"Österreich ist ein Brückenkopf"

Bettler, Bettler in Wien
Rumänen drängen nach Österreich: Viele müssen als Bettler und Prostituierte arbeiten.

Österreich wird immer stärker zum Zielland von Menschen aus Südosteuropa. Die soziale Armut treibt vermehrt Rumänen ins Land (siehe Zusatzbericht unten). Die Folge sind vermehrte Bettelei. „Die Fahrt nach Wien-Erdberg kostet 30 bis 50 Euro, ein Bettler kann pro Tag 200 bis 300 Euro verdienen“, berichtet ein Polizist. Vor allem die Innenstädte und die Einkaufsstraßen sind ein sehr beliebtes Pflaster geworden.

Auch 600 der 3200 in Wien registrierten Prostituierten stammen aus dem Balkanstaat. Auf dem Straßenstrich sind sie ebenfalls aktiv. Zu niedrigsten Preisen bieten sich die Frauen an den Stadträndern von Salzburg oder Linz an.

„Das Problem ist ein gesellschaftliches, mit polizeilichen Methoden alleine kann man das nicht lösen“, betont Wolfgang Langer, Leiter des Referats für Prostitutionsangelegenheiten.

Massenquartiere

Nicht nur in ihrer Heimat leben die Ärmsten der Armen Europas unter menschenunwürdigen Bedingungen. Der Wiener Polizist des Jahres, Herbert Schwarz, hob innerhalb eines Jahres 74 Massenquartiere in Wien aus. Schwarz berichtete gegenüber dem KURIER von schlimmsten Zuständen: „Menschen müssen ohne Sanitärräume am nackten Boden schlafen.“

Die Rumänen und mit Abstrichen auch Bulgaren treten verstärkt als Bettler und Musikanten in den öffentlichen Verkehrsmitteln auf. „Es gibt viele Beschwerden, aber auch Leute, die gerne etwas geben und kritisieren, wenn zu hart durchgegriffen wird“, sagt Dominik Gries von den Wiener Linien. Zwar würden deren Mitarbeiter die Bettler hinauskomplimentieren, aber längerfristigen Nutzen habe es nur, wenn Polizei und Magistrat bei Großkontrollen mit dabei sind.

Auch bei der Kriminalität wirkt sich die Entwicklung aus. Erst vor einer Woche sorgte die Entführung einer Rumänin für Aufsehen, sechs Personen sind deswegen schon in Haft. In Salzburg gibt es einen Mordverdacht, in Wien den Mordversuch eines Bettlers, wobei die Herkunft noch unklar ist.

Laut Bundeskriminalamt werde die Lage wegen der zunehmenden Armut in diesen Ländern brutaler, auch drängen verschieden Clans immer stärker in die Zuhälterei, sogar Familienmitglieder werden der Prostitution zugeführt. Bei Einbrüchen haben Rumänen bereits einen Anteil von 13 Prozent – mehr als die zuletzt aktiven Serben. Auch beim „Neffentrick“ sind sie führend. „Kriminalität hat kein Mascherl“, will Johann Golob, Sprecher der Wiener Polizei, das nicht überbewerten. „Mal sind mehr Serben aktiv, mal mehr Rumänen und dann wieder mehr Inländer.“ „Aus Solidarität zu anderen EU-Staaten haben wir uns des Themas angenommen. Wir müssen auf das Problem aufmerksam machen, bevor es eskaliert“, sagt hingegen Innenministerin Johanna Mikl-Leitner.

„Viele werden mit Gerüchten angelockt, dass sie im goldenen Europa arbeiten können“, sagt Martin Strecha-Derkics von der Caritas. „Österreich ist dabei ein Brückenkopf.“

Befragungen der Caritas unter den Betroffenen haben ergeben, dass 95 Prozent lieber zu Hause arbeiten würden als in der Alpenrepublik, dort aber nichts finden: „Die EU könnte mit einer Sozialunion etwas tun. So etwas wie das deutsche Harz IV für Rumänien und Bulgarien würde wirken. Obwohl es mitunter so dargestellt werde, ist es kein Roma-Problem. Deren Anteil an Hilfesuchenden ist bei uns genauso hoch wie er in Rumänien dem Bevölkerungsanteil entspricht“, erklärt Strecha-Derkics.

Die Roma-Siedlungen in Rumänien oder Bulgarien sind Schandflecken für die EU-Mitglieder: Baracken aus Holz und Blech, kaum Warmwasser oder Strom, die Kanalisation versagt ebenso oft wie die Müllabfuhr. Es sind wahre Gettos, in denen die Menschen zum Teil untergebracht sind. Die Sterblichkeitsraten sind höher als in anderen Bevölkerungsteilen, die Lebenserwartung niedriger.

Barbara Weber, Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich war im Dezember in Cluj-Napoca, wo zwei Jahre zuvor 76 Familien an den Stadtrand zwangsabgesiedelt worden waren – dorthin, wo Jobs ebenso rar sind wie Perspektiven. Die rumänischen Behörden „wollten sie nicht mehr in der Stadt haben“, sagt Weber. „Da leben mehrere Generationen in einem Zimmer, vier Familien nutzen ein Bad. Man muss sich schämen, dass EU-BürgerInnen so leben müssen. Die Kinder können nicht in die Schule gehen, die Menschen finden keine Arbeit. Sie sind stigmatisiert.“

Nach offiziellen Zahlen leben 620.000 Roma in Rumänien. Realistischere Schätzungen gehen von knapp zwei Millionen aus. In einem Land, in dem das Nettodurchschnittsgehalt bei rund 360 Euro liegt und ein Viertel unter der Armutsgrenze lebt, sind Roma und Sinti die Schwächsten der Gesellschaft. Es gebe „eine systematische soziale Diskriminierung gegen Roma“, kritisierten auch jüngst die USA die Lage in Rumänien. Im Rest der EU sieht es ähnlich aus: Tausende Roma sind von Zwangsräumungen bedroht, nur etwa ein Drittel hat bezahlte Arbeit. Bis zu 15 Prozent können nicht lesen und schreiben. Aktionspläne für Roma gibt es, doch sie konnten kaum etwas verbessern.

Ab 2014 erhalten Bulgaren und Rumänen die Arbeitnehmerfreizügigkeit in vollem Umfang. Deutsche Kommunen sorgen sich schon jetzt über die Lasten der Zuwanderung, über Kriminalität, Bettelei und Prostitution. Auch Frankreich hat ein Roma-Problem, dem es etwa mit Zwangsräumen beizukommen versuchte – ohne Erfolg.

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