Zwei Stunden in Tiefkühlschrank gefangen und fast erstickt

Der Angeklagte Milos M. will nicht der Täter sein
Die Täter sperrten Lidl-Angestellte in luftdichten Container, Kundin rettete sie: Mordversuchsprozess.

6.30 Uhr: Die beiden Supermarkt-Mitarbeiter Emine O. und Ibrahim A. werden von Räubern in eine leer stehende Tiefkühltruhe gesperrt. Man kann darin nur kauern, sie ist luftdicht abgeschlossen, und die Tätern schieben sie mit der Tür an die Wand.

7.05 Uhr: Die Gefangenen rufen um Hilfe und geraten in Atemnot. Die 37-jährige Frau weint, der Mann tritt gegen die Tür, was ihm noch schneller die Luft nimmt.

7.15 Uhr: Die Luft wird immer dünner, die Temperatur in der Truhe immer höher. Die Gewissheit zu sterben gewinnt über die Hoffnung auf Rettung die Oberhand, sagen die Opfer später.

7.45 Uhr: Emine gibt keine Antwort mehr, wenn sie ihr 31-jähriger Kollege anspricht. Ibrahim gerät in Panik, er wird der Nächste sein.

Zwei Stunden in Tiefkühlschrank gefangen und fast erstickt
supermarktraub

8.10 Uhr: Eine Stammkundin wundert sich, warum der Supermarkt – der um acht Uhr öffnen sollte – noch geschlossen ist. Sie geht zum Lieferanteneingang, hört ein Röcheln, läuft panisch rund um den Tiefkühlcontainer, findet keine Öffnung, alarmiert die Polizei.

8.30 Uhr: Ibrahim A. und Emine O. werden in letzter Minute gerettet. Sie schnappen nach Luft, müssen aus der Truhe gehoben werden. Der Mann hat eine Schädigung des Herzmuskels davon getragen, die Frau sagt als Zeugin, sie kann nicht einmal für ihre Kinder kochen.

Geschehen am 26. März dieses Jahres in einer Lidl-Filiale in der Quellenstraße in Wien-Favoriten. Die Räuber haben im Büro den Safe geknackt und 8000 Euro erbeutet, bevor sie die Angestellten in die Truhe sperrten. Am Donnerstag steht der 65 cm breite, 108 cm tiefe und 165 cm hohe Kühlschrank im Gerichtssaal. Zunächst mit Leintüchern verhüllt. „Nicht, um Sie auf die Folter zu spannen“, sagt der Staatsanwalt zu den Geschworenen, „sondern aus Rücksicht auf die Opfer.“ Denen ist der Anblick nicht mehr zumutbar.

Der Serbe Milos M. ist laut Anklage (Mordversuch) einer der Räuber, und zwar jener, der eine auffällige Ortskenntnis hatte. Den Komplizen konnte man nicht ausforschen, es könnte der Bruder sein. Milos M. soll die Opfer in die Truhe gesperrt haben. Er hatte in der Lidl-Filiale gearbeitet, war aber entlassen worden, weil er in die Kasse gegriffen haben soll.

T-Shirt als Tarnung

Wie kamen die Räuber überhaupt vor sechs Uhr Früh in den Supermarkt? Einer hatte ein Lidl-Shirt an, die Frühschicht Emine O. dachte, es sei ein Lieferant und öffnete die Tür. „Aber Lieferanten tragen keine Lidl-Shirts“, entgegnet die Verteidigerin und klagt die Opfer an: „Warum haben die aufgemacht?“

Die Frage kann freilich wenig zur Entlastung von M. beitragen, auch sein Alibi schwächelt. Ein Taxi hatte ihn zur Tatzeit zum Tatort gebracht, ein anderes nach einer Stunde abgeholt. Er habe bei seiner gegenüber wohnenden – gerade auf Reisen befindlichen – Tante nach der Post geschaut. Eine Stunde lang?

Ein abgerissener Jackenknopf mit DNA-Spuren von Milos M. im Büro vor dem Tresor wiegt schwerer. Der Prozess wurde vertagt.

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