Warum Frauen in den Dschihad ziehen

Junge Schwedin vor ihrem Prozess in Wien: "Ich bin dem Charme der Mudschahedin erlegen".

Laut einer brandaktuellen Studie des deutschen Bundesverfassungsschutzes ist bereits jeder zehnte Terrorkämpfer des Islamischen Staates (IS), der aus Europa kommt, eine Frau. Immer mehr Mädchen suchen sich in Syrien oder im Irak einen Mann oder folgen ihm in den Kampf (Details: siehe unten).

Auch das österreichische Bundesamt für Verfassungsschutz schlägt Alarm, was die gezielte Anwerbung von Mädchen und Frauen durch die Terrororganisation des IS über soziale Netzwerke anbelangt. Die jungen Frauen sollen in den eroberten Gebieten als "Gründungsmütter" fungieren und für Nachwuchs für den Dschihad ("Heiliger Krieg") sorgen.

Was verlockt Mädchen dazu, nach Syrien zu ziehen? Verena Fabris, Leiterin der Beratungsstelle Extremismus, über die Motive (siehe auch Interview unten): "Manche 15-Jährige schwärmen für Brad Pitt, andere für Dschihad-Krieger."

Wobei die Religion eine untergeordnete Rolle spielt. Fabris: "Sie konvertieren nicht zum Islam, sondern in eine Gruppe. Das ist wie bei einer Sekte oder in rechtsradikalen Kreisen, das sind ähnliche Motive. Es ist fast Zufall, wohin sie sich wenden."

Ein klassisches Beispiel, zumindest in den Augen der Wiener Staatsanwaltschaft, ist die 17-jährige Muslimin Nagaad A. aus Schweden: Die Schülerin mit somalischen Wurzeln wurde am 5. Dezember 2015 am Wiener Westbahnhof festgenommen. Sie soll vor ihrer heimlichen Abreise daheim in Linköping eine Art Abschiedsbrief für ihre Mutter hinterlassen haben, dass sie einen Plan habe und diesen ausführen müsse. Ein Cousin alarmierte die Polizei, dass Nagaad unterwegs nach Syrien sei, über eine App am Handy der Abgängigen konnte sie geortet werden.

"Großer Sieg"

Ihre ersten Worte waren: "I have no bomb." Die Polizei fand im Handy der Schülerin Chat-Verkehr mit Personen in halb Europa. Darin drückte sie ihre Freude über "diesen großen Sieg" aus, womit sie die Attentate von Paris meinte: "Ich war sehr glücklich. Gott ist groß, man zahlt Frankreich seine Aktionen in Syrien zurück." Sie kündigte an, losziehen zu wollen, denn "Taten zählen mehr als Worte." Fotos des IS mit Enthauptungen unterschrieb sie mit den Worten: "Wenn sie sich nicht bekehren lassen, darfst du sie töten." Eine Gesprächspartnerin wurde von A. ersucht, für sie in Syrien einen Ehemann zu finden.

Verteidigungslinie

Warum Frauen in den Dschihad ziehen
Dschihadist, Prozess Krems, Terrororganisation, IS, ISIS, Magomed Z., Verteidiger Wolfgang Blaschitz.

Kommenden Donnerstag wird Nagaad A. im Wiener Landesgericht der Terrorprozess wegen Beteiligung am IS gemacht. Ihr Verteidiger Wolfgang Blaschitz hat Fragen des KURIER an die in U-Haft sitzende Schwedin übermittelt. Aus ihren Antworten kann man schon ableiten, worauf Anwalt und Angeklagte beim Prozess hinaus wollen: Nagaad A. gibt sich geläutert.

"Die Gotteskrieger des IS werden im Internet verherrlicht wie Popstars", sagt die offenbar gut vorbereitete Schülerin auf die Frage, was sie am IS begeistere. Und weiter: "Die Propaganda stellt den IS und das allgemeine Leben in Gebieten, die vom IS kontrolliert werden, als erstrebenswert dar. Ich bin ein junges Mädchen und habe kurzzeitig geglaubt, was ich gelesen habe. Jetzt weiß ich, dass das alles Propaganda ist, die nicht stimmt."

"Herumalberei"

Sie habe nie nach Syrien reisen wollen und keinen Mann dort gesucht, das sei nur "Herumalberei in Chats" gewesen: "Ich bin kurzzeitig dem optischen Charme der Mudschahedin erlegen. Ich habe nicht im Entferntesten daran gedacht, was dabei herauskommt", lässt sie durch Blaschitz ausrichten.

Und ihr Jubel über die Attentate von Paris? Hat sie kein Mitleid mit den Opfern? "Es trifft immer Unschuldige. Mit meinen unüberlegten Äußerungen wollte ich nur zum Ausdruck bringen, dass die Kriegsführung im Irak und in Syrien, welche auch von den Franzosen mitgetragen wird, unschuldige zivile Opfer fordert. Sowohl die Opfer der Anschläge in Paris als auch die zivilen Opfer im Irak und in Syrien sind gleich bedauernswert."

Was sie vom Prozess erwartet? "Eigentlich erwarte ich, dass ich freigesprochen werde. Was mir hier vorgeworfen wird, ist in Schweden nicht strafbar, so dass ich erwarte, dass das berücksichtigt wird."

Ihre Eltern kommen zum Prozess nach Wien. Nagaad A. hofft, mit ihnen schnell nach Schweden zurückkehren zu können und will die Schule fortsetzen. Von Österreich hat sie genug: "Nach Österreich werde ich sicherlich nicht wieder zurückkehren."

Rekrutierung Der deutsche Bundesverfassungsschutz hat untersucht, wer vom IS angeworben wird. Laut Experten sind die Zahlen mit Österreich vergleichbar.

38 % Frauen Seit Ausrufung des Kalifats (Juni 2014) stieg der Anteil der Frauen im IS von 21 auf 38 %, davon sind 11 % minderjährig.

Suche nach Ehemann 19 % der Frauen reisen in Heiratsabsicht aus.

Aktuelles in Zahlen

60 % der Frauen folgen binnen zwölf Monaten ab ihrer Radikalisierung dem Ruf des IS, bei den Männern sind es 44 %. Beim Rest dauert es länger.

19 % der Frauen wollen am Kampf teilnehmen, 55 % der Männer.

Verena Fabris ist Leiterin der Beratungsstelle Extremismus, die vor allem Eltern von Kindern mit extremistischen Tendenzen berät.

Warum Frauen in den Dschihad ziehen
Sophie Karmasin, Verena Fabris

KURIER: Warum ziehen junge Frauen in den IS?

Neun Prozent geben an, einen Ehemann zu suchen. Andere wollen einen neuen Staat aufbauen. Ein Mädchen ist beim Aufnahmetest als Kindergärtnerin durchgefallen, andere Mädchen haben gesagt: Geh doch nach Syrien, dort kannst du mit Kindern arbeiten. Für manche Frauen ist es – was man sich schwer vorstellen kann – eine Befreiung: Ich kann Kinder kriegen und Mutter sein, wann ich will. Ich kann Kopftuch tragen, ohne beschimpft zu werden. Es kann auch ein Hilferuf sein.

Sind religiöse Motive ausschlaggebend?

Weniger. Sie konvertieren nicht zum Islam, sie konvertieren in eine Gruppe. Das Gruppenangebot und das Identitätsangebot ist dafür ausschlaggebend. Dort, wo es klare Regeln gibt und sie sich aufgehoben fühlen.

Wie soll man als Eltern reagieren, wenn man die Tendenz zur Radikalisierung bemerkt?

Grundsätzlich sollte man nicht mit Verboten reagieren, also zum Beispiel nicht den Koran zerreißen. Man sollte an Alternativen arbeiten. Das ist wie mit einem drogenkranken Kind: Die Spritze wegsperren ist zu wenig. Aber man schafft das nicht allein, man sollte sich früh genug Unterstützung holen.

Kommentare