Neues Video entlastet "Cop-Killer"

Neues Video entlastet "Cop-Killer"
Thomas B. überfuhr einen Polizisten. Ein Video, das dem KURIER vorliegt, schwächt die Mordthese.

11. Oktober 2012, Apátfalva in Südungarn gegen 13 Uhr: Der Salzburger Thomas B., 43, sitzt in seinem tonnenschweren Hummer. Vor ihm stellt ein Polizist mitten auf der Fahrbahn sein Motorrad quer. B. gibt Vollgas und überfährt den Beamten.

Kurze Zeit später ist der 34-jährige Imre Kenéz tot.

Vom „Amokfahrer“ oder „Cop-Killer“ berichteten Medien fortan reißerisch. „Gnadenlos“ und getrieben vom „Hass auf Beamte“ habe der österreichische Kfz-Mechaniker den Ungarn niedergefahren. Für den Militärstaatsanwalt (siehe Infobox) ist die Marschrichtung klar: Ermittlungen wegen Mordes.

Doch nun könnten Zeugenaussagen und ein Video, das dem KURIER zugespielt wurde (siehe unten), die Wende bringen: Denn so wie kolportiert, hat sich der Vorfall nicht zugetragen. Das Video legt die Vermutung nahe, dass B. gar nichts sah, als er plötzlich losfuhr und den Polizisten unter seinem Hummer begrub. Ein anderer Polizist hatte ihn zuvor attackiert – vermutlich mit Pfefferspray.

Fakt ist: Ein Mensch musste sterben. Klar ist auch, dass der 43-Jährige Österreicher kein unbeschriebenes Blatt ist. Der zweifache Vater ist bereits mehrfach mit dem Gesetz in Konflikt geraten – auch deshalb hatte B. bisher schlechte Karten.

Kurze Rückblende: Der Österreicher und vier Deutsche waren in vier schweren Geländewagen am Rückweg von einer Rallye in Rumänen. Eine Zivilstreife in einem silbernen Pkw blitzte den Konvoi. Tempo-Übertretung! Es gab Diskussionen. Letztlich zahlten alle das Bußgeld. Als Thomas B. losfuhr, kollidierte er beinahe mit dem Polizei-Pkw. Anstatt stehen zu bleiben, streckte er dem Beamten den Mittelfinger entgegen. Kurz darauf drehte ein Fahrer seine Handy-Kamera auf – das Video beginnt zu laufen.

Zeugen behaupten, der Zivilfahnder, der sich hinter B. geheftet hatte, habe mitten im Ort Schüsse abgefeuert. Am Video ist aber nur das laute Knistern des Fahrtwindes zu hören. Zwei Motorradpolizisten rasen vorbei. B. lässt seinen Wagen ausrollen – da war ein Motorradpolizist schon auf seiner Höhe. Vis-à-vis von B. steigt der Beamte ab, sprintet mit ausgestreckter Hand zum Fahrzeug und streckt sie ins Cockpit. B.s Aussage, er sei mit Pfefferspray befeuert worden, passt zu dieser Szene. In diesem Moment steigt eine dunkle Abgaswolke auf. Der Hummer bricht aus, walzt den zweiten Motorrad-Cop am rechten Grünstreifen nieder. Das Fahrzeug hält. 13 Schüsse fallen. Vier Kugeln treffen B.. Er schreit um Hilfe für den verletzten Beamten, bis ihn die zwei Polizisten niederringen. Erschütternd: Der verletzte Polizist liegt minutenlang da, ohne dass ihm jemand hilft. Bemerkenswert: B. hat kein Messer, wie Medien später berichten.

Mord oder Unfall?

War das Mord? Sein deutscher Anwalt Friedrich Schweikert verneint: „Er hat ja gar nichts gesehen.“ Der KURIER spielte das Video dem Wiener Advokaten Wolfgang Mekis vor. Der Jurist war Staatsanwalt und Richter. Er sagt: „Der Spray hat offenbar furchtbare Schmerzen und eine Panikreaktion ausgelöst.“ B. sei ohne zu überlegen losgefahren. Für einen Mord, folgert Mekis, fehle der Wille, sprich der Vorsatz.

Die Wirkung von Pfeffersprays ist wissenschaftlich zweifelsfrei dokumentiert. Getroffene schließen schmerzbedingt ihre Augen und können sie oft erst nach 15 Minuten wieder öffnen.

B. liegt im Gefängnisspital in Tököl südlich von Budapest. „Körperlich geht es ihm besser, psychisch immer schlechter“, erzählt sein ungarischer Verteidiger Kálmán Fóris. Im Raum steht auch ein Vorwurf des Patienten. Nach seiner Verhaftung hätte man ihn im Spital in Szeged Schmerzmittel verwehrt. B.: „Man hat ohne Narkose an mir herumgedoktert.“

Medien dichteten B. viel an. So sei er im „Koks-Rausch“ hinterm Steuer gesessen. Seine Familie und er selbst streiten das ab. Sein bester Freund erzählt: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass Thomas etwas mit Drogen zu tun hat.“ Das Ergebnis des Bluttests kennt nur der Staatsanwalt. Akteneinsicht gibt es in diesem Stadium des Ermittlungsverfahrens in Ungarn nicht (siehe Infobox).

Staatsfeind

Dass ihn ungarische Medien zum Staatsfeind erklärt haben, weiß er nicht. „Die Meinungsmache beruht nur auf einseitigen Infos. Dass alle so geschlossen dem folgen, wundert mich schon sehr“, sagt Jurist Schweikert, der in Deutschland für B. Beweise sichert und seine Familie vertritt. Er trieb das Video auf. Ein Hummer-Fahrer hatte es unter Verschluss gehalten. „Wir wurden in Ungarn massiv bedroht“, gab ein anderer zu Protokoll.

Noch ist B. nicht einvernommen worden. Der Staatsanwalt bekam seine Aussage per Post – wie nun auch das Video. Fóris: „Die Aussage und das später aufgetauchte Video sind ident. Das Video zeigt, dass mein Mandant nicht lügt.“

Die Justiz ließ die beiden Anwälte wissen, dass sie weiter wegen Mordes ermittle. Wie es für Thomas B. ausgeht, steht in den Sternen. Derzeit, sagt seine Frau, „ist die ganze Sache einfach nur ungerecht“.

Recht: Der Militärstaatsanwalt klagt an

Kompetenz. Betrifft ein Verfahren einen Polizeibeamten, so ist laut ungarischem Recht die Militärstaatsanwaltschaft zuständig. Im Normalfall macht sie Polizisten, die sich etwas zu schulden kommen ließen, den Prozess. Auch im umgekehrten Fall, wenn etwa ein Polizist Opfer eines Gewaltverbrechens wurde.

Ermittlungen. Eine Besonderheit haben Ermittlungsverfahren in Ungarn. Rechtsanwälte bzw. Verteidiger haben anders als in Österreich während der laufenden Ermittlungen kein Recht auf Akteneinsicht. Sie dürfen etwa Vernehmungsprotokolle nicht vorab sehen, sondern erst nach Abschluss des Verfahrens.

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