17 Ärzte unter Betrugsverdacht

Vertrauen: Kaum ein Patient will seinen Arzt anschwärzen. Das macht Ermittlungen schwierig
Krankenkassen forderten eine Million zurück. Viele Verfahren noch nicht abgeschlossen.

Die Abrechnungen des bekannten Wiener Internisten warfen einige Fragen auf: Ist es realistisch, dass 97,1 Prozent seiner Patienten eine Rektaluntersuchung benötigen? Oder: Wie kann ein Gehbehinderter ein Ergometer-Training absolvieren?

Die Wiener Gebietskrankenkasse prüfte die Rechnungen des Mediziners. Ergebnis: Er soll nie erbrachte Leistungen im großen Stil abgerechnet haben. Die Kasse verlangt vom Arzt, der per Haftbefehl von der Wiener Staatsanwaltschaft gesucht wird, 360.000 Euro zurück.

Dieser "dicke Fisch" ist kein Einzelfall. Eine Antwort auf eine parlamentarische Anfrage (zum Thema "Korruption im Gesundheitswesen") deutet nun an, wie hoch der finanzielle Schaden der Kassen durch falsche Abrechnungen ist. Das Gesundheitsministerium ließ über den Hauptverband der Sozialversicherungsträger die Rückzahlungen für das Vorjahr eruieren: Bei zehn Anstalten wurden angefragt, vier lieferten Zahlen ab. Sie forderten 1.055.003 Euro erfolgreich ein. (Der geschilderte Fall ist nicht inkludiert.)

Vertragspartner

Um die Kirche im Dorf zu lassen: In einigen Fällen handelt es sich schlichtweg um Irrtümer – ohne einen Vorsatz. Aber es gibt auch Betrügereien: Nicht nur Mediziner, sondern auch andere Vertragspartner wie Apotheker, Orthopädieschuhmacher oder Physiotherapeuten sind darunter. In Oberösterreich stellten angeblich zwei Orthopädieschuhmacher um 53.742 Euro zu viel in Rechnung.

Die Toleranzgrenze für falsche Abrechnungen ist in Zeiten klammer Kassen gesunken. Krankenkassen bedienen sich zunehmend eigener "Experten", die Verdachtsfälle nachprüfen. Franz Schenkermayer ist einer davon. Er werkt für die Wiener Gebietskrankenkasse in der Abteilung mit dem sperrigen Namen "Missbrauch-Entdecken-Prävention", kurz MEP.

Seine Arbeit muss man sich wie jene eines Kriminalisten vorstellen: Es gibt einen Verdacht – und er geht dem nach. Patienten sind Zeugen, Schenkermayer stellt Fragen. "Die Fälle sind schwer nachweisbar", schildert er. Im Fall des Wiener Internisten lud er sogar 200 Patienten vor.

Die MEP zog sich schon den Groll der Ärztekammer zu, weil sie "Test-Patienten" in Ordinationen schickte, um Ärzte zu prüfen. Rechtlich war das Vorgehen gedeckt. Schenkermayer hat zwei Probleme: Einerseits spielt die Zeit gegen ihn. Es dauert sechs Monate, bis er auf die abgerechneten Leistungen zugreifen kann. Bei 08/15-Untersuchungen wissen Patienten häufig nicht mehr, ob sie durchgeführt wurden – oder eben nicht. Der zweite Faktor ist das Arzt-Patienten-Verhältnis: Niemand will den Arzt seines Vertrauens anschwärzen.

Vertrauensperson

Evident wurde das, als die Krankenkassen die jährlichen Leistungsinformationen postalisch ausschickten. Theoretisch könnte ein Patient seinen Doktor damit kontrollieren. In der Praxis geschah das nicht. Schenkermayer: "Das ist nachvollziehbar. Wenn jemand am Wochenende krank ist, kommt nicht die Gebietskrankenkasse, sondern der Arzt." Aus Kostengründen ist die Leistungsinformation nur mehr über die Bürgerkarte abrufbar.

Für 17 Ärzte zogen falsche Abrechnungen harte Konsequenzen nach sich: Teils verloren sie ihre Verträge, teils wurden sie angezeigt. Österreichweit laufen noch mehrere Verfahren.

Maßnahmen zur Korruptionsbekämpfung setzten die Sozialversicherungen auch innerhalb ihrer Apparate: Ein Ethik-Verhaltenskodex zeigt den Mitarbeitern, wo die Grenze zwischen Erlaubtem und Verbotenem verläuft. Die "Umsetzungsmaßnahmen" sollen heuer erfolgen.

Aktuelles in Zahlen

- 447. 000 Euro wurden in Oberösterreich laut Gebietskrankenkasse falsch abgerechnet und refundiert.

- 307.000 Euro verlangte die Wiener Gebietskrankenkasse zurück.

- Insgesamt waren es 597 Malversationen: Darunter Irrtümer, aber auch Betrügereien.

- 17 Ärzte verloren ihren Vertrag und/oder wurden angezeigt. Einige Verfahren sind gerichtsanhängig.

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