Erdbeben in Italien: 247 Tote, Tausende obdachlos

Zwei Dörfer praktisch zerstört. Tausende Menschen wurden obdachlos, für sie werden Zeltstädte errichtet. Keine Hinweise auf österreichische Opfer.

Die Zahl der Toten nach dem Erdbeben in Italien hat sich auf 247 erhöht, Tausende sind obdachlos.

Das Erdbeben der Stärke von mehr als 6 hatte in der Nacht zu Mittwoch mehrere Orte in Mittelitalien dem Erdboden gleichgemacht. Auch am Donnerstag gab es immer noch zahlreiche Nachbeben. Weiterhin wird nach Überlebenden gesucht.

Die hohe Opferzahl löste international Betroffenheit aus. In der Nacht auf Donnerstag sprach UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon den Angehörigen sein Beileid aus. Italiens Regierungschef Matteo Renzi sprach von "grenzenlosem Schmerz" in seinem Land.

368 Verletzte und Kranke seien seit dem Mittwochmorgen aus der Gegend der stark betroffenen Orte Amatrice und Accumoli weggebracht worden, teilte Renzi am Abend mit. Italien stehe nun solidarisch zusammen, um die großen Herausforderungen nach dem Erdbeben zu meistern.

Renzi sagt Soforthilfe zu

"Wir lassen niemanden alleine", hatte Renzi zuvor in einer kurzen Erklärung in Rom betont. Es gehe nun vor allem darum, weitere Opfer aus den Trümmern zu retten. Als Soforthilfe stellte die Regierung 235 Millionen Euro bereit. Staatspräsident Sergio Mattarella unterbrach einen Aufenthalt in seiner Heimatstadt Palermo und kehrte nach Rom zurück, um sich vom Zivilschutz über die Entwicklungen im Erdbebengebiet informieren zu lassen.

Erdbeben in Italien: 247 Tote, Tausende obdachlos
Karte mit Lokalisierung GRAFIK 0950-16, 88 x 55 mm

Zahlreiche Nachbeben

Das Beben in einer Tiefe von vier Kilometern hatte nach Angaben der ZAMG (Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik) in Wien eine Magnitude von 6,2. Es war vereinzelt sogar in grenznahen Regionen von Kärnten und der Steiermark zu spüren. 200 Erdstöße wurden am Mittwoch in den italienischen Regionen Latium, Umbrien und Marke registriert.

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Rescuers work in the Italian central village of Accumoli on August 24, 2016 after a powerful earthquake rocked central Italy. The earthquake left 38 people dead and the total is likely to rise, the country's civil protection unit said in the first official death toll. Scores of buildings were reduced to dusty piles of masonry in communities close to the epicentre of the quake, which had a magnitude of between 6.0 and 6.2, according to monitors. / AFP PHOTO / MARCO ZEPPETELLA
Nach dem schweren Erdstoß um 3.36 Uhr seien zumindest weitere sechs Beben zwischen Stärke 4 und 5 gemeldet worden, teilte der italienische Zivilschutz mit. Außerdem wurden rund 70 Beben mit einer Stärke zwischen 3 und 4 gezählt. Es wurde mit weiteren Nachbeben in den kommenden Tagen gerechnet.

Die Orte Amatrice und Accumoli wurden praktisch völlig zerstört. Panik riefen die Erdstöße auch in der umbrischen Stadt Norcia hervor. In der Geburtsstadt des Heiligen Benedikt (geb. 480) wurde der Dom in Mitleidenschaft gezogen. Zu spüren waren die Erdstöße auch im rund 140 Kilometer vom Epizentrum entfernten Rom, wo Menschen aus dem Schlaf gerissen wurden. Das Kolosseum in Rom soll auf mögliche Schäden überprüft werden.

Notquartiere eingerichtet

Inzwischen bereiteten sich die Bewohner des Erdbebengebiets auf eine schwierige Nacht vor. Tausende Menschen wurden obdachlos. In dem Bergdorf Accumoli, in dem es mehrere Tote gab, wurden Zelte für 2.000 Personen aufgeschlagen. Alle Einwohner in der ebenfalls betroffenen Gemeinde Arquata mussten ihre Häuser verlassen.

Bei der Naturkatastrophe kamen mehrere Kinder ums Leben. Feuerwehrmannschaften bargen in Amatrice die Leichen von zwei kleinen Mädchen und ihrer Mutter, berichteten italienische Medien. Ein Siebenjähriger aus der Gemeinde erlag in einem Krankenhaus seinen schweren Verletzungen, sein Zwillingsbruder überlebte. In Arquata kamen zwei Urlauberkinder aus Rom ums Leben.

Schwer zu erreichen

Die Bergungsarbeiten gestalteten sich schwierig. In der Region gibt es viele kleine Orte, die schwer zu erreichen sind. Straßen waren durch Geröll blockiert. Auch ein Krankenhaus und ein Katastrophen-Koordinations-Center wurden schwer beschädigt. Laut der Expertin Anna Scolobig von der ETH Zürich, die mit dem IIASA-Institut (International Institute for Applied Systems Analysis) zusammenarbeitet, ist das Hauptproblem in dem immer wieder von Erdbeben getroffenen Gebiet, dass die Häuser nicht stabil genug gebaut sind. Etwa 23 Millionen Italiener leben demnach in Gefahrenzonen. 60 Prozent der Gebäude in diesen Gebieten sind nicht erdbebensicher gebaut.

"Bisher gibt es keine Hinweise, dass Österreicher unter den Opfern sind". Das sagte der Sprecher des Außenministeriums, Thomas Schnöll, am frühen Nachmittag. Die Botschaft in Rom stehe in ständigem Kontakt mit den italienischen Behörden, die einen Krisenstab gebildet hätten.

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The interior of a house is seen following a quake
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People stand along a road following a quake in Ama
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Rescuers work at a collapsed house following a qua
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A man wrapped in blanket looks on as a rescuer wit
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People stand along a road following a quake in Ama
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A destroyed house is seen following a quake in Ama

"Amatrice existiert nicht mehr"

"Amatrice existiert nicht mehr, unsere ganze Gemeinde liegt in Trümmern", sagte Bürgermeister Sergio Pirozzi. In dem Ort mit seinem mittelalterlichen Zentrum, der sich auf der Liste der schönsten Dörfer Italiens befindet, haben viele Römer ihre Urlaubsdomizile. Amatrice galt als Gastronomie-Hochburg und ist Namensgeber der Pasta all' Amatriciana. Fast 2.600 Einwohner wurden obdachlos. "Es ist eine Tragödie wie in L'Aquila vor sieben Jahren", sagte der Bürgermeister der Stadt in den Abruzzen. Dort kamen bei einem Erdbeben 2009 fast 300 Menschen ums Leben. Nach Angaben der ANSA vom Mittwochnachmittag kamen allein in Amatrice 35 Menschen ums Leben. "Jeder kennt jeden in Amatrice, viele Bekannte von mir haben Angehörige verloren", sagte die Lehrerin Lia Capriccioli. Die Frau aus Rom hielt sich in ihren Ferienhaus auf, als die Erde bebte, und kam dann im Hauptquartier des Zivilschutzes unter.

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Firemen and rescuers inspect damaged buildings in Amatrice on August 24, 2016 after a powerful earthquake rocked central Italy. The earthquake left 38 people dead and the total is likely to rise, the country's civil protection unit said in the first official death toll. Scores of buildings were reduced to dusty piles of masonry in communities close to the epicentre of the pre-dawn quake in a remote area straddling the regions of Umbria, Marche and Lazio. / AFP PHOTO / FILIPPO MONTEFORTE

Der Bürgermeister des Ortes Accumoli, Stefano Petrucci, sprach von 2.500 Menschen ohne Dach über dem Kopf. Es sei kein einziges Haus mehr bewohnbar. "Wir müssen eine Zeltstadt für die gesamte Bevölkerung organisieren", sagte Petrucci. "Obwohl August ist, herrschen hier nachts zehn Grad." Laut ANSA starben in Accumoli mindestens elf Menschen. In Arquata del Tronto wurde eine junge Familie ebenfalls in ihrem Ferienhaus verschüttet. Die Eltern überlebten, die eineinhalb Jahre alte Tochter starb. Tragischer Aspekt: Die Mutter hatte das vor sieben Jahren das verheerende Erdbeben in L'Aquila überlebt und war dann aus Furcht vor weiteren Beben aus der Stadt weggezogen.

Nonnen geborgen

Drei Nonnen, die in der Nähe von Amatrice in einem Kloster wohnten, konnten lebend aus den Trümmern des Gebäudes geborgen werden. Zwei Ordensschwestern wurden ins Spital eingeliefert, eine weitere wurde wegen leichter Verletzungen behandelt. In dem Kloster hatten sich weitere sieben Personen aufgehalten. Von vier Senioren fehlte jegliches Lebenszeichen.

Zu den Opfern zähle unter anderem auch eine Familie mit zwei kleinen Kindern, die unter den Trümmern ums Leben gekommen sei, sagte der Bürgermeister der kleinen Gemeinde Accumuli dem Sender RaiNews24. Facebook hatte für die Region in weiterer Folge seinen sogenannten "Safety Check" aktiviert, der anzeigt, wenn sich Menschen in Sicherheit gemeldet haben. Lokale Behörden haben zum Blutspenden aufgefordert. Spitalspersonal wurde aus dem Urlaub zurückgerufen.

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People stand along a road following a quake in Amatrice, central Italy, August 24, 2016. REUTERS/Emiliano Grillotti FOR EDITORIAL USE ONLY. NO RESALES. NO ARCHIVES.

Seit den frühen Morgenstunden halfen hunderte lokale Freiwillige des Italienischen Roten Kreuzes im Erdbeben betroffenen Gebiet. „Unsere Teams leisten Nothilfe für die betroffenen Menschen, darunter die Rettung von Verschütteten durch Suchhunde, medizinische Betreuung und Versorgung mit Notunterkünften und Nahrungsmitteln.“, berichtet Tommaso Dellalonga, Sprecher des Italienischen Roten Kreuzes. Weitere Lagehebungen finden laufend statt. Neben der Notversorgung bietet das Rote Kreuz den Opfern auch psychosoziale Betreuung an.

Zeltstädte für Obdachlose

Für die Obdachlosen des Erdbebens in Mittelitalien sollten zudem zwei Zeltstädte in den Orten Pescara und Arquata del Tronto aufgebaut werden. Zunächst sollten dort insgesamt an die 50 Zelte aufgestellt werden, berichtete die Nachrichtenagentur Ansa unter Berufung auf den Chef des Zivilschutzes der Region Marken, Cesare Spuri. Auch in Sporthallen sollen Menschen untergebracht werden.

Nach ersten Schätzungen sind wahrscheinlich mehrere tausend Menschen ohne Unterkunft. Unter ihnen sind auch zahlreiche Touristen. Die betroffenen Orte gehören teils zum Nationalpark Gran Sasso und Monti della Laga in den Abruzzen. Neben zahlreichen Häusern mussten laut Ansa auch eine Behinderteneinrichtung in dem Ort Sarnano sowie ein Altenheim in Castelsantangelo sul Nera geräumt werden. Im Ort Ussita war eine Ferieneinrichtung für Kinder betroffen.

Erdbeben in Italien: 247 Tote, Tausende obdachlos
A picture taken on August 24, 2016 shows a damaged shop in the Italian central village of Accumoli, after a powerful earthquake rocked central Italy. The earthquake left 38 people dead and the total is likely to rise, the country's civil protection unit said in the first official death toll. Scores of buildings were reduced to dusty piles of masonry in communities close to the epicentre of the quake, which had a magnitude of between 6.0 and 6.2, according to monitors. / AFP PHOTO / MARCO ZEPPETELLA

Der Chef des Zivilschutzes habe ein Notfall-Komitee einberufen, teilte die italienische Regierung mit. Bei den Feuerwehren gingen zahlreiche Anrufe ein. In Norcia liefen Menschen auf die Straße. In mehreren Orten wurden Schäden an Gebäuden gemeldet.

Erinnerung an L'Aquila

Der Chef des Zivilschutzes, Fabrizio Curcio, sprach von einem „schweren“ Beben, es sei vergleichbar mit dem in der Stadt L'Aquila im Jahr 2009. Damals kamen mehr als 300 Menschen ums Leben, vor allem weil das Beben direkt die Stadt mit Zehntausenden Einwohnern traf. Das jetzige Beben sei vermutlich weniger fatal, weil die Gegend nicht so stark bevölkert ist. L'Aquila liegt nicht allzuweit von der nun betroffenen Region entfernt. Nach dem Erdbeben von L'Aquila waren Wissenschaftler, die kein erhöhtes Erdbebenrisiko festgestellt hatten, in einem umstrittenen Prozess zu Haftstrafen verurteilt worden.

Italien hat bei der EU, die mittlerweile ihre Unterstützung angeboten hat, um die Nutzung des EU-Satellitenbilder-Dienstes EMS angefragt. Dieses wurde eingerichtet, um im Katastrophenfall die Lagebeurteilung zu erleichtern. Die Karten des „Copernicus Emergency Management Services“ (EMS) können zum Beispiel detailliert das Ausmaß der Schäden zeigen.

Reaktionen

Zahlreiche Staatschefs aus dem Ausland, darunter US-Präsident Barack Obama, kondolierten Italien wegen der Katastrophe. Aus vielen Ländern gingen Zusagen für Unterstützung ein. "Wir bieten unsere bestmögliche Unterstützung an", schrieb Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) auf Twitter an seinen italienischen Amtskollegen Paolo Gentiloni. "Meine Gedanken sind bei den Opfern und Angehörigen", teilte Kurz mit. Auch österreichische Hilfsorganisationen leisteten über italienische Partnerorganisationen Unterstützung. In ganz Italien wurden Geldspenden für die Opfer gesammelt.

Papst Franziskus hat den vom Erdbeben in Mittelitalien betroffenen Menschen sein tiefes Mitgefühl ausgesprochen. Er finde kaum Worte, seinen großen Schmerz auszudrücken, sagte der Papst am Mittwoch zu Beginn der wöchentlichen Generalaudienz auf dem Petersplatz in Rom. „Den Bürgermeister von Amatrice sagen zu hören, dass der ganze Ort nicht mehr existiert, und zu wissen, dass unter den Opfern Kinder sind, hat mich sehr berührt.“

Das Österreichische Rote Kreuz ist zur sofortigen Hilfe mit Betten und Decken bereit und hat Experten zur Entsendung nach Italien einsatzbereit.

Das Österreichische Rote Kreuz bittet um Spenden:

IBAN: AT57 2011 1400 1440 0144
Kennwort: Katastrophenhilfe
Online-Spenden: spende.roteskreuz.at

Die schwersten Beben in Italien

  • Ende Mai 2012 erschüttern über Tage schwere Erdstöße und Hunderte Nachbeben Nordostitalien. Mehr als 25 Menschen sterben, rund 400 werden verletzt, der Schaden geht in die Milliarden.
  • Am 6. April 2009 um 3.32 Uhr verwüstet ein schweres Erdbeben die mittelitalienische Stadt L'Aquila. Es sterben insgesamt 309 Menschen, Tausende Häuser werden beschädigt, rund 70 000 Menschen obdachlos.
  • Ein Beben in Mittelitalien lässt am 31. Oktober 2002 eine Dorfschule in San Giuliano di Puglia einstürzen. Mehr als 25 Kinder und eine Lehrerin sterben, viele Schüler werden verletzt. Das Beben ist noch im 200 Kilometer entfernten Rom zu spüren.
  • Bei einem Beben im Juli 2001 sterben in Südtirol vier Menschen. Ausläufer sind auch in Bayern, Österreich und der Schweiz spürbar.
  • In den Apennin-Regionen Umbrien und Marken beschädigt ein Beben im September 1997 etwa 9000 Gebäude. Schwer betroffen ist auch die Basilika von Assisi. Zwölf Menschen sterben.
  • Bei einem Beben 1990 in Ostsizilien kommen 19 Menschen um. Besonders betroffen sind Syrakus und Carlentini.
  • Ein Beben sucht 1980 die Region Irpinia in Süditalien heim. Rund 3000 Menschen sterben. Viele werden verletzt oder obdachlos.
  • Beim Erdbeben von Friaul am 6.Mai 1976 mit dem Epizentrum nördlich von Udine wurde die Region Friual-Julisch Venetien und hier vor allem das Kanaltal schwer getroffen, 989 Menschen kamen ums Leben.
  • Das Beben von Messina (Sizilien) im Jahr 1908 gilt als eine der schwersten Naturkatastrophen Europas im 20. Jahrhundert. Die Zahl der Toten wird auf mehr als 100 000 geschätzt.

Nach dem Erdbeben in Mittelitalien ist die Bergung zahlreicher verschütteter Menschen nach wie vor schwierig. Ein Grund dafür ist, dass die Region viele kleine Orte hat, die schwer zu erreichen sind. Straßen sind durch Geröll blockiert. Ein Krankenhaus der Region und ein Katastrophen-Koordinations-Center wurden zerstört. Eine Expertin sprach mit der APA über die Hauptprobleme in solchen Gebieten.

Die am stärksten betroffenen Gemeinden waren Amatrice, Accumoli und Arquata del Tronto. Die drei Orte haben gemeinsam mehr als 70 Nachbarorte, die noch nicht alle erreicht wurden. Laut der Expertin Anna Scolobig von der ETH Zürich, die mit dem IAASA-Institut (International Institute for Applied Systems Analysis) zusammenarbeitet, ist das Hauptproblem in diesen gefährdeten Gebieten, dass die Häuser nicht stabil genug gebaut sind. Laut ihr besteht für halb Italien ein hohes Risiko für Erdbeben. Etwa 23 Millionen Personen leben in diesen risikoreichen Gebieten, das sind 38 Prozent der Bevölkerung. 60 Prozent der Gebäude in diesen Gebieten sind nicht erdbeben-sicher gebaut.

Scolobig sagte, man habe Glück gehabt, dass die Bevölkerungsdichte in der Region nicht sehr hoch sei. Das Krankenhaus der Region ist sehr stark beschädigt worden und auch das Katastrophen-Koordinations-Center wurde von dem Beben getroffen. Das macht es laut der Expertin sehr schwierig, die Situation zu koordinieren. Ebenso gebe es zu wenig Bagger um den Schutt zu beseitigen. Es seien bereits einige vor Ort, aber immer noch zu wenig. Aus Rom waren Arbeitsmaschinen auf dem Weg in die Region und es werden weitere aus ganz Italien erwartet.

Zahlreiche Häuser wurden bei der Naturkatastrophe zerstört. Das Hauptproblem ist laut der Expertin, dass alte Gebäude in den Erdbeben-Regionen in Italien oft nicht stabil genug gebaut sind. Erst seit 2008 gibt es neue Bestimmungen (europäische Standards) für Häuser die in Gegenden mit hohem Risiko für Erdbeben neu gebaut werden. Der Zustand der älteren Häuser werde nach und nach verbessert. Dies sei jedoch schwierig, da besonders kleine Städte in Italien, viele historische, denkmalgeschützte Häuser haben. "Das Problem ist, dass die meisten Gebäude in denen Hilfe bereitgestellt wird - wie beispielsweise Krankenhäuser, nicht die neusten sind", sagte Scolobig.

Ein weiteres Problem des Risikomanagements sei, dass nur ein paar Versicherungen die Kosten nach einem Erdbeben übernehmen. Weil die Zahl der risikoreichen Gegenden in Italien so hoch ist, können die Firmen laut der Expertin die Summen nicht tragen.

Am Nachmittag sollten Organisationen und freiwillige Helfer aus anderen italienischen Regionen eintreffen. Das Gute ist laut Scolobig, dass es in Italien ein sehr großes Netzwerk an freiwilligen Helfern (1,2 Millionen Menschen) gebe, etwa vom Roten Kreuz oder der Freiwilligen Feuerwehr. Am Donnerstag seien 1.600 Ingenieure zu erwarten, welche die ersten Schäden beseitigen sollen.

Der italienische Katastrophenschutz, sagte die Expertin, sei in Italien gut und werde stets verbessert. Das italienische Institut für Vulkanologie habe das Erdbeben laut Scolobig nicht vorhersehen können, es sei sehr plötzlich gekommen. Das Management laufe im Katastrophenfall gut. Nach dem Erdbeben in L'Aquila im Jahr 2009 wurde der Krisenplan für Erdbeben verbessert.

Der Wiederaufbau der Gebäude nach Erdbeben ist ebenso ein Problem, da dies bei historischen Gebäuden nicht so einfach sei. In der Innenstadt von L'Aquila sei nach sieben Jahren noch immer viel Arbeit zu tun.

Alle 15 Jahre ereignet sich in Italien ein Erdbeben größer der Stärke 6,3. Dies sagte Fabio Tortorici, Sprecher des italienischen Geologenverbands, der am Mittwoch bessere Maßnahmen zur Vorbeugung von Erdbeben- und Naturkatastrophenschäden forderte. Das Land müsse der Erdbebensicherheit mehr Beachtung schenken.

"Italien muss stark in Prävention investieren. Das betrifft nicht nur Erdbeben", sagte Tortorici. In den vergangenen Jahrzehnten sei im ganzen Land wild gebaut worden. Jedes Jahr werde eine Fläche von 500 Quadratkilometern zubetoniert. Das entspreche der Fläche von Mailand und verhindere, dass Regenwasser im Boden versickern kann. Bei stärkeren Regenfällen kommt es somit viel schneller zu Überschwemmungen, kritisierte der Geologenverband.

In der Bevölkerung sei wegen der vielen Unwetterkatastrophen das Bewusstsein gewachsen, dass Vorbeugung und Umweltschutz wichtig seien. Heute seien große Bauprojekte zur Ankurbelung der Wirtschaft nicht mehr notwendig. Der Geologenverband sieht die Restaurierung und Anpassung der Gebäude an umweltfreundliche und erdbebensichere Standards als wesentliche Schritte für die Zukunft Italiens.

Amatrice, die von dem Erdbeben in Mittelitalien am stärksten betroffene Gemeinde, ist bei den Italienern als Pasta-Hauptstadt und Gastronomie-Hochburg bekannt. Der Ort mit 2.600 Einwohnern 106 Kilometer nordöstlich von Rom befindet sich im Naturpark des Gran-Sasso-Massivs an der Grenze zu den Abruzzen.

Der Ort ist Namensgeber der "Spaghetti all' Amatriciana" eines der populärsten Nudelgerichte Italiens. Die Sauce dafür besteht aus Guanciale (Schweinespeck), Tomaten, Pecorino-Käse, Pfefferoni und Olivenöl. In der Vergangenheit war es das Essen der dort ansässigen Hirten. Im Laufe der Zeit wurde das Rezept von der römischen Küche vereinnahmt und erfreut sich auch im Ausland zunehmender Beliebtheit.

Auf Schildern an der Stadteinfahrt prangt groß der Hinweis "Amatrice, Citta degli Spaghetti" (Amatrice, Stadt der Spaghetti, Anm.). Für das kommende Wochenende war die 50. Ausgabe des Volksfests "Spaghetti all'Amatriciana" geplant, das jedes Jahr am letzten August-Wochenende Tausende Gourmets aus ganz Italien anlockt.

Die Gegend um Amatrice ist als "Nabel Italiens" bekannt, weil sie den Mittelpunkt der italienischen Halbinsel bildet. Die entlang der sogenannten Konsularstraße Salaria liegende Gemeinde Amatrice ist für ihren mittelalterlichen Stadtkern und wegen der umliegenden Berglandschaft bekannt. 2015 wurde der Ort in die Liste der schönsten Dörfer Italiens aufgenommen. Der Rathausturm stammt aus dem 13. Jahrhundert. Die Glockentürme der Kirchen Sant' Emidio und Sant' Agostino stammen aus dem 14. Jahrhundert.

Amatrice ist ein beliebter Urlaubsort vor allem bei Römern, die hier Ferienwohnungen besitzen. Im August ist Hochsaison, von internationalem Massentourismus ist die Kleinstadt verschont geblieben.

Norica

Bekannter als Amatrice ist im Ausland die ebenfalls vom Erdbeben betroffene Kleinstadt Norcia in Umbrien, Heimatort des Heiligen Benedikt, der dort im Jahr 480 zur Welt kam. Der Turm der Kirche des Heiligen Benedikts, der in der katholischen Kirche als "Vater" des abendländischen Mönchtums und Schutzpatron Europas gilt, wurde zwar beschädigt, stürzte jedoch nicht ein. Die Kleinstadt Norcia, das römische Nursia, war bereits 1979 von einem Erdbeben betroffen, bei dem fünf Personen ums Leben kamen und 2.000 Menschen obdachlos wurden. Sachschäden wurden am Mittwoch auch in der umbrischen Ortschaft Cascia, Heimat der Heiligen Rita (1370-1447), gemeldet. Die Heilige Rita von Cascia ist eine der beliebtesten Heiligen vor allem in den romanischsprachigen Ländern Europas und Amerikas.

Die Stärke von Erdbeben wird mit Seismographen gemessen. Sie zeichnen die Stärke von Bodenbewegungen auf, die sogenannte Magnitude. Weltweit kommen jährlich etwa 100.000 Beben der Stärke 3 vor. Rund 1.600 haben die Stärken 5 oder 6. Ein Großbeben hat mindestens den Wert 8 und tritt etwa einmal im Jahr auf.

Das heftigste bisher auf der Erde gemessene Beben hatte eine Magnitude von 9,5 und ereignete sich 1960 in Chile. Erdbeben können je nach Dauer, Bodenbeschaffenheit und Bauweise in der Region unterschiedliche Auswirkungen haben.

Meist gilt:

- Stärke 1-2: Nur durch Instrumente nachzuweisen

- Stärke 3: Nur in der Nähe des Epizentrums zu spüren

- Stärke 4-5: 30 Kilometer um das Zentrum spürbar, leichte Schäden

- Stärke 6: Tote und schwere Schäden in dicht besiedelten Regionen

- Stärke 7: In weiten Gebieten stürzen Häuser ein, viele Menschen sterben

- Stärke 8: Verwüstungen im Umkreis Hunderter Kilometer, sehr viele Opfer

Mit jedem Stärke-Punkt Unterschied steigt die Erschütterungsenergie um mehr als das 30-Fache. Ein Beben der Stärke 6 setzt rund 1.000 Mal so viel Energie frei wie ein Beben der Stärke 4. Die Energie eines solchen Bebens der Stärke 6 entspricht in etwa der Stärke der Atombombenexplosion in Hiroshima.

Früher wurde die Erdbebenstärke nach der sogenannten Richterskala bestimmt. Der US-Geophysiker Charles Francis Richter hatte die Skala 1935 speziell für Kalifornien ausgearbeitet. Die klassische Richterskala gilt jedoch bei großen Beben als nicht besonders genau. Erdbebenforscher verwenden deshalb heute modernere Magnituden-Skalen.

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