Tempo 100: Mit dem Auto wie auf Schienen fahren

Tempo 100: Mit dem Auto wie auf Schienen fahren
Disziplinierter Start des Dauer-"Hunderters" in Tirol. Streit um Strafen für E-Fahrzeuge.

Bei der Autobahnauffahrt Innsbruck-Mitte steigt der Fuß aufs Gaspedal. Dann übernimmt der Tempomat. Rund um die Tiroler Landeshauptstadt gilt Tempo 100, das auf der Fahrt nach Kufstein nahtlos in den „Luft-Hunderter“ übergeht. Der wurde bislang nur in Kraft gesetzt, wenn die Schadstoffbelastung bestimmte Schadstoff-Grenzwerte überschritten hat. Seit Donnerstag gilt Tempo 100 für Pkw auf weiten Teilen von Tirols Autobahnen ständig. Rund 90 Kilometer führen durch Luftsanierungsgebiet, in denen der 100er auf Grundlage des Immisionschutzgesetzes-Luft (IG-L) verordnet wurde.

Am Tag eins der Maßnahme scheinen sich die Verkehrsteilnehmer an die Tempobremse zu halten. Der Fahrspaß tendiert gegen null, der Stress aber auch. Gas und Bremse kommen nur bei Baustellen zum Einsatz. Oder wenn Temposünder die Überholspur blockieren und man hinter den langsamer fahrenden Lkw feststeckt. Ansonsten herrscht das Gefühl vor, wie auf Schienen zu fahren. Die Fahrzeuge sind wie auf einer Perlenkette aufgezogen. Autos schieben sich gemächlich am 20 km/h langsameren Schwerverkehr vorbei. Auf 67 Kilometern der Strecke von Innsbruck nach Kufstein gilt der „Luft-Hunderter“. Bei der Autobahnabfahrt weist das noch auf 130 km/h geeichte Navi einen Zeitverlust von sechs Minuten auf.

Kritik

Kritik am Luft-Hunderter kommt vom ÖAMTC. Der meint unter anderem, dass Schadstoff-bedingte Tempolimits für Pkw, die keine Stickoxide ausstoßen, nicht erklärbar seien. In Salzburg hat sich um diese Frage bereits ein Rechtsstreit entsponnen: Dietmar Emich, Geschäftsführer von „ElectroDrive“, fuhr auf der Salzburger Stadtautobahn im Frühling während des Probezeitraums für den „Luft-Achtziger“ mit seinem Elektroauto absichtlich 96 statt 80 km/h. Und wurde geblitzt. Die Geldstrafe wurde auf seine Beschwerde hin zurückgenommen; es blieb bei einer Verwarnung.
Emich kämpft aber weiter: Der Fall liege bereits beim Landesverwaltungsgerichtshof. „Es liegt ein gravierender Fehler im Gesetz vor. Ich trage das bis in die höchste Instanz, wenn es sein muss.“

E-Autos stoßen bekanntlich keine Schadstoffe aus, sind also eigentlich vom IG-L ausgenommen. Nur: Bei Tempolimits werden Schnellfahrer trotzdem gestraft. Argumentiert wird mit der Verkehrssicherheit.

Weniger Unfälle beim Tempo 100 erhofft sich auch Tirols Umweltlandesrätin Ingrid Felipe (Grüne). Erhebungen hätten gezeigt, dass bereits der flexible Hunderter die Unfallzahlen um ein Viertel reduziert hat. Doch das ist nur ein willkommener Nebenaspekt. Vorrangig soll die Luftqualität verbessert werden. Tempo 100 gilt der Tiroler Landesregierung als „Eintrittskarte“ für die Wiedereinführung des sektoralen Fahrverbots für Lkw.

Das hat die EU 2011 gekippt.Vor so einer rigorosen Einschränkung des Warenverkehrs müssten zuerst alle anderen möglichen Maßnahmen zur Verbesserung der Luftqualität geprüft und gesetzt werden, hieß es. Mit dem Verbot könnten rund 200.000 Lastwagen, die nicht verderbliche Güter transportieren, auf die Schiene verbannt werden.
Felipe erhofft sich die „größte Entlastung vom Transitverkehr seit dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union“.

Verschärfte Kontrollen

Im Herbst 2015 soll das sektorale Fahrverbot erneut verordnet werden. Bis dahin läuft der permanente „Lufthunderter“ im Probebetrieb. Den will die Landesverkehrsabteilung „laufend kontrollieren“, heißt es auf Nachfrage. Man werde zunächst beobachten, wie sich das Fahrverhalten entwickelt und dann immer wieder Intensivphasen der Überwachung starten. „Dabei soll aber auch kontrolliert werden, ob sich die Lkw an die 80 km/h bzw. 60 km/h in der Nacht halten“, sagt ein Polizeisprecher.

Verstöße gegen den „Lufthunderter“ gehen ins Geld. Sie sind teurer als Überschreitungen des normalen Tempolimits. 30 km/h zu schnell kosten in einer Tiroler IG-L-Zone z.B. 80 statt 50 Euro.

Teures Tempovergehen

Noch saftiger sind die IG-L-Strafen in Oberösterreich, wo seit 2007 ein flexibler „Lufthunderter“ auf der Westautobahn (A1) zwischen Enns und Linz gilt. Eine Überschreitung ab 25 km/h schlägt mit 100 Euro zu Buche. Jedes Jahr werden über zwei Millionen Euro von Temposündern einkassiert. Für Fahrer von E-Fahrzeugen gibt es auch in OÖ keine Gnade. „Wird jemand mit dem Elektroauto geblitzt, machen wir keine Ausnahme“, sagt Manfred Hageneder, Bezirkshauptmann von Linz-Land. Manche würden die Anonymverfügung hinterfragen. „Bezahlt hat bisher aber noch jeder."

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