Kommen weitere Öffnungsschritte? Tendenz in Richtung regionale Lockerungen

Corona-Gipfel im Bundeskanzleramt
Große Öffnungen, wie von der Wirtschaft im Vorfeld erhofft, dürften heute nicht kommen. Gewisse Lockerungen scheinen jedoch möglich.

Gestern trafen Kanzler Sebastian Kurz, Vizekanzler Werner Kogler und Gesundheitsminister Rudolf Anschober zu Beratungen im Kanzleramt zusammen. Diskutiert wurde die Frage, inwieweit sich Österreich heute weitere Lockerungen bei den Corona-Maßnahmen leisten kann und will.

Die Ausgangslage: Die Infektionszahlen im Land steigen stetig an, die Mutanten sind weiter auf dem Vormarsch, Experten und Virologen warnen vor allzu hastiger Öffnung. Der Begehr der Wirtschaft, speziell der Gastronomie, nach Lockerungen jedoch ist groß, auch aus den Reihen der Landeshauptleute (Thomas Stelzer, Johanna Mikl-Leitner, Hans Peter Doskozil) ertönt der Ruf nach mehr Freiheiten.

Nach einem Beratungsmarathon mit Experten, Opposition und Ländern soll heute um 17 Uhr feststehen, welche Öffnungsschritte möglich sind. Fest steht: Groß werden sie nicht ausfallen - das wurde bereits gestern Abend aus Regierungskreisen bekannt. Das gibt die Situation in Österreich nicht her. 

Ganz lässt sich die Regierung offenbar aber nicht von Lockerungsüberlegungen abhalten. So wird überlegt, regionale Maßnahmen bzw. Lockerungen zu treffen, berichtet die APA mit Verweis auf Regierungskreise.

Entsprechend könnte es zu Lockerungen in Vorarlberg kommen, das angesichts der vergleichsweise niedrigen Inzidenzen dann zu einer Art Testgebiet werden würde.

Mathematiker Niki Popper kann sich unterschiedliche Maßnahmen für Regionen gut vorstellen. "Wir empfehlen seit langer Zeit auf Modellbasis, dass man sehr wohl auf regionaler Ebene etwas tun kann", so Popper im Ö1-Morgenjournal. Man könne auf der einen Seite "regional stärker anziehen und auf der anderen Seite regional mehr öffnen." Dabei seien nicht nur die absoluten Zahlen zu berücksichtigen, sondern auch beispielsweise Mutationen.

Das sei ein Zugang der "sicher Sinn macht."

Zeitplan

Die Entscheidung, wie man weiter vorgeht, wird jedenfalls heute fallen. Zunächst trifft die Regierung auf eine Expertengruppe (10 Uhr), der unter anderem die Virologin Dorothee von Laer, die Epidemiologin Eva Schernhammer und der Vizerektor der Med Uni Wien Oswald Wagner angehören. Danach werden per Video die Oppositionsparteien (11.30 Uhr) zugeschaltet. Schließlich wird mit den Landeshauptleuten konferiert (13 Uhr), die zumindest zum Teil persönlich anreisen. Um 17 Uhr soll das Ergebnis der Beratung verkündet werden.

Angesichts der vergleichsweise niedrigen Inzidenzen sieht Vorarlbergs Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP) die Voraussetzungen für eine Art Testgebiet gegeben.

Laut einem Bericht der Vorarlberger Nachrichten hat Wallner am Wochenende sowohl bei Kanzler Kurz als auch bei Gesundheitsminister Anschober für Öffnungsschritte in Vorarlberg geworben. Es brauche regionalen Spielraum, betonte Wallner, der Öffnungsschritte im Bereich der Gastronomie, der Kultur und des Sports setzen möchte. Innerhalb von zwei bis drei Wochen wäre das machbar, so der Landeshauptmann. Öffnungen wären aber nur mit Tests denkbar, dazu müssten laut Wallner auch die Selbsttests akzeptiert werden. Die Kapazitäten der Teststraßen würden nicht ausreichen, um die notwendige Anzahl an Tests zu bewältigen.

Regional angepasstes Vorgehen

Aus der Regierung heißt es zur APA, dass sich auch die Experten für regional angepasstes Vorgehen aussprechen. Freilich hatte zuletzt der allergrößte Teil der medizinischen Berater vor weiteren Lockerungen gewarnt. Die Ampel-Kommission hatte sogar die Rücknahme von Öffnungsschritten nahe gelegt, wenn eine Inzidenz von 200 auf 100.000 Einwohner vorliegt.

Am gestrigen Sonntag wurde mit 2.123 Neuinfektionen ein sehr hoher Wochenendwert gemeldet. "Haupttreiber dieser Steigerungen ist die rasche Ausbreitung der stärker ansteckenden Mutationen in ganz Europa, auch in Österreich. In der Mehrzahl der österreichischen Bundesländer dominiert die britische Variante bereits. Da diese ein um rund 30 Prozent höheres Ansteckungsrisiko aufweist, steigen die Infektionszahlen parallel zur Ausbreitung der Variante“, so Anschober. 

Interessant dabei ist die Untersuchung des Reproduktionsfaktors durch die ExpertInnen: Lag die bisherige Variante in den vergangenen Tagen bei einem Reff von knapp 1, so beträgt der Reff bei den Mutanten 1,22. Je stärker sich die Virusvarianten daher ausbreiten, desto stärker steigt auch der Reproduktionsfaktor insgesamt an.

Inzidenz

In Niederösterreich ist die Inzidenz beinah bei 196,2. Auch Wien, das in Lockdown-Zeiten beständig unter 100 lag, nähert sich der 200er-Markte mit großen Schritten (aktuell 186,6). Warum gerade im Osten das Infektionsgeschehen so stark wächst, ist Gegenstand unterschiedlicher Überlegungen. Einerseits soll sich hier die infektiösere britische Variante früher breit gemacht haben, andererseits haben gerade in Wien und Niederösterreich die Schulen eine Woche früher geöffnet, was ebenfalls einen größeren Effekt haben könnte.

 

Unter 100 liegt die Marke nur in zwei Bundesländern, knapp in Tirol trotz der dort grassierenden vermutlich impfresistenteren Südafrika-Variante, und deutlicher in Vorarlberg. Die am Sonntag vermerkten 72,8/100.000 sind freilich auch schon wieder ein Anstieg. Vor einigen Tagen lag der Wert in Vorarlberg noch nahe an der Wunschmarke von 50.

Das Problem für die Regierung liegt darin, dass der Druck bezüglich Öffnungen in den vergangenen Tagen gestiegen war. Mehrere Landeshauptleute wollten möglichst schon Mitte des Monats die Gastronomie offen sehen. Dazu drängen Sportvereine darauf, Jugendliche wieder ins Training zu lassen, da diese ohnehin in der Schule getestet werden - das freilich mit den nicht sonderlich zuverlässigen Nasenbohr-Tests. Öffnen wollen natürlich auch die Kultureinrichtungen, und der Tourismus hat noch einen Hauch Hoffnung auf ein kleines Ostergeschäft.

Zuletzt war öfter zu hören, dass man zumindest Termine in Aussicht stellen könnte. Nunmehr dürfte man auf einen regionalen Kurs eingeschwenkt sein. Wie weit man hier geht, wird sich wohl erst bei den Beratungen mit den Landeshauptleuten selbst zeigen. Ob Öffnungsbefürwortern wie dem burgenländische Landeschef Hans Peter Doskozil (SPÖ) ein Feldversuch im Westen reicht, gehört zu den interessanteren Fragen der Runde.

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