Vom Schicksal getroffen: Familien vor dem Ruin

Gotsdorf
Die Schäden, die das Hochwasser in Österreich angerichtet hat, sind für viele Familien existenzbedrohend.

Geschirrspüler? In den Kübel. Kühlschrank? In den Kübel. Waschmaschine? In den Kübel. Wäschetrockner? In den Kübel.“ Als Manfred Nimführ durch das Chaos stapft, das das Hochwasser in seinem Restaurant und Privathaus in Persenbeug-Gottsdorf im niederösterreichischen Bezirk Melk angerichtet hat, bleibt wenig übrig, das nicht in den „Kübel“ kommt. Der „Kübel“, das ist ein 40 Kubikmeter großer Sperrmüllcontainer, der vor dem Haus von Familie Nimführ steht. Zwei Mal war er schon voll. „Und wahrscheinlich werden wir ihn noch zwei Mal anfüllen müssen“, sagt Eva Nimführ und zündet sich eine Zigarette an: „Zehn Jahre habe ich nicht geraucht, aber am Montag hab ich wieder angefangen.“

Denn am Montag hat das Schicksal bei der Familie zugeschlagen. Schon wieder.

Im Jahr 2002, beim letzten „Jahrhunderthochwasser“, verlor die Familie zum ersten Mal alles. „Wir haben damals kurz davor den gesamten Betrieb renoviert und im Juni neu eröffnet“, erzählt Eva Nimführ. Die Stimme stockt. „Im August war alles hin.“ 800.000 Euro Schaden verursachte das Hochwasser damals, an den Kreditraten für die Renovierung danach zahlt die Familie noch heute. Und seit Montag ist wieder alles hin.

Neubeginn

Über einen Meter hoch stand das Wasser im Restaurant direkt an der Donau. Die Schankanlage ruiniert, ebenso sämtliche Küchen- und Haushaltsgeräte. Keine Heizung, kein Strom. Ein Totalschaden, der in die Millionen geht. „Wir haben nicht einmal warmes Wasser, um uns zu duschen“, erzählt Eva Nimführ. Freunde haben die Familie jetzt zum Duschen eingeladen.

„Wenn man den Dreck und die Verwüstung sieht, fühlt man sich ohnmächtig und hilflos“, erzählt Eva Nimführ. Wieder muss die Familie von Null beginnen. Ob man es sich in solchen Situationen nicht überlegt wegzugehen? „Unsere Existenz ist bedroht. Aber ich bin hier aufgewachsen und verwurzelt“, sagt Eva Nimführ. Seit 90 Jahren besteht der Familienbetrieb. „Das hier ist meine Donau. Und sie ist Fluch und Segen zugleich.“

Was bleibt? „In solchen Situationen merkt man , wer seine wahren Freunde sind.“

Trauer. Das ist das eine Gefühl. Trauer, dass man ohne den geliebten Ehemann und Vater weiterleben muss. „Ich denke mir immer, jetzt kommt gleich der Papa heim“, sagt Tochter Christina.

Sorge. Das ist das andere Gefühl. Sorge, wie man ohne den Menschen, der die Familie ernährte, weiterleben soll. „Mama, ich geb’ dir das Geld, das ich als Friseur-Lehrling verdiene“, sagt die 16-Jährige.

Taxenbach im Salzburger Pinzgau. Einige Einwohner haben beim Hochwasser ihr Hab und Gut verloren, doch Meinrad Hofer verlor sein Leben. Die Hinterbliebenen, Ehefrau Heidi (39) und vier Kinder im Alter zwischen zehn und 22 Jahren, stehen vor dem Nichts; sie fürchten, den Bauernhof, den sie erst vor zwei Jahren hergerichtet haben, aufgeben zu müssen.

30 Kühe und sechs Pferde sicherten der sechsköpfigen Familie die Existenz; zusätzlich räumte der 48-Jährige gegen Geld höhere gelegene Wege. Diese Arbeit wurde ihm zum Verhängnis. Gegen 23 Uhr verließ Meinrad Hofer vergangenen Samstag das Haus, um im Trattenbachtal einen Schacht zu putzen. Da löste sich eine Mure und riss ihn mit. „10.000 Kubikmeter Geröll kamen runter“, erzählt die Familie. Der Traktor wurde gefunden, Hofer nicht.

Ehefrau Heidi klammert sich noch an die Hoffnung, dass man ihren Mann lebend birgt. „Ausgeschlossen“, sagen die Einsatzkräfte. Heidi Hofer lässt dennoch jeden Abend die Haustüre unversperrt – für den Fall, dass er heimkommen sollte.

Noch jemand kam am vergangenen Samstag in Taxenbach nicht nach Hause: Evelyn Kaserer. Ihr Auto wurde in einen Bach gedrückt. Beim Aussteigen ging die 23-Jährige in den Fluten unter; auch sie wird noch vermisst. Evelyn Kaserer hinterlässt die dreijährige Tochter Isabel.

In Taxenbach wurde ein Hilfskonto für alle Flut-Opfer eingerichtet. Wer speziell für eine der beiden Familien, spenden will, fügt die Namen „Hofer“ oder „Kaserer“ an.

SPENDEN: Raiffeisenbank Taxenbach, Blz: 35064, Konto-Nr.: 204800

Mitten in der Nacht auf Sonntag erhält Christine Plangger eine SMS von ihrer 10-jährigen Nichte: „Bach geht über, bitte Hilfe.“ Die 37-Jährige ist gerade auf einem Vereinsausflug in Vorarlberg. Ihre Kinder Lisa (10) und Dominik (8) sind zuhause in Kössen. Die Großeltern der zwei, die im Haus der Alleinerzieherin wohnen, passen auf. In unmittelbarer Nachbarschaft leben die zwei Schwestern von Plangger und auch die Nichte von der das SMS kommt. Nach dieser Nacht werden die drei Häuser der Familie bis zum ersten Stock unter Wasser stehen – sowie Hunderte im Ortsteil Erlau.

Dramatische Telefonate

„Ich habe im Viertelstundentakt mit meinen Kindern telefoniert. Sie haben mir immer gesagt, wie hoch das Wasser schon steht“, erzählt die Krankenschwester. Ihre Kinder sieht sie erst Sonntagmittag wieder. Als der Reisebus mit dem Verein die Unterländer Gemeinde über Schleichwege erreicht, sind Lisa und Dominik bereits mit einem Boot in Sicherheit gebracht worden.

Wie groß die Schäden am Gebäude sind, weiß Christine Plangger noch nicht. Doch als Alleinerzieherin steht ihr ein finanzieller Kraftakt ins Haus. „Jetzt kommt wieder ein Packerl drauf.“ Laut Gemeinde gehört die Familie zu den Härtefällen. Schlimm ist die Situation auch für Planggers Eltern. Die Pensionisten leben im Erdgeschoß und haben alles verloren. Christine Plangger denkt wie viele Flutopfer: „Besser das Haus wäre abgebrannt, dann zahlt wenigstens die Versicherung.“

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