„Warum die raschen Festlegungen?“

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Helmut Schüller über Franziskus’ Nein zu Frauenpriesterinnen und Jein zu Homosexuellen

Spätestens seit seinem Besuch beim Weltjugendtag in Brasilien ist er der „Papst der Herzen“, der Pontifex zum Angreifen, der auf die Menschen zugeht und die Botschaft der gelebten Solidarität mit Wärme verbreitet.

Auf dem Rückflug vor einer Woche ließ Franziskus dann, erstmals in seiner bisherigen Amtszeit, mit zwei inhaltlichen Botschaften aufhorchen. Und zwar zu zwei grundsätzlichen, die katholische Kirche aktuell bis fundamental betreffenden Themen:

Auf die Frage nach Homosexualität in der Kirche sprach er davon, dass homosexuelle Neigungen keine Sünde seien („Wer bin ich, zu richten?“), homosexuelle Handlungen aber schon. Und in Sachen Frauen wünscht sich der neue Papst zwar mehr Frauen in Kirchenämtern, die Tür für Priesterinnen sei aber definitiv „geschlossen“.

Erfüllt der Papst damit das Bild, das schon zu Amtsantritt im März von ihm gezeichnet wurde? Ein Kirchenvater, der volksnah ist und mit dem ständigen Selbstbezug der Kirche aufräumen will; einer auch, der die verkrusteten Strukturen (Stichwort: Kurie) aufbrechen wird; einer aber, der in Fragen der Modernisierung und Anpassung der Kirche – etwa: Frauenpriestertum, Kommunion für Wiederverheiratete, Homosexualität – eisern am bisherigen Kirchenkurs festhalten wird, auch, weil er ganz andere Prioritäten hat?

Der KURIER sprach mit Helmut Schüller, dem Leiter der österreichischen Pfarrerinitiative. Er setzt sich, nicht nur zur Behebung des Priestermangels in der katholischen Kirche, für Frauen als Priesterinnen ein und tourt mit seinen Liberalisierungsbotschaften gerade durch die USA (der KURIER berichtete). Dort forderte er zuletzt sogar die Anerkennung der Homo-Ehe.

KURIER: Herr Schüller, haben Sie während Ihrer USA-Tour auch den Papst-Besuch in Brasilien verfolgt?

Helmut Schüller: Im Fernsehen und in den Zeitungen. Es waren sehr viele Leute da, und für die war das ein großes Erlebnis – das war eine wichtige Begegnung.

Danach hat Franziskus erstmals zu Homosexualität gesprochen: Die Neigung sei keine Sünde, der Akt schon.

Wohlwollend kann man registrieren: Das ist der Versuch eines freundlicheren Tones und von mehr Respekt beim Reden über Homosexuelle. Aber es geht eben nicht nur um mehr Respekt oder tolerieren oder Barmherzigkeit, sondern es geht um Gerechtigkeit. Da warten wir nach wie vor auf eine wirkliche Annäherung und Öffnung der Kirche für diese Menschen.

Aber der Papst sagte auch, diese Menschen seien nicht auszuschließen, sondern in die Gesellschaft zu integrieren.

Die Gesellschaft braucht da nicht die großen Anweisungen. Die Frage ist ja, was die Kirche tut.

Sein Vorgänger Benedikt XVI. hat noch festgelegt, dass Männer mit homosexueller Neigung nicht Priester werden sollen. Erwarten Sie, dass sich das jetzt ändert?

Da könnte sich etwas ändern, das ist zumindest denkbar. Und das wäre ein Schritt nach vorne.

Hat das zu tun mit ohnehin immer wieder bekannt werdenden Fällen von Homosexualität in der Kirche?

Möglich, weil offenbar eine ganze Reihe von Menschen mit homosexueller Orientierung im Amt und auch im Vatikan tätig ist. Über die bisher nicht gesprochen werden durfte.

Zum Thema Frauen sagte der Papst, mehr Ämter ja, aber die Tür zum Priesterinnenamt bleibt definitiv geschlossen. Wie bewerten Sie das?

Wir stellen uns hier schon die Frage: Wer hat sie geschlossen? Es steht ja im Zweifel, ob die seinerzeitige Entscheidung Papst Johannes Paul II., diese Tür für immer zu schließen, die Vorbedingungen erfüllt hat, nämlich die Involvierung der Bischöfe der Weltkirche – das wäre nach dem Kirchenrecht bei so einer gewichtigen Frage erforderlich gewesen.

Aber diese Frage und die Frauenfrage grundsätzlich ist damit jetzt beendet, oder?

Fragen kann man nur mit Antworten beenden, die verstanden werden. Und diese Frage ist nicht verständlich beantwortet.

Weil?

Weil wir immer mehr über die Anfänge der Kirche wissen: Natürlich hat es Frauen in Leitungsämtern der frühen Kirche gegeben. Und das Argument, dass es das bei Jesus nicht gegeben hat – würde die Kirche immer nur tun, was Jesus getan oder nicht getan hat, dann würde die Kirche ganz anders ausschauen. Und in der Bibel steht, Mann und Frau sind Ebenbild Gottes, ohne Zwischenebenen und Abstufungen – das ist die Botschaft, die wir zu verkünden haben. Und wie sollen wir das glaubwürdig tun auf Dauer, ohne dass beide gleichberechtigt repräsentiert sind? Abgesehen davon, dass der überwiegende Teil der pastoralen Dienste heute von Laien getan wird, und davon sind wieder ein ganz großer Teil Frauen.

Der neue Papst geht auf die Menschen zu und will Strukturen der Kirche ändern, bleibt aber in zentralen Fragen hart – hat sich dieses Bild durch seine Aussagen bestätigt?

Wir haben noch keine länger in die Zukunft deutende Zeichen, dass es wirklich in Richtung Wechsel und systemische Veränderungen geht.Wir haben viele Symbole und Gesten und Signale, die Hoffnung wecken, aber die Frage ist: Wird er dazu übergehen, daraus Veränderungen zuzulassen? Bisher sind seine Aussagen immer sehr kurz, eher Soundbites zu einzelnen Themen – da kann man beides, Veränderung oder nicht, herauslesen.

Das heißt, es gibt noch zu wenig Grundsätzliches aus seinem Mund?

Man fragt sich zumindest: Kann er nicht für sich beanspruchen, sich Zeit zu lassen, die Themen genauer zu evaluieren? Wir wundern uns ein bisschen über die raschen Festlegungen, Die hoffentlich nicht wirklich endgültige Festlegungen sind, sondern die Unsicherheit zu Anfang des Pontifikats widerspiegeln. Oder die Verwirrung in Rom.

Sie sind noch nicht entmutigt?

Nein. Da vertraue ich, etwa beim Thema Frauen auf die Dynamik der Zeit, darauf, dass sich Kirchenführer heutzutage einfach mit der öffentlichen Meinung auseinandersetzen müssen. Das Thema ist nicht einfach beendbar.

Wird die Pfarrerinitiative ihre Forderungen an den neuen Papst herantragen?

Nicht alleine, wir werden im Herbst bei einem internationalen Treffen der Pfarrerinitiativen Deutschlands, Irlands, Frankreichs, der USA und anderer darüber beraten, wann die Zeit dafür reif ist.

„Ich war ehrlich überrascht und erfreut, als der Papst auf Nachfrage bewusst zur Homo-Ehe geschwiegen hat“, meint Pater Udo Fischer, Chefredakteur der Neuen Kirchenzeitung JA. „Das zeigt, dass er sich zu diesem Thema nicht festlegen will.“

Pater Udo ist ein scharfer Kritiker der festen katholischen Regeln und für seine liberalen Überzeugungen bekannt. Er glaubt zu wissen, warum der Papst im Moment noch mit eher verhaltenen Aussagen aufmerksam macht: „Papst Franziskus hat bislang noch keine Personaländerungen vorgenommen. Er weiß, dass die Kardinäle um ihn herum zum Teil sehr konservativ sind. Ich rechne damit, dass er ab Herbst Leute um sich haben wird, denen er vertraut. Erst dann besteht für ihn die Möglichkeit für Reformen.“

Auch das leidige Thema der Frauen im Priesteramt ist für Pater Udo noch nicht vom Tisch. „Der Papst sagte, dass die Tür geschlossen sei. Aber eine Tür kann man wieder öffnen. Die Tatsache, dass das Kirchenoberhaupt auch immer wieder Gespräche mit sogar geschiedenen Frauen führt, zeigt seine offene Einstellung.“

Außerdem sei schon nach der relativ kurzen Amtszeit von Papst Franziskus der Unterschied zu Johannes Paul II und Benedikt XVI erkennbar: „Ich glaube, dass der neue Papst den Problemen unserer Zeit offener gegenübersteht als seine Vorgänger. “

Maßnahmen im Alltag

Zwar scheint der Papst behutsam in liberale Gefilde vorzudringen, Vertreter der Homosexuellen-Community bleiben aber vorerst skeptisch. Schwule und Lesben sollen nicht verurteilt werden, der „homosexuelle Akt“ sei aber eine Sünde.

Der Wiener Antidiskriminierungsbeauftragte für Homosexuelle, Wolfgang Wilhelm: „Homosexualität ist eine Form der Liebe – nicht nur ein Geschlechtsakt. Der Papst meint, dass man zwar Hunger haben darf, aber nicht essen soll.“ Die Ansätze seien gut, es brauche aber Maßnahmen die den Alltag Homosexueller betreffen. „Im Staat gibt es das Antidiskriminierungsgesetz, das Ungleichbehandlung verhindert. Ein schwuler Lehrer kann problemlos unterrichten. Würde der selbe Lehrer an einer katholischen Schule arbeiten, müsste er sich verstecken. Innerhalb der katholischen Kirche gibt es das Recht zu diskriminieren.“

Besonders verbreitet sei diese Problematik in katholischen Pflegeheimen. Homosexuelles Personal muss dort oft ein Doppelleben führen.

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