleine gestellt.“

Die Abscheu gegen den Krieg reicht tief in seine Kindheit zurück: „1934 hat mir mein Vater die Blutlachen an den Kampfstätten des Bürgerkriegs gezeigt. Das hat mich für immer geprägt.“

Dass jetzt, fast 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs, endlich ein Denkmal für Wehrmachtsdeserteure enthüllt wird, ist für den Komponisten eine späte Genugtuung. „Es hat sehr lange gedauert. Aber das war klar: Unmittelbar nach dem Krieg haben alle Parteien um die Stimmen der ehemaligen Nazis gebuhlt.“
Sein größter Wunsch anlässlich der heutigen Eröffnung: „Die Menschen sollen sich – gerade in Zeiten der totalen Kommunikation – wieder mehr mit sich selbst beschäftigen. Das fördert das kritische Bewusstsein.“

Zivilcourage

Der Errichtung des Denkmals ist ein jahrelanges Gezerre um den Standort vorausgegangen. Für Wiens Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny (SPÖ) ist die Eröffnung dennoch kein Schlusspunkt, „sondern ein Beistrich in einer langen Entwicklung: Der historisch so bedeutsame Ballhausplatz soll ein Ort für Zivilcourage werden.“
Das neue Denkmal solle aber nicht für sich alleine stehen, sondern eine Einheit mit dem Denkmal für die Holocaust-Opfer, dem Hrdlicka-Mahnmal und der Gedenkstätte am Burgtor bilden. Laut Mailath sind gemeinsame Führungen und Aktionen mit Schulen geplant. „Es geht nicht um Missionierung“, sagt der Stadtrat. „Aber man sollte wissen, was in seiner Stadt passiert ist.“

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