Akute Entführungsgefahr: Pflegefamilie auf der Flucht

Um ihre Spuren zu verwischen, zog Frau P. mit den Kindern mehrfach um.
Neunjähriger Bub entstammt kriminellem Clan. Brüder wurden bereits entführt.

Bettina P. und ihre beiden Kinder sind auf der Flucht. Denn Ben (alle Namen geändert, Anm.), der Pflegesohn, ist in höchster Gefahr. Er entstammt einem kriminellen Clan, der in ganz Europa aktiv ist. Und zwar mit bettelnden und stehlenden Kindern. In anderen Ländern wurden Angehörige der Großfamilie auch schon wegen Menschenhandels und Mordes verurteilt. Bens Brüder, die ebenfalls bei einer Pflegemutter lebten, wurden vor einem Jahr entführt. Sie dürften sich aktuell in Sarajewo (Bosnien) aufhalten. Kontakt zu den Buben gibt es nicht. Der nächste, so befürchtet Frau P., könnte Ben sein. Sie fühlt sich von den Behörden im Stich gelassen.

Teure Autos

Im Jahr 2006 wurde ein Teil des Clans bei einer Raststation in NÖ verhaftet, die Kinder kamen in die Obhut des Jugendamtes. Ben war zu diesem Zeitpunkt erst ein paar Wochen alt. Seine älteren Brüder Max und Tobias lebten jahrelang bei einer Wiener Pflegemutter, ehe die leibliche Familie die Kinder in einer Nacht- und Nebelaktion "heimholte".

Ben hat seine Mutter bisher ein Mal gesehen. Er weiß, dass seine leibliche Familie viel Geld und teure Autos hat. Die Entführung seiner Brüder macht ihm Angst. Und auch die Pflegefamilie durchlebt seither einen Albtraum. Demnächst wird Ben zehn Jahre alt. "Ich habe ihn wie ein eigenes Kind aufgezogen", sagt Frau P. Auch für die leibliche Tochter ist er wie ein "echter" Bruder.

Als Ben in die kleine Familie kam, habe es nur wenig Information vom Jugendamt gegeben. Der Vater befinde sich in Haft, die Mutter ist unbekannt, wurde der Pflegemutter mitgeteilt. Zudem gebe es ein richterliches Besuchsverbot. "Aber niemand hat mir gesagt, dass ich mich eines Tages mit dem organisierten Verbrechen auseinandersetzen muss", sagt die Pflegemutter.

Das Jugendamt (MAG11) sieht keine Schuld: "Wir können nur das weitergeben, was wir auch wissen", sagt Herta Staffa, Sprecherin des Jugendamtes. "Wir sehen manches auch erst dann, wenn es passiert ist."

Doch Unterlagen, die dem KURIER vorliegen, belegen sehr wohl, dass die Gefahr seit langer Zeit bekannt ist. Aus einem Gerichtsbeschluss geht hervor, dass Sozialarbeiter bereits im Jahr 2007 vor einer möglichen Entführung der Kinder gewarnt hatten. Zudem wurde der Vater als besonders gefährlich eingeschätzt – er hatte einer Sozialarbeiterin durch Gesten gedroht, sie zu erwürgen und ihr die Kehle durchzuschneiden.

Auch, dass der Vater in unmittelbarer Nähe der Pflegefamilie wohnte, war bekannt – er hatte im Jahr 2007 Besuchsrecht eingefordert. In den Gerichtsakten ist seine Adresse klar ersichtlich. In dem Schreiben der MAG 11 ans Gericht ersucht die Sozialarbeiterin um eine Adress-Sperre der Pflegemutter.

Verdächtiges hat die Familie einiges erlebt. Etwa einen Mann, der der Tochter vom Schulweg zur Wohnung nachlief; einen Unbekannten, der vor dem Haus wartete; oder einen versuchten Einbruch in die Wohnung.

Polizeischutz

Als Bens Brüder entführt wurden, wurden Ben und seine Schwester drei Wochen lang von der Polizei in die Schule gebracht (nachdem Frau P. zur Polizei ging und um Hilfe bat, Anm.). Doch dauerhafte Möglichkeit war das keine. "Wir waren in der Wohnung gefangen. Wir haben uns gar nicht mehr hinaus getraut", schildert P.

Sie suchte Hilfe beim Jugendamt. "Dort hat man mir angeboten, dass ich den Buben in ein Krisenzentrum geben soll", erzählt sie kopfschüttelnd. Hilfe bei einem Umzug? Leider nein. "Wir suchen für niemanden eine Wohnung, wir sind keine Makler", sagt MAG-11-Sprecherin Staffa. Frau P. suchte Rat bei der Polizei. "Die Lösung dort war, dass man nach Deutschland ziehen soll."

Frau P. entschied sich, auf eigene Faust umzuziehen. Das erste Mal, als sie erfuhr, dass der leibliche Vater in unmittelbarer Nähe wohnte. Das zweite Mal, als sie ihre Adresse in einem Gerichtsakt veröffentlicht sah. "Statt mich zu unterstützen, wurde mir vorgeworfen, ich würde das Kindeswohl gefährden."

Ein Pflegekind, sagt Frau P. heute, würde sie nicht mehr aufnehmen. Für Ben hat die Familie untertauchen müssen – sie lebt jetzt an einem anderen Ort. Immer begleitet von der Angst, vom Clan gefunden zu werden.

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