Todenhöfer: "Terroristen nicht zu Helden machen"

Medienleute unweit des Bataclan-Konzertsaals
Jürgen Todenhöfer, der als bisher einziger Journalist zehn Tage im "Islamischen Staat" unterwegs war, erklärt, was die Attentäter so gefährlich macht.

Der Axt-Täter von Würzburg schaffte es auf die Titelseite der Bildzeitung. Sein Bekennervideo wurde Tausende Male im Internet abgerufen. Der deutsche Stern titelt diese Woche mit den Attentätern von Nizza, München und Ansbach.

Vor Schlagzeilen wie diesen warnt der IS-Insider Jürgen Todenhöfer, denn sie dienen nur der IS-Propaganda. Der ehemalige deutsche Medienmanager ist bisher der einzige Journalist, der, geduldet von den Dschihadisten, zehn Tage im "Islamischen Staat" verbrachte. Im Interview erklärt er, welche Medienstrategie die Tageszeitungen und TV-Stationen bei der Berichterstattung wählen sollten, damit die IS-Propaganda nicht pausenlos neue Aktivisten für das neue Phänomen des Do-it-yourself-Dschihads anlocken kann.

KURIER: Herr Todenhöfer, Nizza, Würzburg, München und Ansbach. Was verbindet diese jungen Attentäter? Was macht sie so gefährlich?

Jürgen Todenhöfer: Leider ist Gewalt eine Krankheit, die ansteckend wirkt. Dazu kommt, dass bei den Jugendlichen Gewalt im Moment verherrlicht wird, es gilt als "in", keine Scheu davor zu haben. Die Attentäter sind meist von Kindheit an mit Aggressionen konfrontiert, da ist die Hemmschwelle sehr niedrig. Kommt dann noch die Perspektivlosigkeit dazu, wird das zur gefährlichen Mischung. Radikalisiert werden die Jugendlichen über das Internet. Es ist schnell, anonym und unreguliert. Der IS kommuniziert in verschiedenen Sprachen und verschlüsselt. Anziehend wirkt auch, dass jeder Täter, der dem IS zugeschrieben wird, große mediale Aufmerksamkeit bekommt.

Wie sollen die Medien künftig über den IS-Terror berichten, um nicht ungewollt Propaganda für die Terrororganisation zu machen?

Der erste Gedanke ist natürlich, man berichtet nur das Nötigste über das Attentat. Denn Terrorismus ist immer der Schrei nach Aufmerksamkeit. Ihnen keine Aufmerksamkeit und keine mediale Plattform zu geben, funktioniert leider nicht. Denn die Bevölkerung hat den Anspruch, alles zu erfahren. Denken Sie nur an die Silvesternacht von Köln zurück. Als die Polizei in den ersten Tagen nicht bekanntgeben wollte, welche Herkunft die Täter haben, gab es gleich den Vorwurf, dass hier etwas vertuscht werden soll.

Todenhöfer: "Terroristen nicht zu Helden machen"
Jürgen Todenhöfer HONORARFREI IM ZUSAMMENHANG MIT DEM BUCH!!!

Selbst wenn die klassischen Medien sich einem Verhaltenskodex bei der Berichtererstattung unterwerfen würden, gibt es immer noch das unkontrollierbare Internet.

Die Möglichkeiten sind leider sehr begrenzt. Aber da gibt es immer noch die Frage der Auswahl. Man kann über die Attentate maßvoll berichten. Die französische Tageszeitung Le Monde hat hier einen ersten richtigen Schritt gemacht und zeigt keine Fotos der Attentäter mehr. Ganz schlimm ist die Versuchung, jeden Beistrich beispielsweise im Bekennerschreiben zu überinterpretieren, überall subtile Zeichen zu erkennen. Enorm wichtig ist auch, man darf die Terroristen nicht zu Helden machen. Am besten wäre es, weder die Bekennervideos noch die Namen der Attentäter zu veröffentlichen.

Wie kommt es, dass die brutalen Terroranschläge attraktiv auf junge Moslems wirken, die bei uns im Wohlstands-Westen aufwachsen?

Die grausigen Bilder sind nur für eine überschaubare Zahl von Leuten attraktiv. In Deutschland gibt es 9000 Salafisten, von denen ist vielleicht maximal ein Drittel gewaltbereit und sympathisiert mit dem IS. 99,9 Prozent der Muslime in Deutschland und auch in Österreich lehnen den IS kategorisch ab! Ich habe einige IS-Sympathisanten selbst getroffen. Der IS hat ihnen vorgegaukelt, dass sie in einem apokalyptischen Endkampf stehen, der in Syrien stattfindet. Zum ersten Mal in ihrem Leben sagt jemand zu diesen jungen Leuten: Ihr seid wichtig, kommt zu uns. Dazu kommt die Gewalt-Kultur im Internet. Die jungen Männer spielen erst brutale Ballerspiele. Dann sagt man ihnen: Kommt zum IS – da bekommt ihr ein schönes Haus und eine große Waffe. In Wahrheit müssen sie dann unter erbärmlichsten Bedingungen mit Plumpsklo in Syrien hausen. Die jungen Leute, die hier nichts sind, glauben, so Fantasiegestalten zu werden, die mit dem Maschinengewehr über Leben und Tod entscheiden. Es wäre die Aufgabe der Medien, den anfälligen Muslimen zu zeigen, wie die Welt des IS wirklich ist.

Wie stellen Sie sich die Aufklärung vor?

Die Aufklärung müsste auf zwei Ebenen ablaufen. Die Medien sollen nicht nur über die Attentate berichten, sondern Interviews mit jungen Rückkehrern im TV bringen. Die meisten sind ungefährlich und enttäuscht, weil die Versprechungen alles Lügen sind. Mein Begleiter während meiner zehn Tage im IS bekam 50 Dollar pro Woche. Ein Mädchen kostet aber 1500 Dollar.

Es gibt auch keinen apokalyptischen Kampf gegen die USA, sondern in Syrien und Irak kämpft der IS gegen die Muslime. Den Mädchen wiederum wird versprochen, sie werden junge Helden heiraten. Tatsächlich werden sie in erbärmlichen Frauenhäusern gehalten, wo das Ungeziefer nur so wimmelt.

Wie sollte die zweite Ebene ausschauen?

Zusätzlich brauchen junge Muslime glaubwürdige Vorbilder, die die IS-Botschaften zerpflücken. Sie müssen den anfälligen Muslimen vermitteln: Wer sich dem IS anschließt, greift nicht das Christentum, sondern den Islam an.

Es hat weder mit der Religion noch mit dem kulturellen Hintergrund zu tun, wenn ein Mensch sich entschließt, Terrorist zu werden. Alle Terroristen haben das gleiche psychologische Profil, das in vier Phasen abläuft. Das ist das bemerkenswerte Forschungsergebnis des Heeres-Wissenschaftlers Harald Haas vom Institut für Human- und Sozialwissenschaften an der Landesverteidigungsakademie.

Der Psychologe und Politikwissenschafter Haas lebte mehr als ein Jahr in Syrien und weitere sechs Jahre in Gaza. Er sollte die Entstehung eines palästinensischen Staates erforschen. Haas kennt die wesentlichen Politiker, auch die Terrorchefs. Während der Intifada fragte er sich: "Was bringt einen Menschen dazu, sich sehenden Auges von einer Niederlage in die nächste zu stürzen?"

Terror-Biografien

Haas begann, die Lebensgeschichten von 25 palästinensischen Selbstmordattentätern zu erforschen. Unter anderem entwarf er Fragebögen, die er mit den Familien der Attentäter durchging. Diese Fragebögen glich er auch mit jenen von britischen Forscherkollegen ab, die gleichzeitig die Hintergründe der Attentäter der IRA (Irisch-republikanische Armee) im Nordirlandkonflikt erforschten.

Zum Erstaunen der Forscher wiesen alle Täter unabhängig vom islamischen Hintergrund auf der palästinensischen Seite und dem christlichen Hintergrund auf der IRA-Seite die gleiche Biografie auf. Am Anfang stehen frühkindliche, traumatische Erfahrungen. Entweder wurden sie von den Eltern schlecht behandelt oder sie wurden Zeugen, wie die Eltern von Fremden schlecht behandelt oder vielleicht sogar getötet wurden. In der Folge reagieren die Heranwachsenden mit größtmöglicher Anpassung und Selbstverleugnung. Sie sind extrem diszipliniert und gehorsam und meistens gute Schüler.

Sie wollen möglichst unauffällig sein, um nie wieder in eine für sie schwierige Situation zu geraten.

In der späteren Pubertät kommt es noch einmal zu einer großen Enttäuschung oder zu einer Gewalterfahrung. Auf diese schwere, narzisstische Kränkung folgt die Gewaltphase. Haas: "Wenn die Kränkung groß genug ist, bringt er nun auch die Bereitschaft zur Selbstzerstörung mit." Er ist reif für jede Art von Gewalttat und schottet sich immer mehr ab. Viele dieser Menschen leiden unter Depressionen und werden auch behandelt. Wobei aber die verabreichten Antidepressiva die Gewaltbereitschaft erhöhen. In diese Kategorie von Menschen fällt für Haas auch der Münchner Attentäter.

Rekrutierer

Jetzt sind die Kandidaten auch in einer Phase, wo sie meist erfolgreich für eine Gruppe geworben werden können. Religion oder kulturelle Eigenschaften spielten bis zu diesem Zeitpunkt keine oder nur eine untergeordnete Rolle. Doch genau in diesem Pool von anfälligen Menschen sind die psychologisch geschulten Rekrutierer der Terrororganisationen auf der Suche nach geeigneten Kandidaten. Die findet man überall. In einem Volk in einer normalen Friedenssituation seien bis zu neun Prozent der Jugendlichen aus verschiedenen Gründen traumatisiert. In Krisengebieten steigt der Prozentsatz. Unter palästinensischen Studenten leiden bis zu 60 Prozent an einer posttraumatischen Störung. Unter israelischen Studenten sind es immerhin noch 30 Prozent.

Rekrutierer des IS sind weltweit unterwegs. Sie suchen in Moscheen, in Jugendclubs oder einfach in der Jugendszene im Park. Durch das Internet ist es noch viel leichter geworden, die Botschaften loszuwerden. Mit der erfolgreichen Anwerbung für eine Gruppe beginnt die nächste Phase der Selbstverleugnung. Er ist jetzt endlich Teil einer Gruppe, die "Heldentaten" vollbringt, und ordnet sich dieser total unter. Haas: "Jetzt hat er scheinbar sein Ziel erreicht, er kann endlich ein Mal in seinem Leben ein Held sein." Der Terror-Anwärter empfindet auch keine Verantwortung für ausgeübte Gewalt. Nicht er tötet, sondern die Gruppe tötet. Für die eigentliche Tat gibt es reguläre Ausbildungskurse. In weiterer Folge werden die Kandidaten auch ihren Familien entfremdet. Haas: "Man nimmt ihnen die letzten Bezugspersonen, bis niemand mehr da ist, auf den sich so ein Mensch stützen kann."

Fertige Bombe

Jetzt ist die lebende Bombe fertig, und muss nur mehr auf das Ziel programmiert werden. Dafür kommt nun auch fallweise die Religion ins Spiel. Der Islamische Staat setzt beispielsweise eine pervertierte Auslegung des Koran gegen "Ungläubige" dafür ein. Und bei der IRA wurden nationalistische Motive verwendet.

Den Kampf gegen den IS-Terrorismus und Amokläufer in Europa hält Haas aufgrund der psychischen Profile der Täter für eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Die Polizei könne erst einschreiten, wenn es schon fast zu spät ist. Im besten Falle dann, wenn der Attentäter eine illegale Waffe kauft. Die gesellschaftliche Terrorprävention müsse aber schon viel früher ansetzen. Es sei notwendig, das soziale Umfeld zu schärfen. Und zwar dafür, dass Eltern, Freunde oder Kollegen merken, wenn ein Mensch immer sonderbarer wird und sich zunehmend abschottet. Diesen dann einfach als "Sonderling" zu behandeln, und wie im Falle des Münchner Attentäters diesen auch noch während der Tat zu beschimpfen, sei sicher der falsche Weg. Mit diesen Menschen müsse man sich frühzeitig auf geeignete Weise auseinandersetzen. Haas: "Das wäre Terrorprävention im Allgemeinen, da könnte jeder mithelfen."

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