13 Wettlokale auf 900 Metern

Gegen die Flut an Zockerbuden richtet sich zunehmend der Zorn von Anrainern.

Für Haldis Scheicher steht das eine Wettlokal für den Verfall eines ganzen Grätzls. Eine Buchhandlung wich 2010 einer Zockerbude auf der Reinprechtsdorfer Straße in Wien-Margareten. Statt bedruckte Seiten zu kaufen, tragen Glücksritter nun Geldscheine hinein, oft ihren gesamten Monatslohn. Es war ein Weckruf für Scheicher und ihre Mitstreiter – für die Gründung der Bürgerinitiative Republik Reinprechtsdorf.

Dieses gallische Dorf existiert nur auf Papier, in den Köpfen von rund 20 Anrainern, die dem inflationären Ausbreiten von Wettlokalen einen Riegel vorschieben und ihr Grätzl beleben wollen.

13 Wettlokale auf 900 Metern
Republik Reinprechtsdorf
„Die Lebensqualität“, klagt Scheicher, 43, „ist hier verloren gegangen.“ Die Dichte an Wettlokalen ist beachtlich: Auf 900 Metern haben sich 13 Zockerbuden eingemietet. Von 90 für den Bezirk zugelassenen Spielautomaten verteilen sich 46 auf den Straßenzug.

Wer den Anrainern zuhört, muss unweigerlich an die „Broken-Window-Theorie“ denken, die beschreibt, wie Verwahrlosung zu noch mehr Verwahrlosung führt. Scheicher fasst das so zusammen: Die Straße sei „verschandelt, die Beschaffungskriminalität ist gestiegen, ebenso die Trostlosigkeit“.

Wozu braucht es aber einen Bürgerprotest gegen Glücksspiellokale, wenn ab 2015 ohnehin keine Lizenzen mehr für das kleine Glücksspiel, also die Automaten, in Wien ausgestellt werden?

„Die Automaten sind dann weg, aber es gibt noch die Sportwetten“, sagt Scheicher. Und die unterliegen nicht dem Glücksspielgesetz. Marliese Mendel gehört zu den „Republiksbürgern“. Sie klapperte die Lokale ab und sah oft das gleiche Bild von Spielern: „Jung, männlich, Migrationshintergrund.“ Es bestehe dort kein „Konsumationszwang“. Jugendschutz existiere nur auf Aufklebern auf den Türen.

„Alternativen“

Juristisch oder lokalpolitisch komme man gegen die Lokal-Schwemme nicht an, ergänzt Wolf-Goetz Jurjans, Mitstreiter und KPÖ-Bezirksrat. Die Anrainer wollen das Pferd deshalb von hinten aufzäumen. Mendel: „Wir wollen Alternativen schaffen. Gründe, um dort gar nicht reinzugehen.“ Mit Events oder Impulsen, wie etwa einer Belebung des Siebenbrunnenplatzes.

Szenenwechsel: Scheicher sitzt am Podium, neben ihr Marlene Reisinger von der SPÖ-Sektion 8. Die Initiative „Aktionsradius“ hat zur Diskussion über die Zukunft des kleinen Glücksspiels geladen. Die SPÖ-Sektion hatte im Vorjahr ein sozialdemokratisches Erdbeben ausgelöst: In Wien überzeugten sie die rote Basis von einem Verbot des kleinen Glücksspiels. Der Beschluss zog sich wie ein roter Faden bis zum SPÖ-Bundesparteitag. Reisinger wirbt weiter für das Verbot, erzählt von der „extremen sozialen Frage“, die Peter Berger, Präsident der Spielersuchthilfe, konkretisiert: „Spielsucht ist eine fortschreitende Krankheit.“ Tausend Betroffene behandelt der Verein jährlich. Darunter sind auch viele Angehörige.

Scheicher erzählt von ihrer Initiative. Sie erhält viel Beifall, wird später mehrfach um ihre Telefonnummer gefragt. Im Publikum meldet sich eine Frau. Die Spiellokale würden „Häuser, Straßen, Grätzeln“ ruinieren. „Das metastasiert sich durch die Stadt.“ Der Glücksspielkonzern Novomatic, angeblich „käufliche“ Medien und Politiker werden kritisiert.

Sind solche Gegner nicht zu mächtig? Scheicher: „Wir wissen, wo unsere Grenzen liegen.“ Und zwar entlang der Reinprechtsdorfer Straße. Am 22. Februar laden sie zu einer Lesung.

Spiel mit Ablaufdatum

Kleines Glücksspiel Es wird von den Ländern exekutiert und umfasst das Zocken an Automaten. Der Höchsteinsatz darf 50 Cent nicht übersteigen. Maximalgewinn: 20 Euro. In Wien sollen ab 1.1.2015 keine neuen Lizenzen ausgestellt werden. Sportwetten fallen derzeit im Gegensatz zu virtuellen Wetten nicht unters Glücksspielgesetz.

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