Tauchen bis zum letzten Atemzug

Geschafft: Christian Redl tauchte auf 5160 Meter zwei Minuten lang unter Wasser.
Apnoe-Taucher Christian Redl über tödliche Gefahren, Glückshormone und Getriebenheit.

Als Sechsjähriger bekam Christian Redl vom Onkel zu Weihnachten Flossen und Taucherbrille geschenkt. Von da an verbrachte der Bub jede freie Minute unter Wasser – zuerst im Neufelder See, später im Meer vor Kroatien und Griechenland.Mit zehn Jahren begann er im Pool der Eltern mit Flasche zu tauchen, mit 17 Jahren sah er den Taucher-Film „Im Rausch der Tiefe“ und wusste: „Das will ich auch.“ Dennoch ergriff Redl einen Schreibtisch-Job; in der Wertpapierabteilung einer Großbank jonglierte er jahrelang mit Aktien – und wieder war ein Film daran schuld: Diesmal war es „Wallstreet“ mit Michael Douglas.

Im Alter von 30 Jahren musste er sich entscheiden: Bank oder Sport? Sicherer Job oder unsicheres Hobby? „Denn beides funktioniert auf Dauer nicht.“ Also rief er Felix Baumgartner an: „Er war der Einzige auf dem Planeten, der sagte: ,Werde Profisportler.‘ Zum Glück habe ich auf ihn gehört.“Also wagte der Nieder­österreicher den Sprung ins sprichwörtlich kalte Wasser. Seitdem stellte der 36-Jäh­rige unzählige Weltrekorde auf: Er tauchte unter Eis mit nur einem Atemzug 61 Meter tief (2011) und 100 Meter weit (2010). Er segelte mit einem aufblasbaren Katamaran 1000 Kilometer über das Mittelmeer. Und eben erst kam er vom Himalaja zurück, wo er in den Gokyo-Seen auf 5160 Meter Höhe als erster Mensch tauchte. Der KURIER traf ihn in Salzburg.

KURIER: Auf Ihrer Homepage steht unter Beruf: Taucher, Tauchlehrer, Stuntman, Model, Moderator, Vortragender. Von welchem Job leben Sie?Christian Redl: Von allen Einnahmequellen. In Österreich gibt es nur ganz wenige Extremsportler wie den Felix Baumgartner, die davon leben können.

Vielleicht deshalb: Millionen Menschen sahen Baumgartners Sprung. Wenn Sie tauchen, sind Sie zwei Minuten lang alleine unter dem Eis.Stimmt. Keiner kann es live miterleben – und keiner kann es nachvollziehen. Es ist schwer zu transportieren, welche Belastung das ist.

Ist die körperliche oder die geistige Belastung größer?Streckentauchen unter Eis ist eher ein mentales Problem. Es ist stockdunkel, eiskalt und man weiß, man kann nicht auftauchen. Beim Tieftauchen kommt die körper­liche Belastung dazu: In 100 Meter Tiefe lastet ein Druck von elf Bar auf meinem Körper – das ist das Vierfache eines Autoreifens. Die Lunge schrumpft in dieser Tiefe auf die Größe einer Orange und füllt sich mit Flüssigkeit.

Man muss doch verrückt sein, so etwas zu tun.Wir Extremsportler sind keine Spinner, sondern Visionäre. Wir sind auch keine Adrenalinjunkies, sondern penibel, berechnend und analytisch. Ich bereite mich sechs Monate lang für einen zweiminütigen Tauchgang vor. Das ist der Unterschied zu Hobbysportlern.

Aber um als Sportler noch mediale Aufmerksamkeit zu erlangen, müssen die Rekordversuche immer waghalsiger werden.Sponsoren wollen Erfolgsstorys, da wäre es nicht in ihrem Sinn, wenn ich im Rollstuhl sitze oder tot bin.

Taucher Herbert Nitsch befindet sich nach einem Tauchgang auf 244 Meter noch immer auf Rehabilitation.Das war sein Fehler. Er hat im Vorfeld gesagt, die Chancen stehen bei 50 Prozent. Das kann man nicht tun. AlsExtremsportler braucht man 90 Prozent Sicherheit.

Was ist die größte Gefahr beim Apnoe-Tauchen?Dass man bewusstlos wird, weil der Körper zu wenig Sauerstoff bekommt. Wenn man da alleine ist, tritt nach eineinhalb Minuten der Herzstillstand ein.

Waren Sie schon bewusstlos?Ja, bei einem Rekordversuch im Zeller See habe ich beim Auftauchen das Bewusstsein verloren. Aber ich bin nicht lebensmüde, ich habe immer Rettungstaucher im Wasser und Ärzte auf dem Eis. Es war mein Fehler, ich war schlecht vorbereitet und habe mich selbst überschätzt.

Wie muss man sich auf einen Rekord-Tauchgang vorbereiten?Monatelang viel schwimmen und Luft anhalten. Unmittelbar vor dem Tauchgang unter Eis gibt es ein Zeitfenster von nur zwei Minuten, dann ist der Körper zu unterkühlt für einen Start. In dieser Zeit muss ich mit ein paar Atemzügen meinen Puls auf 25 Schläge reduzieren.

Sie sind 36 Jahre alt. Wie lange wollen Sie noch tauchen?Tauchen werde ich bis zum letzten Atemzug. Aber Rekorde aufstellen geht nur noch zwei, drei Jahre. Nach einem Rekord ist man voll mit Glückshormonen. Doch diese Phasen werden immer kürzer. Und man fragt sich: Wo sind die geilen Hormone hin? So bleibt man ewig ein Getriebener.

BiografieChristian Redl wurde am 21. April 1976 in Moosbrunn (NÖ) geboren.Spitzname: Der Eismann. Vorbild: Felix Baumgartner. Motto: Geht nicht, gibt’s nicht.

RekordAm 17. Oktober 2012 gelang Redl in Nepal der höchstejemals absolvierte Freitauchgang. Zwei Minuten blieb er in einem der sechs Gokyo-Seen im Himalaja unter Wasser.Die Seen befinden sich auf bis zu 5160 Meter Höhe und sind Hindus heilig.

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