Unterführung statt Kreuzung

Bergung des Wracks Mittwochabend: Der Tod von vier Steirern bringt Bahnübergänge in Diskussion
Unglück: Der Tod von vier Steirern entfacht eine Diskussion über Bahnübergänge.

Neben dem Bahnübergang brennen Kerzen, wie man sie sonst nur auf Gräbern findet. Freunde der Opfer haben sie Donnerstagfrüh aufgestellt: Mittwochabend starben zwei Ehepaare aus Deutschlandsberg, als ihr ausgeliehener Wagen auf einem Bahnübergang in Hollenegg von einem Zug gerammt wurde.

Die Ehepaare Eva und Günther L. sowie Ewald und Maria P. waren befreundet und unterwegs zu einem gemeinsamen Abendessen in ein weststeirisches Lokal. Wer der vier am Steurer gesessen hatte, lasse sich nicht mehr klären, schildern Polizeibeamte, zu heftig waren der Aufprall und die Folgen: Der SUV wurde 40 Meter weit durch die Luft geschleudert, als der Zug der Graz-Köflacher-Bahnen (GKB) ihn mit 80 km/h erfasste.

Die Strecke ist für 90 km/h zugelassen, der Übergang auf der Gemeindestraße mit Andreaskreuz und Stop-Schild ausgewiesen. Der Lokführer, 32, habe keine Chance gehabt, die tonnenschwere Garnitur rechtzeitig anzuhalten, beteuert Peter Stoeßl von den GKB.

Dennoch hat das Verkehrsministerium eine sogenannte "sicherheitstechnische Untersuchung" in Auftrag gegeben. Das soll den Unfallhergang klären, vor allem, um Empfehlungen für ähnliche Bahnübergänge geben zu können.

Solche Empfehlungen kommen aber bereits von Verkehrsexperten: Peter Felber vom Kuratorium für Verkehrssicherheit rät, die Anzahl der Bahnkreuzungen zu überdenken.

"Man muss schauen, ob die alle nötig sind. Es ist den Autofahrern heutzutage zumutbar, einen kleinen Umweg zu fahren, dafür aber einen technisch besser ausgerüsteten Bahnübergang vorzufinden."

Das könnten Schrankenanlagen sein, am sichersten und hochwertigsten wären freilich Unterführungen. "Die bieten die höchste Sicherheit, aber das wird nicht überall möglich sein", betont Felber.

Allein auf der 92 Kilometer langen Strecke der GKB zwischen Wies-Eibiswald, Graz und Köflach finden sich 129 Eisenbahnkreuzungen, also alle paar hundert Meter ein Übergang. Sieben sind mit Schranken gesichert, 64 haben Lichtzeichen. Anhand der Dichte der Kreuzungen erkläre sich auch das Tempo, mit dem Züge über die Kreuzungen fahren, glaubt GKB-Sprecher Stoeßl: Es sei nicht möglich, überall auf 30 km/h zu reduzieren. "Da würden sich die Pendler bedanken."

Verkehrsexperte Felber mahnt Autolenker aber generell zur Vorsicht. Denn je bekannter und vertrauter eine Strecke, desto nachlässiger sei man: In einer Studie aus dem Vorjahr gab die Hälfte der befragten Lenker an, schon einmal bei der Überfahrt einer Bahnkreuzung riskant unterwegs gewesen zu sein. Ein Viertel betonte, dass bei Routinefahrten über Bahnübergänge ihre Aufmerksamkeit nachlasse.

Der Tod der zwei Ehepaare, die jeweils einen erwachsenen Sohn hinterlassen, lässt aber auch das Land Steiermark reagieren. Alle zwölf Jahre müssen Eisenbahnkreuzungen evaluiert werden, die Unglücksstelle in Hollenegg wird nun vorgezogen.

36 schwere Unfälle mit Zügen gab es 2012. Im Jahr davor waren es nur 22 und in den drei Jahren davor jeweils gerade einmal sieben bis neun gewesen. Für das Vorjahr gibt es noch keine genauen Zahlen zu den abgeschlossenen Berichten der Bundesanstalt für Verkehr.

Gleichzeitig steigt die Zahl der Privatbahnen, die in Österreich unterwegs sind. Erst am Donnerstag wurden wieder zwei Strecken in NÖ ausgeschrieben. Und diese Privatunternehmen sind überproportional oft in Vorfälle und Unfälle verwickelt. Von den Türproblemen der Westbahn bis zum Millionenschaden am Brenner zu Wochenbeginn sorgten die Privatbahnen zuletzt für immer mehr Schlagzeilen. Bei dem Unfall diese Woche war ein 24-jähriger ostdeutscher Lokführer involviert, der bereits auf der schwer zu fahrenden Brennerstrecke unterwegs war. Insider führen die hohe Zahl der Vorfälle mit Privatbahnen auch auf mangelnde Ausbildung der Lokführer zurück.

"Jedes Bahnunternehmen hat eigene Ausbildungskriterien. Das ist auch eines unserer Hauptthemen", bestätigt Rudolf Kaiser von der Bahngewerkschaft. "Die Ausbildung kostet Geld und da versucht man zu sparen." Denn gerade die privaten Unternehmen stehen unter Kostendruck. "Dazu kommt Druck auf das Personal wegen der Arbeitszeit." So sei es bei grenzüberschreitender Fahrt möglich, dass ein Lokführer in Deutschland acht Stunden am Führerstand sitzt und in Österreich noch einmal.

Bei den ÖBB ist das weitaus strenger, allein die Ausbildung zum Lokführer dauert 37 Wochen.

Weder baulich noch technisch verändert wurde bisher jener unbeschrankte Bahnübergang bei St. Peter am Hart im Bezirk Braunau (OÖ), auf dem kurz vor Weihnachten eine Mutter und ihre elfjährige Tochter getötet wurden. Wie berichtet, hatte die 29-jährige Kathrin B. einen herannahenden Zug übersehen. Ihr Renault Espace, in dem sich ihre Töchter Laura und Alida befanden, wurde von der Lok erfasst und 600 Meter weit mitgeschleift. Während die neunjährige Laura den Unfall schwer verletzt überlebte, waren ihre Mutter und ihre Schwester auf der Stelle tot.

Wenige Tage nach der Tragödie besuchten Verkehrslandesrat Reinhold Entholzer (SPÖ) und ÖBB-Regionalleiter Helmut Windhager die Unfallstelle. "Der Bahnübergang entspricht den Vorschriften", sagte Entholzer damals. Windhager meinte, dass eine Unterführung die beste Lösung sei und verwies auf Pläne der ÖBB, die Zahl der unbeschrankten Bahnübergänge entlang der Mattigtalbahn zu verringern.

Wann und ob die Unfallstelle entschärft wird, ist offen. "Eine Lösung gibt es nur im Rahmen eines Konzepts für die gesamte Strecke", hieß es am Donnerstag aus dem Büro Entholzer. Die Maßnahmen seien im Herbst beschlussreif – und teuer. Eine Lichtanlage koste rund 300.000, eine Unterführung mehrere Millionen Euro.

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