Wenn Fantasie zur mörderischen Realität wird
Ein 14-Jähriger, der im Streit um ein Videospiel seine Mutter ersticht und ein damals 16-Jähriger, der das siebenjährige Nachbarsmädchen tötet. Zwei aufsehenerregende Mordprozesse, die diese Woche für Betroffenheit gesorgt haben. Was beide Mordfälle abgesehen von der Grausamkeit gemeinsam haben? Laut den psychiatrischen Gutachten über die beiden Täter haben gewaltverherrlichende Computerspiele und Serien in ihrer negativen Persönlichkeitsentwicklung eine massive Rolle gespielt. Wie hoch ist aber das Gefahrenpotenzial gewaltvoller Computerspiele (Ego-Shooter) und Serien?
Bis zu acht Stunden täglich verbrachte der 14-jährige Niederösterreicher damit, am Bildschirm Gegner zu eliminieren. Als die Mutter ihn nach einer schlaflosen Nacht vor dem PC daran hindern wollte in sein Zimmer zurückzukehren, stach er vier Mal auf sie ein.
Während wissenschaftliche Studien zu dem Thema weit auseinander driften, ist sich einer der führenden Experten Österreichs sicher, dass Ego-Shooter-Spiele sehr wohl zu Gewaltausbrüchen bei Jugendlichen führen können.
"Bei Kindern und Jugendlichen mit einer ungesunden psychischen Entwicklung kann sich das Gewaltpotenzial durch solche Videospiele deutlich steigern", sagt Primar Kurosch Yazdi von der Klinik für Psychiatrie mit Schwerpunkt Suchtmedizin am Kepler Universitätsklinikum Linz.
"Wenn bei Jugendlichen vor dem massiven Konsum solcher Spiele eine normale, gesunde psychische Entwicklung da war, können Ego-Shooter zwar süchtig machen, aber wahrscheinlich nicht die Gewalttätigkeit steigern. Anders ist das bei Jugendlichen, deren Stirnhirn zu dem Zeitpunkt nicht ausgereift ist", erklärt Yazdi.
Der präfrontale Cortex, ein Teil der Großhirnrinde, regelt die Kontrolle der Gehirnimpulse. "Er ist beim Menschen erst mit 25 Jahren fertig ausgeprägt. Wenn es bei Kindern Defizite in der Entwicklung des Stirnhirns gibt, können sie Impulse nicht kontrollieren und die Realität nicht von der Fiktion eines Computerspiels unterscheiden", so der Primar, der mehrere Bücher dazu publiziert hat.
Die Folge können gewaltvolle Reaktionen sein. "Wenn ein solches Kind intensiv Ego-Shooter spielt, kann es das Gefühl haben, diese Dinge in der Realität auch zu machen", erklärt der Psychiater. Seine Thesen stützen sich auf die jüngsten, seriösen Studien dazu. Da er um die Sensibilität des Themas Gewaltspiele und ihre Folgen Bescheid weiß, ist es ihm auch wichtig zu betonen, dass der Großteil der spielsüchtigen Ego-Shooter "vermutlich niemals eine Straftat begehen wird."
Dies zeigt die Erfahrung der seit zehn Jahren bestehenden Spielsucht-Ambulanz an der Kepler-Klinik in Linz. "Was wir spüren ist ein massiver Anstieg der spielsüchtigen Kinder. Wenn die Eltern ihnen das Spielen verbieten, kommt es durch den Entzug vielleicht zu einer jähzornigen Reaktion, oder es wird ein Sessel durchs Zimmer geschossen. Aber die meisten werden auch nach zwölf Stunden Ego-Shooter am Tag zu keinen Kriminellen", betont Yazdi.
Was bei mehreren Stunden Computerspielen am Tag massiv unterschätzt werde, sind die Auswirkungen auf Psyche und Physis von Heranwachsenden. Der 14-Jährige, der seine Mutter erstach, litt laut Gutachten unter akutem Schlafmangel, es kam zur Nahrungsmittel-Abstinenz.
Übernatürliche Kräfte
Der Mörder der kleinen Hadishat, Robert K., verbrachte ebenfalls bis zu acht Stunden täglich vor dem PC. Er liebte japanische Anime-Serien, seine Lieblingsserie war "Death Note". Er identifizierte sich mit dem Hauptcharakter der Serie, der übernatürliche Kräfte besaß und "böse" Menschen sterben lassen konnte. "Der Inhalt dieser Lieblings-Mangaserie von Robert K. weist starke Parallelen mit seiner eigenen Wunschvorstellung und Identität auf. Auch er wünscht sich ähnliche übernatürliche Fähigkeiten, mit denen er zugleich die Welt verbessern, aber auch beherrschen kann (...)", hält Expertin Kathrin Sevecke in ihrem Gutachten fest.
Diese Serien seien ein wesentlicher Faktor dafür gewesen, dass er "den Thrill des Tötens erleben wollte". Außerdem würden "die Inhalte und die Art und Weise, wie die Serie gestaltet wurde, in das reale Leben der Konsumenten einwirken."
Außerdem berichtete Robert K. der Sachverständigen, dass er zwei bis drei Computerspiele gleichzeitig spielte.
Sein Kopf, so berichtete Robert K., sei voll von den Fantasiewelten und Gestalten gewesen. Er habe Fantasie und Wirklichkeit oft verschwommen wahrgenommen.
Anlaufstelle
Eltern oder Pädagogen, die sich unsicher sind was Kinder vor dem Computer anstellen, finden bei der Bundesstelle für die Positivprädikatisierung von digitalen Spielen (BuPP) den richtigen Ansprechpartner. Bereits seit 15 Jahren geben die Experten des Familienministeriums Ratschläge zu empfehlenswerten und unbedenklichen Computer- und Handyspielen. "Unserer Erfahrung nach sind nicht Gewaltspiele, sondern das exzessive Spielen das größte Problem bei Jugendlichen", erklärt Herbert Rosenstingl von der Abteilung Jugendpolitik des Ministeriums.
Kommentare